Im Interview erklärt der Psychologe Johannes Michalak, warum unsere Körper im Homeoffice oft zu zu kurz kommen, welchen Einfluss das auf unser Wohlbefinden hat und wie wir unserem Körper etwas Gutes tun können.
Das Interview von Anna-Lena Jaensch wurde zuerst bei unserer Kooperationspartnerin Zeit Online veröffentlicht.
Der Fahrradweg ins Büro entfällt, das Fitnessstudio ist geschlossen. Im Homeoffice steigt die psychische Belastung an, doch der körperliche Ausgleich fehlt. Warum gerade jetzt Körper und Geist gleichermaßen Beachtung geschenkt werden sollte, weiß der Psychologe Johannes Michalak. Der 53-Jährige ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Witten/Herdecke und beschäftigt sich mit Achtsamkeitsbasierter Kognitiver Therapie und Embodiment in der Klinischen Psychologie.
Herr Michalak, in Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich damit, wie Körper und Geist sich gegenseitig beeinflussen. Was sagt die Körperhaltung über die psychische Verfassung aus?
„Unser Körper ist unsere Basis. Ohne ihn könnten wir nicht denken oder fühlen. Unser Körper hat außerdem großen Einfluss darauf, ob wir uns wohlfühlen oder nicht. Wenn jemand aufgrund von einer Fehlhaltung unter starken Rückenschmerzen leidet, kann das auf die Psyche schlagen. Das funktioniert auch andersrum: Wer unter Depressionen leidet, neigt zum Beispiel zu einer zusammengesunkenen Körperhaltung. Der Körper spiegelt hier wider, wie es der Psyche geht.
„Gerade in der jetzigen Zeit, wo viele Menschen im Homeoffice arbeiten, wird der Körper schnell vernachlässigt und dem Denken der Vorrang gegeben.“
Diese Wechselwirkung von Körper und Geist nennt sich Embodiment, übersetzt bedeutet das Wort Verkörperung. Gerade in der jetzigen Zeit, wo viele Menschen im Homeoffice arbeiten, wird der Körper schnell vernachlässigt und dem Denken der Vorrang gegeben. Das führt zu einem Ungleichgewicht und das allgemeine Wohlbefinden kann sich verschlechtern.“
Wie kann man dem entgegenwirken?
„Die Embodiment-Forschung hat gezeigt, dass es Bewegungsabläufe gibt, die zumindest kurzfristig die Wahrnehmung und Erinnerung von depressiven Menschen normalisieren können. In einer Studie konnten wir feststellen, dass eine nach oben gerichtete und öffnende Qi-Gong-Übung bei depressiven Patienten dazu führt, dass sie sich verstärkt an positive Dinge und an eine größere Anzahl an spezifischen Ereignisse, die an einem bestimmten Tag und Ort stattgefunden haben, erinnern können. So zeigten die Probanden, die diese Bewegung durchgeführt haben, eine geringere Tendenz, sich vor allem an Negatives zu erinnern, während eine nach unten gerichtete und schließende Bewegung keinen solchen Effekt hatte.
Man kann aber nicht nur mittels Bewegung in Kontakt mit dem Körper treten, sondern auch durch Meditationen oder Achtsamkeitsübungen. Wer in sich hineingehen und mehr auf den eigenen Körper hören möchte, kann beispielsweise einmal am Tag einen Bodyscan machen. Dabei legt man sich bequem hin und wandert dann mit seiner Aufmerksamkeit, so gut es geht, ohne zu bewerten von einer Körperregion zur nächsten, meist beginnend mit dem kleinen Zeh des linken Fußes. Das hat den Effekt, dass man sich voll und ganz auf den Körper konzentriert und lernt, mehr im Hier und Jetzt zu sein. So kann man Schritt für Schritt lernen, die zurückliegenden Erlebnisse im Büro oder Homeoffice oder die Pläne für die Zukunft besser loszulassen.“
Worauf kann man denn während der Arbeit achten, um den Körper nicht zu vernachlässigen?
„Wer viel am Computer sitzt, sollte regelmäßig in seinen Körper spüren und sich darüber klar werden, ob er sich wohlfühlt oder die Haltung lieber verändern möchte. Sind die Schultern nach vorne gebeugt oder hochgezogen? Ist der Rücken buckelig oder im Hohlkreuz? Haben die Füße einen guten Kontakt zum Boden? Eine aufrechte und entspannte Körperhaltung kann sich positiv auf emotionale Prozesse auswirken, sie kann auch einen Beitrag dazu leisten, dass man konzentrierter und stressbefreiter arbeitet. So kann man lernen, häufiger seine Haltung zu verändern und eine bessere körperliche Balance zu erzielen. Außerdem kann man die Haltung korrigieren, wenn man dazu neigt, Fehlhaltungen wie Rundrücken oder Hohlkreuz einzunehmen.“
Wie schafft man das, sich immer wieder daran zu erinnern?
„Ich bin selbst gerade im Homeoffice und bemerke, dass es eine Herausforderung ist, achtsam bei seinem Körper zu sein. Anfangs kann es helfen, sich jede halbe Stunde einen Wecker zu stellen. Wenn er klingelt, nimmt man bewussten Kontakt mit seinem Körper auf, schaut, wie man sich fühlt, und wechselt gegebenenfalls die Sitzposition, bevor man weiterarbeitet. Das ist kein großer zeitlicher Aufwand, aber es hilft dabei, dass es dem Körper besser geht – und damit auch dem Geist.
Wer sich im Laufe der Jahre eine Fehlhaltung angewöhnt hat, dem kann es helfen, einen Spiegel am Arbeitsplatz aufzustellen, in dem er seine Haltung überprüfen kann. Man sollte auch akzeptieren, dass es in den ersten Wochen nicht unbedingt angenehm sein muss, eine ungewohnte Haltung einzunehmen. Der Körper ist die Fehlstellung gewohnt und nimmt es zunächst möglicherweise als herausfordernd und anstrengend wahr, wenn er eine gesündere Haltung einnimmt. Da sollte man kontinuierlich bei der Sache bleiben, sich selbst nicht überfordern und akzeptieren, dass es eine Weile dauert, bis ein Fortschritt erkennbar ist.“