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Willkommen in der Reality: Kein Platz für verbeulte Männlichkeit

Der Bachelor, Princess Charming, Love Island – für viele Menschen ist Reality TV ein Guilty Pleasure. Unsere Autorin findet: Von den meisten Datingformaten lässt sich eine Menge lernen. Darüber, wie Männer sich mit Frauen solidarisieren können, zum Beispiel. Zurück zur Startseite

Der Bachelor, Princess Charming, Love Island – für viele Menschen ist Reality TV ein Guilty Pleasure. Unsere Autorin findet: Von den meisten Datingformaten lässt sich eine Menge lernen. Darüber, wie Männer sich mit Frauen solidarisieren können, zum Beispiel. 

Während die meisten Menschen in den letzten zwei Jahren vermutlich nicht besonders viel rumgekommen sind, habe ich ein regelrechtes Inselhopping betrieben: Love Island, Temptation Island, Temptation Island V.I.P, Bachelor in Paradise – keine Insel war mir zu heiß. Ich habe mich vor der (pandemiebedingt) öden Realität in die feurige Reality gestreamt. Was mir anfangs noch etwas peinlich erschien, ist zu einer Leidenschaft geworden, über die ich mich stundenlang austauschen könnte. Und nicht nur das: Ich bin überzeugt davon, dass wir alle etwas lernen, wenn wir mehr Reality TV schauen. 

„Zwischen blinkenden Cocktails und witzigen Flirtspielchen wurde es letzte Woche auf Love Island zur Abwechslung sehr ernst.“

Hat Yasin sich wirklich in seine Verführerin verknallt, obwohl er mit der coolen Alicia zusammen ist? Wird Jessy Adriano sagen, dass sie trans ist oder sollte das beim Kennenlernen keine Rolle spielen? In wie vielen Dating-Formaten will Diogo eigentlich noch auftauchen, ehe er endlich zugibt, dass er schon seit „Ex on the Beach“ mit Vanessa zusammen ist? Was nach einer Mischung aus Seifenoper und Schulhof-Gossip klingt, ist genau das, aber noch so viel mehr. Denn so oberflächlich das Konzept Datingformat auch ist, es hat während der Lockdownmonate nicht nur mein Bedürfnis nach sozialer Interaktion gestillt, sondern mir auch einiges vor Augen geführt, das ich in meiner Realität vermisse. Männer, die andere Männer zur Verantwortung ziehen zum Beispiel! Ganz recht. Zwischen blinkenden Cocktails und witzigen Flirtspielchen wurde es letzte Woche auf Love Island zur Abwechslung sehr ernst.

Aber fangen wir ganz von vorne an: Love Island – die Insel der Liebe (aka Teneriffa) ist nicht nur der einzige Ort, an dem die Teilnehmenden nicht aus anderen Formaten recycelt werden. Es ist auch der Ort, an dem Singles die echte wahre Liebe suchen. Aber: Nur, wer es wirklich schafft und sich mit einer*m anderen Islander*in „vercoupelt“, darf bleiben – wer Single bleibt, muss gehen. Eine Villa mit Wandsprüchen à la „This is where the magic happens“, einem quietschblauen Pool, einer Sundowner-Bar und einem Ankleidezimmer, in dem sich alle in neonfarbene Barbies und Kens verwandeln, sorgt für den richtigen Vibe, um sich entspannt kennenzulernen.

Wer einen Deep Talk mit dem Love Interest führen möchte, zieht sich aufs Day Bed zurück; wer noch unentschlossen ist, mixt sich einen Protein-Shake und beratschlagt sich mit den Boys und Girls in der Hollywoodschaukel. Und immer dann, wenn es gerade niemand ahnt, ertönt ein Signal auf einem der Smartphones: „Naaaaaaaaaaachriiiiiiicht!“ – sobald sich alle Islander*innen versammelt haben, wird vorgelesen, was das Produktionsteam sich heute wieder Kreatives hat einfallen lassen, um den noch zaghaften Annäherungsversuchen auf die Sprünge zu helfen.

Mit verbundenen Augen Sahne vom Bauch schlecken? Kein Problem! In einem Schaumbad-Pool nach den Geheimnissen der anderen tauchen? Schon passiert! Es hat ein bisschen was von Flaschendrehen, nur dass eben alle dran sind. Kneifen ist nicht. Und da man sich nun schon ein bisschen besser kennt, wird diesmal ein kleines Tänzchen gefordert. 

„Als nächstes ist Inna an der Reihe, die sich ihren Weg vorbei an fünf begeistert mitklatschenden Männern hin zu den drei Machotieren vorbeischlängelt.“

Der Reihe nach soll jede Frau die nebeneinander auf Stühlen aufgereihten Männern „sexy antanzen“. Davon kann man nun halten, was man möchte, die Frauen finden’s erstmal witzig, die Männer nur teilweise. Da wir uns nämlich bereits an Tag 11 auf der Liebesinsel befinden, haben sich schon sogenannte Couples gebildet. In Reality-Sprache bedeutet das soviel wie: Man geht miteinander, aber was nach der Show passiert, wird sich zeigen. Einer, der das offensichtlich ernster sieht, ist Bucci, der seit drei Tagen mit Sandrine vercouplet ist und es überhaupt nicht lustig findet, wenn sie mit anderen Männern spricht, geschweige denn für sie tanzt. Ehe die Musik startet, brieft er seine Bros Nico und Mahdi (die beide ebenfalls vercouplet sind) noch schnell, jedes Mal aufzustehen, wenn eine „ihrer“ Frauen mit Tanzen an der Reihe ist. Aus Respekt. Fragt sich nur, vor wem.

Als Vanuschka (das Couple von Mahdi) zu Shirin Davids „Gib ihm“ ansetzt und auf die Männer zudancet, schauen die beiden demonstrativ auf den Boden, Bucci erhebt sich und weicht von der Tanzenden zurück. „Super gemacht“, lobt sie derweil Marc, der vorne in der Reihe sitzt, nachdem Vanuschka irritiert zu den anderen Frauen zurückgeht. „Ich schwöre, richtig mit Class und Style“, bestätigt ihre Freundin Jenny. Verunsichert, aber entschlossen machen die Frauen weiter. Als nächstes ist Inna an der Reihe, die sich ihren Weg vorbei an fünf begeistert mitklatschenden Männern hin zu den drei Machotieren vorbeischlängelt, die griesgrämig nach vorne starren. Diesmal steht niemand auf. Dann ist Sandrine mit dem Tanzen an der Reihe, woraufhin sich das Spielchen wiederholt. Mit dem Unterschied, dass Bucci nicht wegsieht, sondern sauer wird, als „seine Frau“ ihm keinen Kuss gibt. Sie belohnt sein Verhalten mit einer Portion Sprühsahne auf der Nase. Lektion gelernt? Wohl kaum.

„Warum stehst du bei den einen Frauen auf und bei den anderen nicht?“

Als die Frauen die Tanzeinlage für beendet erklären, weil sie sich nicht länger ignorieren lassen wollen, eskaliert die Situation. „Wir sind niveauvolle Frauen, keine von uns würde irgendetwas machen und euch anfassen oder ähnliches. Wir sind alle cool miteinander“, erklärt Sandrine ihrem Couple Bucci vor allen anderen. „Warum stehst du bei den einen Frauen auf und bei den anderen nicht?“ Gute Frage. Anstelle von Bucci antwortet Leonie: „Weil es nicht um euch geht, sondern um die Männer.“ Buccis darauf folgender Abgang wird vom Show-Kommentator (ja, es gibt sogar einen Kommentator) Simon Beeck mit einer „Haltung zum Weglaufen“ bewertet.

Es hätte mich ehrlich gesagt nicht überrascht, wenn es das nun gewesen wäre. In einer anderen Reality hätte man vermutlich noch ein bisschen geschmollt, sich aber irgendwann wieder vertragen, schließlich war ja alles nur Spaß und eigentlich meinten es alle auf ihre Weise nur gut. In dieser Reality ist es aber anders. Denn wir schreiben das Jahr 2022 und es gibt Männer wie Marc und Frauen wie Sandrine. Männer wie Marc erklären nicht nur im Einzelinterview, dass das, was die anderen Jungs gemacht haben, für ihn ein „No-Go“ war, Männer wie Marc suchen auch das Gespräch mit den problematischen Männern

Marc: „Lass uns jetzt mal über die Sache reden. Ich liebe dich, das weißt du, du bist ein Bruder für mich, aber ich hoffe, du verstehst, dass das gerade nicht okay war.“ 

Bucci: „Ich denke einfach anders als du, Marc. Es geht um die Blicke, dieses Angaffen.“ 

Marc: „Bruder, wir hatten Spaß zusammen. Die Mädels haben sich super verhalten, die sind auf Abstand geblieben, es war alles easy. Und von uns Jungs geilt sich keiner heute Nacht im Bett daran auf, dass Sandrine zwei Sekunden vor uns getanzt hat.“ 

Bucci: „Du verstehst nicht, was Sandrine mir bedeutet.“

Marc: „Doch Bruder, das hab ich mitbekommen und das hat mich sehr für dich gefreut. Ich will nur einmal was verstehen: Hast du das aus Respekt ihr gegenüber gemacht oder den Jungs?“

Bucci: „Beides.“ 

Dass es hier in Wahrheit um toxische Männlichkeit par exellence geht, bestätigt das klärende Gespräch mit Sandrine. 

Bucci: „Es ging nicht um euch. Es ging um Nico, Mahdi und mich.“ 

Sandrine: „Doch, es ging um uns, weißt du warum? Wir haben Anstand und Stil und haben das Spiel mitgespielt, weil wir wussten, worauf wir uns einlassen. Wenn ihr aufsteht und wegschaut, während wir tanzen, geht es um den Respekt unter euch und nicht um den Respekt gegenüber uns Frauen.“

Amen. Tatsächlich würde dieser Abend, wie von Simon Beeck zu Beginn der Sendung prophezeit, in die Geschichte von Love Island eingehen. Denn in diesem Fall muss nicht der die Insel verlassen, der kein Couple hat, sondern der, der keinen Respekt vor Frauen hat. Und so lauten die Abschiedsworte der Produktion an Bucci: „Bei uns geht’s um Liebe und Spaß und nicht um schwer verbeulte Männlichkeit.“

„So schnell lassen sich die Rollenklischees dann doch nicht aus dem Programm streichen.“


Natürlich folgte direkt am nächsten Tag ein weiteres primitives Spiel, bei dem die Männer als Superhelden verkleidet die Frauen aus einer imaginären Notsituation retten sollten – so schnell lassen sich die Rollenklischees dann doch nicht aus dem Programm streichen. Aber dafür, dass ich in meiner Realität noch nie Zeugin eines Gesprächs wurde, in dem ein Mann einen anderen Mann respektvoll gebeten hat, sein Verhalten zu hinterfragen, bin ich dann doch schwer beeindruckt von dieser Reality. Vielleicht hätte Will Smith auch mal einschalten sollen. Von Marc hätte er definitiv noch was lernen können. 

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