Eine Mutter bekommt nicht nur ein Kind, sondern einen riesigen Packen widersprüchlicher gesellschaftlicher Erwartungen gleich mit dazu. Wie lässt sich dieser Druck auf Dauer aushalten? Ein Essay.
Der folgende Essay erschien zuerst im April 2020 für EDITION F Plus. An Aktualität hat er nicht verloren.
Zu viel für ein Leben
Sehr viele Familien, und ich wage mal zu behaupten, besonders Mütter, kennen diesen Druck: Es ist einfach viel zu viel, was alles in ein einziges Leben passen soll.
Allein die schier unfassbare Menge an schlauen Blogtexten und hilfreichen Instagram-Posts: Eigentlich würde ich gern den verdammten langen Tag mit den Kindern Tempura-Farben selbst herstellen, mit Milch, Spüli und Lebensmittelfarben experimentieren, kleine eigene Stunt-Filme produzieren, zwischendurch ein bisschen Hausaufgaben machen und was Gesundes kochen.
Mich nervt es ungemein, dass ich jetzt ständig an selbstgemachte Tempura-Farben denken muss, während ich mich eher fragen sollte, wie ich es schaffen soll, nicht verrückt zu werden, wenn ich täglich im Google-Hangout feststecke und aus dem Nebenzimmer Geräusche dringen, die mindestens eine Massenschlägerei vermuten lassen. Fade Mathe-Arbeitsblätter ausfüllen, klingt zumindest in meiner Vorstellung anders.
Geschenke fürs Pressen
Gehetzt wühle ich mich also in diesen Tagen durchs Postfach. Neulich blieb ich dabei an einer Mail hängen: „Ein Trend, der bei uns in Deutschland erst ganz langsam (aber sicher!) Einzug hält, ist in anderen Ländern längst etablierte Tradition: Frisch gebackene Mamas erhalten kurz nach der Geburt ein sogenanntes ,Push Present‘ als Geschenk“. Absender der Mail war irgendein kleines, höchstwahrscheinlich nachhaltig produzierendes Schmucklabel.
Ich musste dann aufpassen, dass ich nicht ziemlich schnell richtig sauer wurde und einen Rant zurückmailte. Die Schmuckfirma ist ja nicht allein schuld an der ganzen Misere. Aber: Wie wäre es, Frauen, die gerade ein Kind aus sich herausgepresst haben (oder es anderweitig nach draußen haben befördern lassen), mit „personalisierten Schmuckstücken“ zu verschonen und lieber anzuerkennen, was für ein gewaltiger Einschnitt in dem Moment im Leben jeder Frau passiert, die ein Kind geboren hat, auf welchem Weg auch immer? Gepusht oder nicht gepusht?
Die Erwartungen der anderen
Wie wäre es, Müttern einfach Zeit zu geben? Zeit, in der sie froh sein werden, wenn sie alle zwei Tage zum Duschen kommen und ab und zu mal zur Nahrungsaufnahme. Zeit, in der sie womöglich glücklich, aber vielleicht auch überfordert, übermüdet, deprimiert, enttäuscht, überwältigt, ängstlich, ratlos, depressiv, versuchen, sich in diesem neuen Leben zurechtzufinden?
Stattdessen muss eine Mutter ab Tag eins vor allem das: sich mit den Erwartungen anderer herumschlagen.
„Mutter werden und Frau bleiben“
Allerspätestens, wenn eine Mutter wieder eine bezahlte Arbeit aufnimmt, wird ihr bewusst werden: Ein Kind haben bedeutet nicht etwa, dass der Raum, den ein Kind nun mal einnimmt, vorher freigeräumt wird. Das Kind soll einfach zusätzlich noch reinpassen. „Mutter werden – Frau bleiben. Und das mit Stil“, lautet der Claim eines bekannten „Mama-Blogs“. Das zeigt ganz gut an, wohin die Reise geht: Wenn dann auf einmal ein Baby da ist und dein Leben, wie du es kanntest, von einem auf den anderen Tag umgeschmissen wird, dann sollte der restliche Kram trotzdem im Großen und Ganzen weiterlaufen wie bisher.
Der Spruch nervt mich zwar mittlerweile, und manche mögen ihn larmoyant finden, aber ich habe schon so oft gedacht, dass er einfach wahr ist: Als Mutter kannst du es nicht richtig machen. „Was, du stillst nicht?“ / „Dein Kind ist schon über eins, und da stillst du noch“? Die alten Jeans passen ein paar Monate nach der Geburt immer noch nicht? – „Undisziplinierter Pummel … die Schwangerschaft hat ja leider Spuren hinterlassen.“ Die alten Jeans schlabbern? – „Oh, geht’s dir nicht gut? Du siehst irgendwie ausgemergelt aus“. Laber nicht über deine Kinder, wenn du abends unterwegs bist, das langweilt. Aber bist du abends unterwegs: „Wo hast du denn deine Kinder gelassen?“
Privilegiertes Schubladendenken
Sobald jemand Mutter wird, hat unsere Gesellschaft das dringende Bedürfnis, diese Person mit einem Etikett zu versehen. Das wird umso deutlicher, wenn man sich fragt, ob es ein männliches Pendant, also weit verbreitete Vater-Etiketten gibt (Überraschung: nein). Eine Frau aber wird plötzlich zur „Working Mum“, zur „Stay-at-Home-Mum“, zur „Karrierefrau, die den Spagat zwischen Beruf und Familie wuppt“. Mal ganz davon abgesehen, dass all diese grauenvollen Begriffe für ein privilegiertes Schubladendenken stehen und unzählige Frauen überhaupt keine Wahl haben, sich irgendwo einsortieren zu lassen: Das leidige Thema Vereinbarkeit ist das, welches das Leben von berufstätigen Müttern wohl am meisten prägt.
Edition F hatte lange Zeit eine Familiengruppe bei Facebook mit mehreren tausend Mitgliedern. Kein anderes Thema bewegte die Leute in der Gruppe so sehr wie: Vereinbarkeit. Wie kriege ich es hin, zu arbeiten, Mutter zu sein, gegebenenfalls eine Beziehung einigermaßen intakt zu halten und dabei selbst nicht auf der Strecke zu bleiben?
Existentielle Arten von Druck
Bevor übrigens spätestens jetzt jemand anfängt zu meckern, was das privilegierte Gerede soll: Es macht für mich keinen Sinn, Mütter und die unterschiedlichen Arten von Druck, die sie empfinden, gegeneinander auszuspielen oder zu vergleichen. Den Druck, den so viele alleinerziehende Mütter jeden Tag spüren. Mütter, die Angst haben, ihre Miete nicht zahlen zu können, Mütter, die ihre Kinder nicht vor gewalttätigen Partnern schützen können, Mütter, die ein behindertes oder chronisch krankes Kind haben und wegen mangelnder Unterstützung verzweifeln – sie alle erleben eine viel existentiellere Art von Druck als den, von dem ich hier schreibe. Das ist mir bewusst, deshalb muss es aus meiner Sicht aber trotzdem möglich sein, über den „ganz normalen“, alltäglichen Druck von Müttern zu schreiben – weil diesem Druck strukturelle gesellschaftliche Probleme zugrundeliegen.
Ja, natürlich gibt es himmelweite Unterschiede, was Druck angeht. Ein wirklich schlimmer Spruch – egal in welchem Kontext – ist für mich: „Man hat nur den Druck, den man sich macht“ – der sagt nämlich nichts anderes als: selbst schuld an deinem Druck. Aber die Voraussetzungen dafür, wie jemand mit gesellschaftlichen Erwartungen umgeht, wie gut sich jemand freimachen kann von vermeintlichen Konventionen, sind sehr unterschiedlich.
Jammern und Verweichlichung?
Jede Mutter spürt diese Erwartungen, und je nach Temperament, sozialer Stellung, Privilegien, psychischer und körperlicher Gesundheit und mentaler Vorbelastungen bedrücken sie die eine öfter, die andere seltener. Aus meiner Sicht ist es wenig hilfreich, wenn Müttern „Jammern“ und Verweichlichung vorgeworfen wird. Auch mir ist bewusst, dass meine eigenen und so viele andere Texte über Mutterschaft problembehaftet daherkommen, ja negativ. Ist das Jammern? Könnte man es nicht vielleicht auch nennen: auf gesellschaftliche Schiefstände hinweisen, die vor allem auch von politischer Seite behoben werden müssen?
Unbewusster Druck
Mir ist dieser alltägliche Druck erst Jahre nach der Geburt meines ersten Kindes wirklich bewusst geworden, obwohl er natürlich schon immer da war. Das liegt sicher daran, dass ich durch meine Arbeit als Journalistin stärker in die Debatte eingestiegen bin. Als mein erstes Kind klein war, spürte ich diesen Druck eher unbewusst.
Ich kannte natürlich auch damals schon Mütter, die verzweifelten, weil sie ihr Kind nicht stillen konnten (oder wollten) und dafür gedisst wurden. Oder die einen Kaiserschnitt hatten und sich anhören mussten, warum das defizitär ist; ich kannte auch damals schon Mütter, die sich anhören mussten, ob sie denn wahnsinnig seien, wenn sie wahlweise erzählten, ihr Kind bewusst drei Jahre lang zu Hause betreuen zu wollen oder aber nach wenigen Monaten wieder Vollzeit in den Job einsteigen zu wollen. Damals nahm ich das als übergriffiges Einmischen in private Angelegenheiten wahr, auf individueller Ebene, aber in der Gesamtschau steckt mehr dahinter: ein fragwürdiges Bild unserer Gesellschaft von Mutterschaft.
Eichhörnchenkostüm aus Bio-Filz
Druck kann man sich als Mutter bei allen Tätigkeiten machen, bei denen Kinder eine Rolle spielen. Manchem weicht man mit Humor oder Trotz aus („Den Scheiß mach ich nicht mit“), bei manchem geht man mit und fühlt sich einmal kurz überlegen, weil man das Eichhörnchenkostüm für den Kita-Fasching selbst aus nachhaltigem Bio-Filz genäht hat, während der Kindkollege leicht entflammbaren Schrott aus Fernost aufträgt.
Wichtig ist natürlich, das bei Instagram öffentlichkeitswirksam zu distribuieren, denn wenn nicht möglichst viele andere ein schlechtes Gewissen oder Aggressionen kriegen, hat es sich ja nicht gelohnt. Backen, Kochen, für die Brotboxen Gemüse in Stern-Form produzieren, Faschingskostüme, Osterbasteleien … ich weiß schon: Es gibt Mütter, die das echt total gerne machen, das ist wirklich schön für sie. Für die restlichen gilt: Ich hoffe für sie, dass sie sich so oft wir nur möglich von derartigem Druck freimachen können.
Wütende Mütter: schlimm
Und was den gesellschaftlichen Blick auf die Mutter als Frau betrifft: Sie sollte sich bitte nicht gehenlassen. Als nicht mehr blutjunge Mutter (sprich: über 30) wär‘s immerhin schön, wenn man noch zur MILF taugen würde; ganz wichtig: Mütter dürfen nicht wütend sein; wütende Mütter sind ein wandelndes Defizit.
Und dann willst du als Mutter womöglich einer bezahlten Arbeit nachgehen, und jetzt wird es richtig kompliziert. Dann kommt der Druck, dich rechtfertigen zu müssen, sei es vor der eigenen Familie oder deinem*r Arbeitgeber*in – oder vor wildfremden Leuten, die dein Modell nicht richtig finden: Egal wie du es machst, du wirst dich erklären müssen, einfach weil es noch keine neue Norm gibt, die weitgehend akzeptiert ist.
An und für sich ist das ja schön für Frauen, dass sie – anders als vor 50 Jahren – mehr Möglichkeiten haben. Aber: Während vor allem die Wirtschaft von Frauen fordert, möglichst viel zum Familieneinkommen beizutragen, einerseits um den Kapitalismus am Laufen zu halten, andererseits auch, um nicht wegen einer erbärmlichen Rente in der Altersarmut zu landen, tut die deutsche Familienpolitik bis heute einiges dafür, um die „Versorgerehe“ am Leben zu halten, Stichwort: Ehegattensplitting, mangelnde Betreuungsmöglichkeiten, und der Gender Pay Gap tut sein Übriges.
Väter, macht ihr einfach mal
Wenn wir sogenannte „Erfolgsfrauen“ davon erzählen lassen, wie sie „den Spagat“ hingekriegt haben, und wenn die es dann sogar blöd finden, wenn sie danach gefragt werden, wie sie das „wuppen“, weil Männer das schließlich auch nicht gefragt würden, dann halte ich das mittlerweile für wenig zielführend und für eine Verkennung der Realität.
Denn dass Frauen sich nach wie vor rechtfertigen müssen, während bei Männern weiterhin kein Hahn danach kräht, was die Kinder denn so machen, während sie arbeiten, deutet doch auf die weiterhin riesige gesellschaftliche Misere hin. Selten bekam in den vergangenen Monaten ein Text so viel Resonanz wie der unserer Community-Autorin Damaris, die fünf Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes wieder Vollzeit in ihren Job einsteigen wollte und über die verständnislosen Reaktionen in ihrem Umfeld schrieb.
Gebären und dann ab in die zweite Reihe
Vor einigen Jahren schrieb ich einen Text, den ein Tweet der SPD-Politikerin Sawsan Chebli ausgelöst hatte. Chebli hatte sich mokiert über die vielen negativen Rückmeldungen gerade von Frauen, die sie immer dann bekäme, wenn sie von ihre Plänen berichte, wenige Wochen nach der Geburt wieder voll arbeiten zu wollen. „Ich träume von einer Welt, in der Frauen sich nicht mehr untereinander für ihre Lebensentscheidungen abwerten“, hatte damals die Journalistin Eva Horn kommentiert. Von der Welt träume ich auch. Trotzdem ging die Debatte für mich in eine unsolidarische Richtung.
Sollte man sich nicht lieber genauer anschauen, warum Frauen sich gegenseitig die Lebensentscheidungen abwerten? Dahinter steckt oft ein enormer Leidensdruck. Wir können ja mal spekulieren: Wie viele Frauen, die Sawsan Chebli mit einem blöden Spruch gekommen sind, waren insgeheim verbittert/neidisch/enttäuscht/resigniert, weil sie keine*n Partner*in haben, mit der*m ein solches Modell möglich ist? Wie viele verspürten Druck, weil sie selbst womöglich monate- und jahrelang weg vom Fenster sind und es deshalb nicht gut ertragen, wenn eine andere Frau das übliche Spiel (geh gebären und stell dich danach in die zweite bis zehnte Reihe) nicht mitspielen will? Das mag nicht besonders edel sein, nachvollziehbar aber schon.
Kurze Elternzeit: auch nicht gut
Egal wie Frauen es machen, es ist eh nie richtig – das Thema Wiedereinstieg nach der Geburt ist hier schon ein regelrechter Klassiker: Während vor einer zu langen Babypause gewarnt wird, fand die Wissenschaftlerin Lena Hipp in einer Studie, für die sie 700 fiktive Bewerbungen verschickte, heraus: Frauen, die nur kurz Elternzeit genommen hatten, wurden seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Überraschung: Eine kurze Elternzeit wirkte sich bei Vätern nicht negativ auf ihre Chancen aus.
Ich frage mich manchmal: Gibt es eigentlich Mütter, die einfach keinen Druck empfinden? Die meistens das Gefühl haben, genau das Richtige zu tun? Bitte zeigt sie mir, ich will wissen: Wie machen die das? Vielleicht spielt hier das Glück der Unwissenden eine Rolle? Wer im gesellschaftlichen Diskurs nicht drinsteckt, macht sich womöglich nicht so viel Druck und geht ohne Hadern traditionellere Wege?
Aber auch in dieser Sphäre gibt es Druck, sobald man ausschert aus dem „Wie es alle eben machen“: Probier mal, deinen Verwandten aus dem ländlichen Westdeutschland zu verklickern, dass du dein Kind mit spätestens einem Jahr ganztags in die Kita zu schicken gedenkst. („Wozu hast denn dann überhaupt ein Kind bekommen?“) Oder andersrum: Erzähl mal deiner Hamburger oder Berliner Filterbubble, dass du erstmal zwei oder gar drei Jahre zuhause bleiben willst nach der Geburt. Man wird dort denken, du wärst in einer täuferisch-protestantischen Sekte gehirngewaschen worden.
Endlich gleiche Voraussetzungen
Was endlich alle verstehen müssen: Jede Mutter, egal wie lange sie zu Hause bleibt, ist eine Working Mum. Denn was soll denn Windeln wechseln, Einkaufen, Brei kochen, Hausaufgaben betreuen, Fingernägel schneiden anderes sein als Arbeit? Nur, dass sie eben nicht bezahlt wird? Eben.
Die Begriffe „Mental Load“ und „Care-Arbeit“ sind innerhalb meiner Blase mittlerweile so ausufernd zerlegt und diskutiert – ich finde es fast schon ermüdend, darüber zu schreiben. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass eine große Zahl von Frauen mit beiden Begriffen überhaupt nichts anfangen kann, beides aber ihr Leben enorm beeinflusst. Nur wer einigermaßen politisiert ist, kann überhaupt für sich und die eigenen Interessen einstehen. Deshalb müssen wir weiter darüber sprechen, schreiben, und Forderungen an die Politik stellen: nach besseren Betreuungsmöglichkeiten, nach Maßnahmen, die endlich dafür sorgen, dass sich auch Väter in der Verantwortung sehen.
Arbeiten können: keine Befreiung
Ich bin überzeugt: Das Leben von Müttern, die nur eine Sphäre kannten, nämlich die heimische, in der sie zu performen hatten, war kein glücklicheres. Beim „Mad Men“-Gucken wurde ich regelmäßig stellvertretend depressiv, wenn Betty sich schwanger, gelangweilt und sehr routiniert schon nachmittags ein paar harte Drinks reinstellte, um alles erträglicher zu machen.
Die Tatsache, dass es die meisten Menschen heute normal finden, wenn Frauen arbeiten gehen, ist aber allein noch keine Befreiung. Eine Befreiung wird es erst sein, wenn Mütter und Väter gleiche Herausforderungen und Chancen haben, wenn es um „Vereinbarkeit“ geht. Das Gefühl der Zerrissenheit ist immer hauptsächlich für Mütter reserviert (und bevor wieder jemand meckert: Ja, natürlich, es soll sie geben, die „modernen Väter“, fühlt euch bitte einfach nicht gemeint bzw. kämpft mir uns gemeinsam).
Papa kauft Windeln? Bravo!
Unsere Gesellschaft befindet sich in einer Art Übergangsphase, die noch länger dauern wird und die anstrengend ist für Frauen mit Kindern. Irgendwann in möglichst naher Zukunft werden Väter mit Säugling im Tragetuch, die Windeln bei dm kaufen, dafür nicht mehr so überschwänglich gelobt werden, als hätten sie gerade den Masterplan für ein Menschheitsproblem vorgelegt.
Die Politik muss dafür sorgen, dass in der Arbeitswelt irgendwann egal ist, ob jemand Mutter ist oder Vater. Alle Eltern sollten sich mit denselben Problemen herumschlagen müssen, unabhängig vom Geschlecht. Dann würde der Druck auf Mütter endlich weniger. Bis es so weit ist, heißt es: Durchhalten. Und je nach Möglichkeiten: für Veränderungen kämpfen. Und sich nicht selbst dafür fertigmachen, wenn Lockerbleiben und Weglächeln nicht klappt, sondern der Druck dafür sorgt, dass man sich selbst nicht mehr leiden mag. Das passiert nämlich. Das kann dieser Druck: Mütter sich so fühlen lassen, als wären sie wirklich das Allerletzte.
Schlechte Mutter! Schlechte Mutter!
Bei mir war der Dezember 2019 so eine Zeit, in der alles zu viel wurde. Eigentlich schäme ich mich dafür, deshalb würde ich es lieber nicht erzählen, weil ich wie so viele andere Mütter das Bedürfnis habe, zumindest nach außen so zu tun, als würde bei uns alles immer total super laufen, naja jedenfalls: Das Grundschulkind stand gegen sieben Uhr dreißig unbekleidet und heulend in seinem Zimmer, während draußen schon eine Herde anderer Erstklässler mit den Hufen scharrend wartete und ich das Kind panisch versuchte zu überreden, sich anzuziehen. Irgendwann haute ich völlig verzweifelt gegen einen der von der Decke baumelnden Turnringe und brüllte, wie passend für diesen Text: „Kapierst du das nicht? Ich hab solchen Druck!“
Dummerweise nahm der Turnring eine ungünstige Flugkurve und knallte gegen die Lippe des Kindes. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir es noch einigermaßen pünktlich schafften, das Kind zog jedenfalls bekleidet und verzweifelt heulend los, die Lippe schwoll in der Schule an. Ich rechnete täglich damit, dass das Jugendamt oder zumindest eine Lehrkraft wegen häuslicher Gewalt bei uns nachhorchen würde. Ich brauchte bis weit ins neue Jahr, bis das Mantra „Schlechteste Mutter der Welt! Schlechteste Mutter der Welt!“ langsam leiser wurde in meinem Kopf.
Besser als Push Presents: echte Anerkennung
Im Januar oder Februar traf ich im Café um die Ecke von der Kita eine andere Mutter, unsere Kita-Kinder sind befreundet. Wir sehen uns gar nicht oft, aber ich fühle mich ihr verbunden, wir haben schon viele gute Gespräche geführt. Es ergab sich, dass ich Abbitte leistete und schamerfüllt die Turnring-Geschichte erzählte. Allein das tat schon gut. Wir verabschiedeten uns irgendwann und hetzten in unsere Büros.
Wenig später bekam ich eine SMS von ihr: „Ich wollte mal sagen: Ich bewundere dich sehr, mit drei Kindern und Job und weder du noch die Kinder verwahrlosen. Und deine schier endlose Geduld. Also in meinen Augen machst du das perfekt!“. Ich bin überzeugt: Mütter hören und lesen so etwas viel zu selten. Ich tat die Nachricht natürlich mit einem ironischen Kommentar ab. Die Wahrheit ist: Ich habe selten ein schöneres Kompliment bekommen. Im Vergleich dazu kann mir jedes Push Present gestohlen bleiben.