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Der Kompromiss um 219a ist ein Witz – und das Frauenbild der Rechtsprechung erbärmlich

Wie sehr der deutsche Rechtsstaat Schwangere bevormundet und maßregelt, ist kaum mehr zu ertragen. Der geplante Kompromiss zu 219a ist kein Kompromiss – sondern ein Witz, schreibt unsere Gastautorin, die Juristin Nina Straßner.

„Hau ab, du Opfer!“

Ihr kennt diese Momente, in denen man etwas wirklich Absurdes hört und denkt: „Puh! Gott sei Dank leb’ ich in Deutschland! Krass, was bei denen abgeht.“ Das letzte Mal dachte ich das am Wochenende. Mein mittlerweile in meiner Hand festgewachsenes Smartphone teilte mir mit, dass der Iran ein von der Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus gepfiffenes Fußballspiel nicht übertrug, weil die Bestimmer*innen im Iran „gegen kurze Hosen bei Frauen!“ sind. Mein Freundeskreis weiß nicht, dass sie mir damit den Samstagabend verhageln können, also bekam ich diese Meldung sechs Mal zugeschickt mit den Worten „Nina, du hast noch viel zu tun! Krasse Sache!“

Interessant. Offenbar findet mein – zumindest männlicher – Freundeskreis, die Sache mit den Frauenrechten wäre irgendwie meine Aufgabe und sie damit raus aus der Nummer des öffentlichen Protestes. Und meistens halten wir es ja mit anderen Ländern genauso. Für uns ist alles gut, also sagen wir empört einfach nix und denken „die sollten da mal was machen!“.

Wir schauen kopfschüttelnd auf diese „Barbaren“ in diesem „Atomwaffenschurkenland“, mit ihren frauenfeindlichen „Andersgläubigen“, den „Kopftuchmädchen“ und den „Scheichs oder Schahs“ und finden, die sollten sich mal eine dicke Scheibe Frauenrechte von uns abschneiden. Derweil streicheln wir liebevoll das unbedeckte Knie unserer fröhlich jubelnden Freundin beim Public Viewing und möchten höchstens dann eine Fußballübertragung stoppen lassen, wenn das ZDF wieder mal eine Frau in kurzen Hosen ans Mikrofon gelassen hat. Aber die hat eben keine Ahnung von Fußball und da wir selbst immer diejenigen mit der Ahnung sind, kurze Hosen rattenscharf finden und zudem in einem Rechtsstaat leben, haben wir natürlich kein Problem mit Frauen. So wie der Iran.

Echt toll, unser Rechtsstaat!

Wir sind unheimlich stolz auf unseren „Rechtsstaat“ und werfen mit diesem Wort in Talkshows, Kommentaren und Bundestagsdebatten um uns, weil das so legitimierend klingt. Es soll ausdrücken, man habe Respekt vor der geltenden Ordnung, man überblicke die Gesamtsituation und es gäbe eine von der eigenen Moralvorstellung abgekoppelte Instanz, die das Zusammenleben in unser aller Sinne ausgewogen regelt. Den Rechtsstaat. Leider ist diese Rechtsstaats-Argumentation als Verstärker total nutzlos, weil sich nämlich kein einziger Staat auf dieser Erde aktuell selbst als „Unrechtsstaat“ bezeichnet. Wir lebten auch schon in einem Rechtsstaat, als alle völlig ausflippten, weil Lenelotte von Bothmer 1970 im Plenum des Bundestages am Mikrofon stand – und dabei eine Hose anhatte. Ohne Gegenüber hat ein Wort aber nicht mehr Bedeutung als die Anzahl an Buchstaben, aus denen es besteht. Kein*e Freund*in ohne Feind*in, keine Liebe ohne Hass, kein Glück ohne Unglück, kein Recht ohne Unrecht.

Wir vergessen nur zu gerne, dass der Rechtsstaat von Menschen gemacht wird. In ihm spiegeln sich Gesinnungen, Wertungen und Vorstellungen derjenigen wieder, die gerade am Machtdrücker sind. Was halten die für vernünftig? Für moralisch? Was für angemessen oder ausgewogen? Was für zumutbar? Der Rechtsstaat und damit die Richter*innen fällen ihre Urteile nach dem Vorbild einer hypothetischen, vernünftigen, moralischen, redlichen, anständigen, besonnenen Figur als Leitbild. An ihr messen wir, was unsere Rechtsordnung von den wirklichen Menschen im Idealfall erwartet. Die wirklichen Menschen sollen sich möglichst so verhalten, wie diese Leitfigur in der gleichen Lage. Das ist eine ganz praktikable Vorgehensweise der Rechtsfindung. Wer aber jetzt tatsächlich noch in Frage stellt, dass es einen Unterschied macht, welche realen Personen diesen „Leitmenschen“ mit Charaktereigenschaften füllen, der hat nicht verstanden, warum der Iran aus seiner Sicht kein Problem mit kurzen Hosen hat. Denn dort hat die vernünftige Leitfrau in der Öffentlichkeit eben keine kurzen Hosen an.

Frauen: dümmlich und opferbereit

Und bei uns? Wir steinigen keine Frauen und sie dürfen auch Auto fahren. Unser aktuelles Leitbild von Frauen im Verkehr ist aber trotzdem noch immer eines, das entweder etwas dümmlich oder opferbereit ist. Meistens leider beides. Das gilt für den Straßen- und den Geschlechtsverkehr gleichermaßen. Der Rechtstaat, namentlich das Bezirksgericht der Schweiz, urteilte zum Beispiel im Jahre 1925, dass bei einem Unfall im Straßenverkehr dem Leitbild „Frau als Fußgängerin“ gar kein Mitverschulden treffen könne. Warum? Weil „die Frau im Unterschied zu Männern – aber ähnlich zu Rindsvieh und Hühnern – nicht in der Lage ist, die Gefahren des motorisierten Verkehrs richtig einzuschätzen und zweckmäßig zu reagieren.“ (Neue Zürcher Zeitung vom 25. 3. 1925, Nr. 466, Blatt 5)

Man könnte also durchaus auf die Idee kommen, dass auch die geltende Zwangsberatung einer Schwangeren in einer Beratungsstelle nach dem § 219 StGB auf diese Grundannahme zurückzuführen ist. Im Paragrafen 219 StGB steht wörtlich zur Zwangsberatung vor einer Abtreibung: „(…) die Beratung hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen.“

Sei kein Dummerchen

Mensch, das klingt so nett! Genauso nett wie das mit den Hühnern und dem Straßenverkehr, denn Frauen brauchen offenbar auch hier offenbar „Hilfe“ dabei, verantwortungsvoll und gewissenhaft zu entscheiden, ob sie eine Geburt durchstehen wollen oder nicht. Sogar so dringend, dass wir sie zu dieser „Hilfe“ zwingen. Ohne unsere „Hilfe“ darf sie nur dann vom Staat unbehelligt auf dem Sofa sitzen bleiben, wenn sie die Entscheidung trifft, in acht Monaten Mutter werden zu wollen. Selbst wenn das im jeweiligen Einzelfall das Gegenteil einer verantwortungsvollen und gewissenhaften Entscheidung wäre. Ein solches Urteil über sich selbst trauen wir ihr aber volljährigen Frauen in Deutschland nicht zu.

Offenbar sind Frauen, im Unterschied zu Männern und ähnlich wie Hühner, nicht in der Lage, die Gefahren des sexualisierten Verkehrs zuverlässig einzuschätzen und zweckmäßig zu reagieren. Sonst würden sie ja nur Sex haben, wenn sie Mutter werden wollen, denn die latente Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft ist nur für Frauen dem Sex immanent, oder nicht? Sollte sich der offenbar einzig leitbildgerechte Sinn und Zweck des von zwei Personen unternommenen Geschlechtsverkehrs, nämlich die Fortpflanzung, ungewollt bei der mit den biologischen Voraussetzungen ausgestatteten Person realisiert haben, so müssen wir ihr also helfen, sich nicht wie ein Dummerchen, sondern verantwortlich und gewissenhaft zu verhalten.

Die andere Seite des Sexualverkehrs ist zumindest in dieser Hinsicht fein raus. Der Mann hat Sex auch nur aus Freude an der Freude und möchte er ebenfalls kein Vater werden, ist er zumindest nicht derjenige von Beiden, der sich für den Rest seines Lebens im Strafgesetzbuch zu den Kriminellen gesellen muss und „Unrecht“ getan hat.

Man verstehe mich nicht falsch. Hilfe finde ich superklasse und sehr viele Menschen brauchen mit dieser „Leben mit dem Kind“- Sache ganz in echt Hilfe, so wie es im §219 StGB so blumig steht. Und wir wissen auch genau, wo der Hilfebedarf liegt, denn der Hashtag #regrettingmotherhood vor drei Jahren lieferte der Politik ein wahres Füllhorn an Ansätzen, wie der Staat bei „Perspektiven für ein Leben mit dem Kind“ so richtig ermutigen und unterstützen kann. Nur kosten diese „Perspektiven für ein Leben mit dem Kind“ eine Menge Geld, da ist so ein ideologischer Abtreibungsparagraf und „Unrechtgemurmel“ und „Kreuzgeschwinge“ sehr viel billiger. Selbst fünf Millionen Euro aus Steuergeldern für eine ideologische Studie, die keinerlei progressive Reform für Familien zum Ziel hat, ist ein echtes Schnäppchen als Ablenkungsmanöver von den wahren Aufgaben des Staates beim Lebensschutz. Bei #regrettingmotherhood hieß es übrigens landauf-landab: „Die hätte ja kein Kind kriegen müssen, wenn sie Muttersein so scheiße findet. Ist ja keine Pflicht.“ Abwarten, Freund*innen. Abwarten.

Sex: opferbereite Hingabe

Tja, Ladys, diese Sache mit dem Geschlechtsverkehr und wer jetzt welchen hat und zu welchen Bedingungen, ist bis heute zudem eine Frage eurer Opferbereitschaft und Rechtspflichten. Offenbar bekommen Menschen mit einer Gebärmutter in Bezug auf Sexualität und ihren Folgen eine rechtstaatliche Pflicht mitgeliefert, gewisse Opfergrenzen zur Verfügung stellen zu müssen. Sex ist opferbereite Hingabe. Rechtlich zumindest für Frauen. So war es schon 1966 aus Sicht des Bundesgerichtshofs dem Leitbild „Ehefrau als Beischläferin“ zuzumuten, ihrem Ehemann nicht das Gefühl zu geben, dass er schlecht im Bett sei.

Der Ehemann im konkreten Fall hatte eine Affäre und sie sagte, die Affäre dürfe er gerne behalten, sie würde ihm aber lieber Geld für den Puff geben, als weiter ebenfalls mit ihm in die Kiste zu springen. Seine Performance sei nämlich so schlecht, dass sie dabei Zeitung lesen könne. Zudem wolle sie nicht „mit einem dicken Bauch herumlaufen.“ Damals galt noch das „Schuldprinzip“, und der*diejenige, der*die Schuld am Scheitern der Ehe trug, verlor den Unterhaltsanspruch und das Sorgerecht für die Kinder. Hier reichte der Ehemann empört die Scheidung ein und Schuld am Scheitern war aus der Sicht des BGH? Die rechtspflichtvergessene Ehefrau. Sie hatte ihre zumutbare Opferbereitschaft nicht genug ausgereizt: „Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr aufgrund ihrer Veranlagung oder anderen Gründen versagt bleibt, im ehelichen Beischlaf eine Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.“

Finden wir heute zu krass, diese Sache mit dem Opfer. Wir mögen keine Opfer und Frauen sollen gefälligst aufhören, sich wie Opfer zu benehmen, wenn sie Gleichberechtigung wollen, schallt es durch die Kommentarspalten. Dummerweise schreibt unsere Rechtsordnung das mit dem Opfer-sein-müssen aber einfach überall hin. Was denn nun? 50 Jahre nach dem Urteil des BGH zur ehelichen Opferbereitschaft bei Sex steht im § 219 StGB zur Beratungspflicht tatsächlich wörtlich: „(…)Dabei muss der Frau bewusst sein, dass (…) nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt.“

Strafrecht oder Hausordnung einer katholischen Mädchenschule?

Respekt, Gesetzgeber, Respekt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte dementsprechend: „Der Schwangerschaftsabbruch muss für die gesamte Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein.“ Also ich muss da schlucken. (Aber ich bin ja auch eine Frau und brauche Hilfe.)

Dieses Urteil, das überall raus- und runterzitiert wird, ist mittlerweile ganze 26 Jahre alt. Da war Philipp Amthor noch gar nicht geboren und auch damals gab es deutlich abweichende Voten von zwei Richter*innen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stammt aus dem Jahr 1993. Das war das Jahr, in dem Salt ‘n‘ Pepa mit „Let’s talk about Sex“ in den Charts waren und wahrlich, die Richter*innen talkten about Sex und legten von einer hohen Kanzel aus allen Frauen, die ungewollt schwanger sind, eine „grundsätzliche Rechtspflicht“ auf, die Leibesfrucht auszutragen. Sie sprachen: „Ein Schutz des Ungeborenen gegenüber seiner Mutter ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. (…) . Es ist Sache des Gesetzgebers, Ausnahmetatbestände nach den Kriterien der Unzumutbarkeit zu bestimmen. Dafür müssen Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, dass dies von einer Frau nicht erwartet werden kann.“

Das Strafrecht ist aber nicht die Hausordnung in einer katholischen Privatschule, es soll Unrecht bestrafen. „Ich bin ungewollt schwanger, ich möchte nicht gebären“ ist allen Ernstes in unserer Rechtsordnung „Unrecht“. „Ich möchte kein Blut spenden, selbst wenn jemand neben mir gerade stirbt und ich seine einzige Rettung bin“ fällt jedoch glasklar unter das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Hier trauen wir jedem Menschen zu, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, die nur seinem Gewissen und seiner körperlichen Integrität unterworfen ist. So ätzend und unmoralisch wir das auch im Einzelfall finden, der leitbildgerechte Mensch in dieser Lage ist keinerlei „zumutbaren Opfergrenze“ unterworfen, selbst wenn sonst eine Schwangere stirbt, weil wir uns nicht von einer Nadel piksen lassen wollen und unser Blut nur uns gehören soll.

„zumutbare Opfergrenze“ – nur für Frauen

Bei einer Frau – und zwar nur bei Frauen –, gibt es im Bereich der körperlichen Selbstbestimmung aber dann doch eine „zumutbare Opfergrenze“, ob sie ihren Körper den Strapazen einer Schwangerschaft aussetzen möchte. Ob sie sich einer sogar manchmal tödlich endenden Geburt stellen will, ob sie unter wahnsinnigen Schmerzen gebären möchte oder man ihr alternativ mit einem Skalpell 15 Zentimeter durch die Bauchdecke die Gebärmutter aufschneidet, um ein Kind auf die Welt zu holen. Das wollen wir ihr bis heute in einer staatlich angeordneten Zwangsberatung klarmachen. Will sie das nicht, weil sie weiß, dass Kinder großziehen Verantwortung bedeutet, und beendet sie die Schwangerschaft, tut sie „Unrecht“. So wie die ganzen anderen Kriminellen im Strafgesetzbuch. Das kann man gar nicht oft genug sagen. Die Strafverfolgung ist das schärfste Schwert, das wir zu bieten haben, um zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, und dort schreiben wir heute noch immer werdende Mütter rein, die keine werden wollen?

„Rechtspflicht zur Austragung“. „Aufopferung eigener Lebenswerte“. „Von einer Frau zu erwarten“. Ich glaube, wenn man Passant*innen bitten würde, diesem Richterspruch eine Jahreszahl zu geben, sie würden mehr als 60 Jahre zurücktippen. Es ist aber die 2019 geltende Rechtsprechung zu § 219 und damit §219a StGB. Vor 26 Jahren, als das BVerfG urteilte, war „Vergewaltigung“ in der Ehe noch nicht strafbar, sondern allenfalls eine strafbare Nötigung. Das kam erst vier Jahre später und das war ganze 30 Jahre nach dem oben genannten Beischlaf-Urteil des BGH. Das Abtreibungsurteil ist älter als die Aussage des CDU-Politikers Wolfgang von Stetten im zur Vergewaltigung in der Ehe im TV, dass es doch bitte rechtlich einen „graduellen Unterschied“ machen müsse, ob man die eigene Ehefrau zum Sex zwingt oder eine „wildfremde Frau“. Wer sich fragt, was die Vergewaltigung in der Ehe jetzt mit Abtreibung zu tun hat, der lasse sich sagen, dass sich Teile der CDU/CSU gegen die Strafbarkeit als „Vergewaltigung“ ausgesprochen haben, weil Ehefrauen sonst die Behauptung, sie seien vergewaltigt worden, als Rechtfertigung für ihren Wunsch nach einer Abtreibung verwenden könnten. Das Unrecht ist einfach überall. Nur nicht bei unserem Frauenbild.

Auch jetzt ist die Bevölkerung schon längst so weit, ungewollt Schwangere endlich aus dem Strafgesetzbuch zu entlassen, es will nur keiner auf die Agenda bringen. Claus Roxin, fraglos ein renommierter Strafrechtler mit 26 Ehrendoktortiteln und sicherlich eine viel größere Nummer als Thomas Fischer, sprach sich immer schon sehr deutlich gegen eine Strafbarkeit von Abtreibungen, also den geltenden § 218 StGB aus. Wir sind leider nicht viel weitergekommen als 1993: Wir haben jetzt eine Hotline für Schwangere und bald eine Adressenliste von Mediziner*innen bei den Ärztekammern, die Abtreibungen vornehmen. Jede*r Gynäkolog*in wird sich aber sehr gut überlegen, ob er*sie Bock auf betende Kreuzschwinger*innen vor seiner Praxis und Drohbriefe hat oder ob er dann doch lieber auf eine Namensnennung auf dieser Liste verzichtet. Diese Liste ist das, was wir bekommen aus einer längst überfälligen Diskussion.

Kein Kompromiss, sondern ein Witz

Ich kann das nicht mehr besonders gut aushalten. Ich möchte bitte sagen können: „Puh, Gott sei Dank lebe ich in Deutschland.“ Und ich möchte, dass es einen Sinn hat, dass zwei Frauen aus der Sozialdemokratie in den Schlüsselministerien sitzen und die GroKo von zwei Frauen angeführt wird. Die CDU kann ein aufgeklärteres Frauenbild als 1993 heutzutage wirklich vertragen, ich bin da sehr sicher. Es ist Zeit, dass nach 26 Jahren nun endlich die Integrität über politische Possentänze siegt. Es hat wirklich gar nichts mit Frauenrechten zu tun, wenn wir nun ein Informationsrecht zu Abtreibungen durch die Ärztekammern bekommen. Das ist kein „Kompromiss“ in einer Schwangerschaftsdebatte, das ist ein Witz. Eine gute Lösung wäre die Streichung des Werbeverbotes und der Zwangsberatung betreffenden §§ 219 ff. aus dem StGB und als Kompromiss für den §218 StGB eine angemessene Fristenlösung in der ärztlichen Heilberufsordnung. Zudem muss eine Abtreibung eine Kassenleistung sein, momentan müssen die Frauen das nämlich selbst bezahlen.

Ärztlich betreute Abtreibungen auf Betreiben der Schwangeren haben im StGB nichts zu suchen, ein Kompromiss wäre, den Ärzt*innen über Heilberufsordnungen aufzuerlegen, ab dem dritten Monat ein Gutachten für den Eingriff einholen zu müssen. Die Frist für die Ärzt*innen beruhigt dann diese unglaublich merkwürdigen Leute, die unbedingt daran glauben wollen, Frauen würden sich ohne Fristen im achten Monat grundlos ihre Kinder aus dem Bauch schneiden lassen, weil sie es sich „anders überlegt haben“ und ich überlasse es meiner Tochter, die Fristenlösung irgendwann zu torpedieren, wenn Jens Spahn in Pension ist.

Liebe Bundesregierung, liebe Politik, es ist nicht mehr 1993 und Ace of Base haben ganz bestimmt und ausschließlich nur Sex gemeint, als sie damals auf Platz eins in den Charts sangen: „All That She Wants – Is Another Baby.“ Vielleicht habt ihr das nur einfach missverstanden?

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