Foto: Franziska Baar

Abenteuer Einsamkeit: Wie ich den Mut fand, alleine zu reisen

Noch vor ein paar Jahren für mich undenkbar, heute gar keine Frage mehr: Ich bin eine dieser Alleinreisenden geworden. Und warum? Weil ich es kann!

Alleine reisen? Ja, seid ihr denn verrückt?!

Vor ein paar Jahren saß ich mit drei Kolleginnen bei einem welken Kantinensalat und einem trockenen Brötchen in der Kantine, als wir auf das Reisen zu sprechen kamen. Die eine erzählte von ihrem bevorstehenden Urlaub in Irland, wohin sie alleine fliegen würde. Sie sagte, sie reise gerne alleine, sie wäre schon hier und dort alleine gewesen, wochenlang, und das sei wunderbar gewesen. Ich – zu dieser Zeit die einzige unter den jungen Kolleginnen in einer langjährigen festen Beziehung – habe mich gewundert. Ich konnte das absolut nicht nachvollziehen. „Niemals”, sagte ich, „niemals im Leben würde ich alleine in den Urlaub fahren.” Mit wem sollte ich denn meine Eindrücke teilen, mit wem über den gewaltigen Sonnenuntergang, über das scharfe Essen und die weißen Sandkörner vor dem türkisblauen Meer sprechen?

Sag’ niemals nie

Heute, nur wenige Jahre später, haben sich unser aller Lebensumstände vollkommen geändert: Zwei von den damaligen Kolleginnen sind mittlerweile verheiratet, eine davon ist Mutter, eine ist schwanger und die dritte in einer langjährigen Partnerschaft. Und ich: Single, ungebunden, unabhängig, kinderlos. In ein paar Tagen fliege ich in den Urlaub – alleine. Von diesem Alleinreisen liest man ja gerade überall im Internet. Es ist ja schon fast zum Trend geworden, als wäre es wahnsinnig cool, alleine zu verreisen und jeder, der in einer Beziehung ist und nicht alleine wegfährt, ist ja sozusagen überhaupt nicht auf dem aktuellen Stand jener Dinge, die man gerade unbedingt machen muss.

Wer nicht alleine in Urlaub fährt, der kann ja gar nicht zu sich selbst finden, der wird sich irgendwann immer und jederzeit fragen, wer er eigentlich ist, weil er ja nie die Gelegenheit hatte, sich mit dem Schnorchel im Mund auf dem Grunde des Pazifiks selbst zu finden, im Antlitz eines lächelnden Clownsfisches (keine Ahnung, ob es im Pazifik Clownsfische gibt, das habe ich mir jetzt nur so ausgedacht). Ich finde gar nicht, dass man alleine in den Urlaub fahren muss, wenn man nicht will – so wie man grundsätzlich gar nix muss, außer sterben und manchmal aufs Klo.

Aber seit ich letztes Jahr alleine in Tansania herumgefahren bin, habe ich einige Dinge über das Alleinreisen gelernt. Das hat schlussendlich dazu geführt, dass ich – ohne lange darüber nachzudenken – alleine ein Reiseziel für dieses Jahr ausgesucht habe und dann auch alleine den Flug gebucht habe. Das war gar keine Entscheidung, die von dem Gedanken ausging: „Ich will alleine verreisen, wegen Selbstfindung und so”, sondern sich eher so ergeben hat, weil ich ein paar Ziele im Kopf hatte, die auf meiner Liste der Must-See-Destinationen standen und ich mich als Single naturgemäß nicht mit jemandem darüber absprechen muss.

Wenn schon die Reiseplanung zur Wissenschaft wird

Ich habe schon ein paar Freunde, auch relativ flexible Singles unter ihnen, und ich weiß, dass ich mit einigen von denen auch gut und gerne drei oder vier Wochen in den Urlaub fahren kann. Aber da müssen schon die Rahmenbedingungen passen. Die Urlaubsplanung im Job zum Beispiel, die haben ja schließlich alle eine feste Stelle. Und dann muss man sich über das Reiseziel einig werden, wie viel Budget man hat und ob man mit dem Rucksack auf dem Rücken oder mit dem Koffer in der Hand loszieht. Ich habe das in der Vergangenheit schon mal versucht. Mit Kurztrips klappt das ja immer problemlos, aber wenn es um größere Reisen geht, wird es schon schwieriger. Um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte keine Lust darauf, wieder hin und her zu überlegen, Pläne zu machen, die wieder zu verwerfen, alle Wenns und Abers mit jemandem zu diskutieren, zu warten, bis jemand sich entschließt, die gleiche Tour zu machen und dann am Ende ohne Reiseziel und Flugbuchung da zu stehen, weil man sich nicht einig werden kann (nicht einmal, weil man nicht will, sondern weil Rahmenbedingungen es einfach nicht zulassen) und deshalb dann doch am Bodensee zu landen. Da ist es auch schön, aber der Bodensee war nicht das war, was ich ursprünglich mit Fernreise gemeint hatte.

Langer Rede, kurzer Sinn: Ich habe alleine gebucht. Der erste Teil meines Urlaubs spielt sich ohnehin in bekannten Gefilden ab, bei meinen Freunden in Tansania nämlich. Da bin ich sowieso nicht alleine, das wird vielleicht ein bisschen wie nach Hause kommen oder zumindest wie ein intensiver Flashback.

Der zweite Teil der Reise wird neu und aufregend und spannend. Die Sache am alleine Reisen ist ja die: Man ist tatsächlich nie ganz alleine. Da gibt es Menschen auf dem Weg, die man trifft und mit denen man ziemlich schnell, ziemlich tiefe Gespräche führt. Ganz wundervolle Menschen habe ich kennengelernt auf meiner Reise im letzten Jahr. Ein Weg, der am Anfang nur meiner war und dann war das plötzlich eine Kreuzung verschiedener Wege von unterschiedlichen Menschen. Man lernt voneinander und geht vielleicht mal einen Schritt zur Seite und nimmt einen anderen Weg. Und daraus ergibt sich ein ganzes Straßennetz, das einem neue Weltsichten ermöglicht, den Horizont öffnet und lauter so spirituelle Dinge, die man nicht immer gut finden muss, die aber immer bereichernd sind. In den drei Monaten in Tansania war ich kaum fünf Minuten alleine. Manchmal hätte ich mir sogar gewünscht, mal alleine zu sein, nur für mich, nicht zu reden, zu lächeln, nett zu sein.

Heimweh wird einem heutzutage sehr schwer gemacht

Und dann sind da noch die Menschen zu Hause; die, die man vielleicht vermissen könnte. Aber es gibt Skype, WhatsApp, FaceTime, whatever – man kann immer und überall Kontakt haben. Man hat fast gar nicht die Möglichkeit, überhaupt Heimweh zu bekommen. Ich zumindest hatte keines, wollte fast nicht mehr nach Hause, aber wenn es hart auf hart gekommen wäre, oder ich doch länger geblieben wäre, hätte sich das Heimweh bestimmt irgendwann eingeschlichen.

Alleine ist ja nicht gleich einsam, das weiß jedes Kind. Alleine wegzufahren heißt meist nicht, dass man einsam ist. Einsam kann man ja bekanntlich sowieso auch dann sein, wenn man unter Menschen ist, manchmal sogar noch einsamer als mit sich selbst. Man muss beim Alleinreisen immer den schmalen Grat zwischen Skepsis und Vertrauen entlang balancieren. Zu wenig Skepsis den Menschen gegenüber bedeutet, im harmlosesten Fall drei Armbänder für zwanzig Euro zu kaufen und im schlimmsten Fall, ausgeraubt zu werden. Wenn man aber gar nicht vertraut, kommt man kein Stück weiter. Man wird in seinem Zimmer sitzen und nichts erleben, wenn man jedem sofort Betrug oder Abzocke unterstellt.

Alleinreisen heißt alleine Entscheidungen zu treffen

Beim Alleinreisen muss man alles mit sich selbst ausmachen. Niemand nimmt einem Entscheidungen ab: Gehen wir heute in diesen Tempel oder an jenen Strand? Nehmen wir den Bus oder fahren wir mit dem Taxi? Fahren wir zur nächsten Stadt oder bleiben wir noch eine Nacht hier? Entscheidungsfreiheit ist schön, aber manchmal will man nichts entscheiden, manchmal will man sich einfach irgendwo dranhängen, sich aufgehoben und geleitet fühlen. Ein bisschen geht das ja schon auch, wenn man alleine ist und andere Menschen trifft, mit denen man weiterzieht, aber auch dafür muss man sich entscheiden.

Wenn man plant alleine zu reisen, gibt es immer wieder auch verunsichernde Kommentare, mit denen man sich rumschlagen muss. Ein Beispiel: „Da braucht man sich ja nicht wundern, wenn  was  passiert!“, eine Aussage, die in die Kategorie: „Kein Wunder, dass die vergewaltigt wurde, die  hatte ja auch einen kurzen Rock an!“, passt. Unverschämt finde ich das – und dumm. Ich spiele ja nicht bei den Hunger Games mit, ich fahre doch nur in den Urlaub!

Alleinreisen lässt dich deine eigene Stimme hören

Vor meiner ersten Reise alleine, hatte ich Angst, ich könnte nicht damit umgehen, meine Erlebnisse nicht mit jemandem zu teilen, den ich wirklich gut kenne. In Tansania habe ich aber festgestellt, dass ich das nicht brauche. Ich kann mir den schönsten Sonnenuntergang aller Zeiten anschauen, ohne dass jemand meine Hand hält, ich kann einer Horde Elefanten beim Überqueren der Straße zusehen, ohne dass meine beste Freundin neben mir mitstaunt. Ich brauche meist nicht mehr als einen Stift und ein Papier, dann kann ich all das aufschreiben.

Alleinesein heißt, seine eigene Stimme nicht mit den Stimmen anderer zu übertönen, sondern sich selbst zu hören. Ganz laut, so laut, dass es manchmal fast schon unangenehm wird. Aber das ist nun mal die Stimme, die man am allerlängsten und beständigsten hört – hören muss – weil sie ja in einem drin ist und man ihr nicht entkommen kann. Und manchmal sagt einem diese Stimme auch Dinge, die man sonst gerne überhört oder auch niemals hören wollte. Man lernt im Alleinsein, sich selbst auszuhalten. Und das ist eine gute Fähigkeit, schließlich sind wir der Mensch, mit dem wir am meisten Zeit verbringen. Bis zum Schluss.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Franziskas Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.

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