Auf dem Bild ist eine Frau mit dunklen Haaren und Jeans zu sehen, die auf dem Sofa liegt und ausgelassen lachend ihre Tochter in den Armen hält.
Foto: Ketut Subiyanto | Pexels

Alleinerziehende brauchen kein Mitleid und keine Abscheu – sondern Unterstützung!

Unsere Autorin ist überzeugt: Ohne das immer noch aufrechterhaltene Bild von der armen, bemitleidenswerten Alleinerziehenden würden jede Menge Frauen längst nicht mehr mit ihren Partnern zusammenleben.

Als mein Teenager klein war, kam mal eine verheiratete Kollegin zu Besuch in meiner kleinen Wohnung in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain – zwei Zimmer, 279 Euro (das waren Zeiten!). „Dein Ex zahlt für diese Wohnung, oder?“, fragte sie. „Wie denn“, sagte ich. „Was denn.“

Die Kollegin war eine Irin, nur ein bisschen älter als ich, die mit einem Deutschen verheiratet war. „Nils hat es mir erklärt“, sagte sie. „Wie das in Deutschland funktioniert. Er sagt, du zahlst deine Miete gar nicht alleine. Dein Ex muss das für dich zahlen. Jetzt wird er immer für zwei Wohnungen zahlen müssen – weil du entschieden hast, ihn zu verlassen! Irgendwie tut er mir auch leid.“ Ihre Missbilligung füllte den ganzen Raum – aber ich, ich war eigentlich nur verwirrt. „Paul ist noch Student“, sagte ich. „Und muss gar nichts zahlen. Das Jobcenter übernimmt das für mich, eigentlich.“

Ich bin Sozialschmarotzerin, keine Golddiggerin!

GET IT RIGHT, BITCH, dachte ich mir: Ich bin Sozialschmarotzerin, keine Golddiggerin! Warum hatte Nils so was Komisches erzählt? Meine Kollegin tat jetzt so, als ob es ihr schaudern würde. „Ich könnte das gar nicht!“, sagte sie. Sie zitterte fast vor Angst. „Alleine Wohnen! Mit den Kindern! Ohne den Mann! Gaaaaaanz alleine. So schrecklich, die Idee. So grauenvoll. Alleine im Bett jede Nacht – so kalt, die Vorstellung! Niemanden, den man anrufen kann, wenn die Waschmaschine kaputtgeht. Oh, überhaupt. Ich würde mich“ – jetzt flüsterte sie ganz leise, so dass die Kinder es nicht hören würden – „umbringen müssen!“ Ich nickte.

Es war nicht das erste Mal, dass ich so was hörte. Ich finde dieses Mitleid, das viele Menschen offenbar mit Alleinerziehenden verspüren, interessant. Immer Mitleid, nie Mitgefühl. Mitleid, gemischt mit Abscheu. Die arme Alleinerziehende, alleine mit den Kindern. Alleine mit der Wäsche. Alleine in einem kalten Bett. Allein, allein, allein. Man fühlt Mitleid mit diesen armen Frauen – diese armseligen Frauen, mit ihren leeren Leben in ihren kalten Wohnungen. In ihren kalten Betten! Ich glaube: Wenn man Mitleid nimmt, die Abscheu rausnimmt, und mit Neugier und Empathie mischt, ergibt das Mitgefühl. Mitleid – Abscheu + Neugier + Empathie = Mitgefühl. Merkt ihr das! Wenn man tatsächlich interessiert wäre, Neugier und Interesse hätte an der Realität von alleinerziehenden Frauen in Deutschland, würde man wissen, dass unsere Betten gar nicht so kalt sind – meins auf jeden Fall nicht.

Mit Einsamkeit haben unsere Probleme nichts zu tun!

Wie viele andere Alleinerziehende in Deutschland wohne ich in einer WBS-Wohnung, also eine Wohnung mit Wohnberechtigungsschein. Eine Drei-Zimmer-Wohnung. Ich habe gar kein Schlafzimmer – ich schlafe im Wohnzimmer. Um drei Uhr früh kommt der Kleine aus seinem Kinderzimmer gerannt, um mir zu sagen, dass alleine schlafen gar nicht „comfy“ ist. Das heißt, wir schlafen beide auf meinem kleinen Sofabett, sein heißer Körper drückt gegen mich. Manchmal nimmt er mir so viel Platz weg, dass ich rausfalle, und er guckt mich an und fragt neugierig, warum ich das mache. Na ja, okay gut, wenn ich ein Schlafzimmer hätte, würde er auch dann wahrscheinlich zu mir rennen, irgendwann mal, in der Nacht. Aber der Punkt ist klar, oder?

Die Probleme von Alleinerziehenden haben mit Einsamkeit nichts zu tun. Unsere Leben sind schwer – aber sie sind nicht kalt oder einsam oder traurig. Wir haben oft bunte, volle, warme Leben. Aber oft auch Leben, die verdammt schwierig sind. Die sind nicht schwierig, weil wir einsam sind. Weil wir einen Mann verpassen. Sie sind schwierig, weil die Gesellschaft uns das Leben schwer macht. Und man bemitleidet uns. Während der Coronazeit, im Wahljahr, und überhaupt sind viele Krokodilstränen geflossen wegen uns armen Alleinerziehenden! So viel Mitleid. Wegen uns müsste der Lockdown sofort beendet werden – wegen uns dürfte das Tempolimit nicht aufgehoben werden. Wir armen Opfer. So nett, dass man an uns denkt – aber es kommt mir manchmal vor, als ob Mitleid mit alleinerziehenden Müttern nur dann genutzt wird, wenn es sowieso nützlich ist. Wenn aber etwas geändert werden soll, wovon NUR Alleinerziehende profitieren würden – fließen die Tränen plötzlich nicht so stark.

„Die Probleme von Alleinerziehenden haben mit Einsamkeit nichts zu tun. Unsere Leben sind schwer – aber sie sind nicht kalt oder einsam oder traurig. Wir haben oft bunte, volle, warme Leben. Unsere Leben sind schwer, weil die Gesellschaft uns das Leben schwer macht.“

Die größten Loserinnen aller Zeiten

Und was ich echt merkwürdig finde, ist dieses Paradox: Auf der einen Seite stehen Alleinerziehende als Symbol für die größten Loserinnen aller Zeiten – wir werden als Menschen dargestellt, denen es nicht schlimmer gehen könnte. Und gleichzeitig kursieren die verrücktesten Fantasien darüber, wie einfach es uns gemacht wird! Wenn man alleinerziehend ist, kriegt man SOFORT einen Kitaplatz, sagte mir eine verheiratete Mutter auf dem Spielplatz. Wenn man alleinerziehend ist, kriegt man SOFORT den WBS-Schein, erzählte mir meine gute Freundin Lina. Und wenn man alleinerziehend ist, zahlt das Jugendamt die Kitakosten, oder, fragte mein guter Kumpel Stefan. Oder? Und neulich im Internet versicherte mir ein weißer junger kinderloser Typ, dass, wenn man alleinerziehend ist, man einfach nur mit der WBS-Bescheinigung bei Wohnungsbauunternehmen wie der Degewo erscheinen müsse, und man kriege SOFORT eine Wohnung – zugewiesen! (Lachpause für alle).

Diese Gerüchte sind paranoide Fantasien – genau wie die Fantasien, die Pegida-Anhänger*innen haben, von Flüchtlingen, die in von Sozialhilfe bezahlten Taxis zu AOK-bezahlten Schönheits-OP-Kliniken gefahren werden. Interessant ist, dass alle diese Fantasien über Single-Mom-Privilegien glauben, auch Menschen, die eigentlich gar nicht frauenfeindlich oder sexistisch oder klassenfeindlich sind. Das liegt daran, dass über die Single-Mom-Realitäten so selten gesprochen wird. Denn was man sich wirklich fragen müsste: Warum, wenn es für uns Alleinerziehende tatsächlich so viele Vorteile in unserer Gesellschaft gäbe, empfindet man überhaupt Mitleid mit uns?

Die Funktion von Mitleid mit Alleinerziehenden

Es ist wichtig zu erkennen, dass dieses Mitleid eine Funktion hat: nämlich Abscheu erklären. Uns zu verstehen geben, dass wir scheiße sind, basically. Einsam, traurig – Randfiguren. Warum hat Nils meiner früheren Kollegin erzählt, dass ich von meinem Ex „meine Miete“ bezahlt bekomme? Er wollte nicht, dass sie sieht, dass es möglich ist, unabhängig von einem Mann zu leben – wollte ihr zeigen, dass ich zu bemitleiden bin. Ich glaube, der Grund für dieses Mitleid ist, dass es verheiratete Frauen abschrecken soll. Ah, die arme Alleinerziehende – ihr Leben so kalt, so grausam, so schrecklich – im Vergleich zu der glücklichen Ehefrau. Ich glaube, ganz im Ernst: Wenn die Alleinerziehende nicht so eine tragische Figur wäre – und wenn die Gesellschaft Alleinerziehenden gegenüber solidarischer und fairer handeln würde – würde es viel weniger Frauen geben, die bei ihren Männern bleiben.

Fakt ist auch, dass das Wort „Alleinerziehende“ so viele verschiedene Menschen beschreiben kann. Es gibt weiße deutsche Frauen, in festen, gut bezahlten Stellen, die um die Ecke von ihrer Mama wohnen und 50/50 mit ihrem Ex machen. So viel Mitleid braucht so eine Frau wirklich nicht! Es gibt weiße ausländische Frauen, die den Vater ihres Kindes gar nicht kennen und so viel verdienen, dass sie eine Nanny bezahlen können. Princess Diana war auch alleinerziehend, als ihre Jungs im Internat lebten (na gut, für die soll man wahrscheinlich doch ein bisschen Mitleid spüren!). Aber die Struggles können sehr unterschiedlich sein. Wir sind nicht im selben Boot. Far from it. Aber auch die tatsächlich „armen“ Alleinerziehenden – die, die von Hartz IV leben oder prekär: Was sie brauchen, ist kein Mitleid. Sondern Mitgefühl, Empathie und eine faire Gesellschaft. Und einen WBS-Schein für eine Wohnung, in der ein Wohnzimmer vorgesehen ist!

  1. Liebe Jacinta, danke für deinen schwungvollen Kommentar, dem ich voll und ganz zustimmen kann. Ich für meinen Teil war gerne alleinerziehend und habe es gehasst, in die Opferrolle gedrängt zu werden. Unser Zuhause war und ist ein magischer, sehr lebendiger, offener Ort voller Lebensfreude und Spaß, um den uns viele beneidet haben. Und ja, Probleme gab es wie in jeder anderen Familie auch, Fakt aber ist: Uns Dreien hat es an nichts gefehlt (obwohl ich keine Unterstützung hatte seitens der Familie, einen Vollzeitjob und jedes Jahr ein neues Familienmitglied an Bord hatte, nämlich ein Au-pair-Mädchen, ohne das ich nicht hätte arbeiten gehen können). Ich habe also absolut meinen Frieden mit dem Status „alleinerziehend“ gemacht – nicht so der Staat und die Gesellschaft. Dass ich nach wie vor fast genau die gleiche Steuerklasse habe wie ein Single ohne Kinder, keinerlei Unterstützung bekommen habe in den von dir aufgeführten Dingen (Kita, Betreuung, etc), nehme ich meinem Land echt übel, zumal es keine Gelegenheit auslässt, das Feuerchen unter dem Mitleidstopf anzuheizen – was sind wir Alleinerziehenden doch arm! Richtig krass finde ich übrigens die Einmischung des Staates, wenn man als Alleinerziehende eine WG gründen oder gar in eine neue Beziehung mit gemeinsamen Wohnort gehen will: sobald ein weiterer Erwachsener mit dir die Wohnung teilt und der Haushalt nicht getrennt ist, verliert man den Status der Alleinerziehenden und damit die (nichtige) Steuerklasse 2… das letzte bisschen staatlichen Bonus für jemanden wie mich oder dich. iIch hab Puls, wenn ich das nur schreibe…
    Nunja, ich bin jetzt 54 und meine Kinder erwachsen, wir sind ein eingeschworenes Team und mehr Familie, als manch eine Mutter-Vater-Kind-Konstellation es jemals war. Ich konnte es mir glücklicherweise leisten, arbeiten zu gehen (Zynismusschalter off), denn als Redakteurin mit Tarifgehalt ließen sich 800 Euro Betreuungskosten immer irgendwie stemmen… Glück gehabt!
    Kollegiale Grüße, Heike Nickel

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Anzeige