#stayathomeportraits: Leah Kunz fotografiert Frauen in ihrem Zuhause – per Videocall

Porträtfotos trotz Ausgangsbeschränkungen, wie soll das gehen? Ganz einfach: übers Internet. Die Fotografin Leah Kunz zeigt das Leben von Frauen während der Corona-Krise. Auch unsere Autorin hat sich via Videocall porträtieren lassen. Ein Bericht.

„Sollen wir auf den Balkon?“ „Ne, da ist es zu hell.“ „Wie wäre es mit meiner Lieblingsecke im Schlafzimmer, da steht so eine schöne, rustikale Kommode?“ „Ja, zeig mal.“ „Ich könnte dich auf dem Wäscheständer ablegen.“ „Ne, das Licht sollte von vorne auf dich fallen, stell mich mal schräg auf die Fensterbank da.“ „Gut so?“ „Rück mich noch ein bisschen weiter nach rechts, noch ein Stück.“ „Ich geh mal einen Schritt zurück, so an die Kommode gelehnt?“ „Wie hast du denn diese von Corona geprägte Zeit bisher so erlebt?“ „Naja, wir arbeiten seit …“ „Freeze, bleib mal kurz in der Position.“

So klingt es, wenn Leah Kunz ihre Kamera hervorholt, um den Bildschirm abzufotografieren, auf dem gerade ihre Videochat-Partnerin zu sehen ist. Leah hat zu Beginn der Corona-Pandemie ein Projekt gestartet, für das sie inzwischen mehr als fünfzig Frauen in ihrem Zuhause fotografiert hat. Eine sorgfältig kuratierte Auswahl der Bilder, die während dieser Shootings entstehen, postet sie auf ihrem Instagram-Account – versehen mit einem persönlichen Text zur abgebildeten Person. Die Posts sind wie flüchtige Begegnungen, kurze Besuche in fremden Räumen; sie erzählen Kurzgeschichten über von Corona veränderte Leben.

Wie ein Gespräch mit einer Freundin

Entstanden ist die Idee zum Projekt während eines Videotelefonats mit einer Freundin zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen, erzählt Leah: „Ich habe mich digital mit ihr getroffen, obwohl sie eigentlich um die Ecke wohnt. Das war für uns beide so skurril, dass ich das Bedürfnis hatte, diesen Moment mit meiner Kamera festzuhalten.“ Dabei seien dann so schöne Porträtaufnahmen entstanden, dass sie die Idee in weitere Videotelefonate mitgenommen habe. Bereits nach wenigen Posts auf ihrem Instagram-Account kamen erste Anfragen von fremden Personen, die auf die #stayathomeportraits aufmerksam geworden waren und gern Teil des Projekts sein wollten.

„Plötzlich saß ich Frauen gegenüber, die ich gar nicht kannte und unterhielt mich mit ihnen über die aktuelle Corona-Situation und den Start dieses Fotoprojekts. Das Gespräch über ein Thema, das alle Menschen weltweit miteinander verbindet, ist ein guter Eisbrecher. Während ich mich mit der Person unterhalte, bekomme ich auch gleich ein Gespür dafür, wie das Licht in den Raum fällt und wie mein Gegenüber sich bewegt.“

Und tatsächlich schafft es Leah, im Gespräch eine vertraute Atmosphäre zu erzeugen, in der ich mich entspanne und gar nicht krampfhaft versuche, mein bestes Lächeln hervorzuzaubern. Es fühlt sich an, als würde ich mit einer guten Freundin plaudern, die den Moment nebenbei für die Ewigkeit festhält.

Unverkrampft und authentisch

Zurzeit verabredet sich Leah für eine Handvoll Shootings pro Woche. Das Projekt sei für sie ein guter Ausgleich zu ihrem Job als Lehrerin, der durch Corona noch fordernder geworden sei. „Was mich fasziniert, ist der Gegensatz im Gespräch: Während ich einen langen, anstrengenden Arbeitstag hinter mir habe und im Schlabberlook vor dem Laptop sitze, strahlen mir die leuchtenden Gesichter der Frauen vom Bildschirm entgegen, die sich nach all den Wochen monotonen Alltags darüber freuen, etwas Ungewöhnliches zu erleben.“

Nach einem ersten Gespräch und ein paar Fotos nehme ich Leah und ihre Kamera mit auf einen kleinen Rundgang durch meine Wohnung. Nach all den Wochen zuhause die eigenen vier Wände neu zu entdecken, ist erfrischend. „Diese Einblicke in ein fremdes Zuhause sind für mich sehr besonders. Witzig ist es meistens auch; beispielsweise wenn mir eine Frau sagt, sie müsse noch rasch die Dreckwäsche aus dem Bild räumen oder laut darüber nachdenkt, ob der Vibrator im Hintergrund wohl ein Statement sei oder ob sie ihn doch eher wegräumen soll“, erzählt Leah.

Leahs Bilder sind anders als die künstlichen Influencer*innen-Fotos, die es zuhauf bei Instagram zu sehen gibt. Fotos, die oft bis ins kleinste Detail durchdacht und endlos optimiert wurden.

Die #stayathomeportraits sind mehr als schön, sie transportieren Persönlichkeit, Verletzlichkeit und Stärke zugleich. „Diese auf Perfektion getrimmten Fotos und die dadurch transportierte Schönheitsnorm haben einen riesigen Impact auf junge Frauen – das merke ich auch sehr stark bei meinen Schüler*innen“, erzählt Leah.

Das eigene Körperbild sei häufig ein Thema vor dem Shooting. „Mir schreiben viele Frauen, dass sie gern beim Projekt mitmachen würden, sich aber nicht sicher sind, ob sie dafür geeignet sind. Ich bestärke sie immer darin, es zu wagen – so ein Shooting im vertrauten Umfeld macht es auch leichter, sich zu entspannen.“ Die Bilder bestätigen diesen Eindruck: Sie wirken so unverkrampft und authentisch, als hätten die Frauen gar nicht bemerkt, dass sie fotografiert werden.

Vom Digitalen ins Analoge

Das positive Feedback sei etwas vom Schönsten an diesem Projekt, erzählt Leah: „Ich habe eine Frau fotografiert, die noch nie Fotos von sich hat machen lassen. Sie war ziemlich unsicher, ob das was wird. Anschließend zu lesen, wie sehr die Bilder ihr Selbstwertgefühl gestärkt haben – und das in einer von Stress und Ängsten, Kinderbetreuung und Home Schooling geprägten Zeit – war schön.“

Entstanden ist das Projekt zwar ohne Intention, inzwischen ist es Leah jedoch ein Anliegen, die Frauen nicht nur zu porträtieren, sondern auch miteinander zu vernetzen. Der Account sei zwar noch klein, aber bereits jetzt beobachte sie einen regen Austausch unter den Frauen: „Es ist schön, dass aus dem Projekt so eine lebendige Community entstanden ist. Beispielsweise haben sich durch das Projekt zwei Frauen kennengelernt, die zum gleichen Thema forschen. Die eine sitzt in Göteborg und die andere in Berlin – jetzt trinken sie digital Kaffee und tauschen sich über ihre Forschungsprojekte aus.“

Obwohl die Bilder digital entstehen, wirken sie durch die Nachbearbeitung fast wie analoge Fotografien. „Ich mag diesen Gegensatz“, erklärt Leah. Sie könne sich vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt einen Bildband zum Projekt herauszugeben. „Ich möchte die #stayathomeportraits gern ins Analoge überführen, weil ich es so schade fände, wenn die Fotos irgendwann im Social-Media-Dunst verloren gehen.“

Erst einmal möchte Leah jedoch noch möglichst viele Frauen allen Alters porträtieren und so festhalten, wie sich der weiterhin von Corona geprägte Alltag verändert: „Gerade befinden wir uns alle in so einer komischen Zwischenphase: Wir sind noch nicht zurück in der Normalität, aber verharren auch nicht mehr in der Wohnung. Corona wird uns wohl noch eine Weile begleiten, ich finde es spannend, diese Zeit mit Fotos und persönlichen Erzählungen zu dokumentieren.“

Nach unserem Videocall dauert es keine 30 Minuten, bis mir Leah die bearbeiteten Fotos schickt. Normalerweise mag ich Bilder von mir selbst nicht sonderlich: Irgendwie fehlt immer das Leuchten in den Augen, wirkt das Lächeln gekünstelt, die Mimik angestrengt. Doch Leah hat es geschafft, festzuhalten, wie ich mich während des Gesprächs mit ihr gefühlt habe: glücklich, entspannt, stark und schön. Diese guten Gefühle begleiten mich noch den Rest des Tages – und leben immer wieder auf, wenn ich die Fotos anschaue.

Wer Lust bekommen hat, Teil des Fotoprojekts zu sein: Leah freut sich über Anfragen via Instagram.

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