Wie geht es Frauen in der Pandemie? Mit dem ersten Lockdown 2020 endete der gewohnte Alltag auf unbestimmte Zeit. Die Porträtfotografin Pamela Rußmann hat verschiedene Frauen über zwei Jahre virtuell begleitet, mit ihnen über Existenzängste und Zukunftspläne gesprochen und sie durch die Webcam hindurch mit ihrer Kamera porträtiert.
„Irgendwann geht auch das vorbei“ – der Titel ihres Porträtbands gibt Hoffnung. Pamela Rußmann arbeitet als Fotografin in Wien. Sie ist auf die Nähe zum Menschen angewiesen und musste wie so viele Künstler*innen in den letzten zwei Jahren erfinderisch werden. Um nicht ihre Arbeit (und den Verstand) zu verlieren, beschloss sie, andere Frauen, die in ihren Lockdownräumen sitzen, via Videochat in ihren Lockdownraum zu holen.
Pyjamas und schöne Kleider
„Wie viele andere saß auch ich plötzlich nur mehr in Zoommeetings den halben Tag. Ich war fasziniert von dem Panoptikum an Gesichtern, die ich nun auf meinem Bildschirm hatte. Manche Meetingteilnehmer*innen waren schön angezogen, andere saßen im Pyjama auf der Couch, ich habe plötzlich intime Einblicke bekommen in fremde Küchen, Wohnzimmer, Kinderzimmer, ich habe Bücherwände von Leuten gesehen, die ich eigentlich gar nicht gut kenne. Und weil ich von dieser Ästhetik recht angetan war, habe ich eine befreundete Schauspielerin – die ebenfalls arbeitslos in ihrer Wohnung saß – gefragt, ob sie mit mir ein Porträtshooting über Zoom ausprobieren mag. Das war am 23. März 2020. Sarah ist nun auch am Cover des Buches. Mit ihr hat die Reise begonnen.”
„Heute geht es mir gut. Ich bin ausgeschlafen und motiviert für die neue Woche. Ich bin ganz gern zu Hause, momentan ist das noch kein Problem für mich.“
Nachdem das erste Fotoexperiment über Zoom gut funktioniert und Pamela gemerkt hatte, dass sie nicht nur an den Bildern, sondern vor allem daran interessiert war, wie ihr Gegenüber diese Ausnahmesituation verkraftet, fragte sie über eine Instagramstory in die Welt hinaus, ob noch mehr Menschen Lust hätten, ein Porträtshooting und Interview über Videotelefonie mit mir zu machen. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, wohin diese Idee führen würde. Doch letztlich meldeten sich insgesamt 35 Frauen (ausschließlich Frauen), die von Pamela interviewt und fotografiert werden wollten.
„Ich wollte möglichst viele Lebensrealitäten dokumentieren.”
„Einige von ihnen kenne ich seit vielen Jahren, aber viele habe ich bis dato persönlich noch gar nicht getroffen. Ich wollte möglichst viele Lebensrealitäten von Frauen in verschiedenen Ländern dokumentieren. 21 Frauen sind nun im Buch abgebildet, diese habe ich fast alle über den gesamten Zeitraum, also vom 20. März bis zum 21. Dezember, mehrfach online getroffen. Die jüngste Frau war zu Beginn der Beobachtung 24 Jahre alt, die älteste 50.”
Es sind Singles dabei, verheiratete Frauen, frisch verliebte, frisch getrennte, Patchworkmamas, traditionelle Mutter-Vater-Kind-Konstellationen, Alleinerziehende, Kinderlose, selbstständig Erwerbstätige und Angestellte.
„Vor einem Jahr war ich glücklich, dass ich fest angestellt war und mir keine finanziellen Sorgen machen musste. Aber inzwischen habe ich gekündigt und mich selbstständig gemacht. Und selbst wenn ich daran denke, dass ich mich in einer Situation wiederfinden könnte, wo das Geld vielleicht nicht ausreichend vorhanden ist, war es die beste Entscheidung. Und das ist zum Beispiel eine Sache, die sich notwendig anfühlte und die ich mich vor der Pandemie nicht getraut hätte.“
Nicht nur das Leben der Frauen vor Pamelas Kamera hat sich in den Pandemiejahren verändert. Auch ihre eigene Arbeit und Perspektive wurde durch diese Zeit geprägt.
„Mein Bewusstsein für den Moment ist stärker geworden. Das Leben ist wahnsinnig zerbrechlich einerseits, auf der anderen Seite aber auch enorm kraftvoll. Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschheit spätestens jetzt bewusst wird, dass wir nicht der Mittelpunkt des Planeten sind – und schon gar nicht die Krone der Schöpfung, ein entsetzlicher Terminus! – sondern dass wir Teil eines großen Ganzen sind und alles mit allem verbunden ist und dass auf einem endlichen Planeten kein unendliches (Wirtschafts-)Wachstum möglich ist.”
„Wir sind Teil eines großen Ganzen”
Eine Situation, die Pamela sehr berührt hat, war die von Sylvia. Sylvia ist gebürtige Österreicherin, die zu Beginn der Pandemie aber gerade in Brüssel lebte und sechs Wochen vor dem ersten Lockdown ihr erstes Kind auf die Welt gebracht hatte. Das muss man sich mal vorstellen: fremdes Land, fremde Sprache, keine Verwandten oder Freund*innen in der Nähe als Unterstützung, zwar den Papa des Sohnes in der Wohnung (der aber auch mit dem Homeoffice gestrugglet hat) und zugleich nicht das Haus verlassen dürfen.
„Ich wünsche mir für selbstständige Mütter wie mich mehr Unterstützung. Ich habe wirklich Angst davor, was passieren würde, wenn ich an Corona erkrankte und zwei Wochen mit schweren Grippesymptomen im Bett liegen müsste. Das ginge schlichtweg nicht.“
Ebenfalls besonders im Gedächtnis geblieben ist Konstanze, eine Medizinstudentin, die im Krankenhaus direkt mit Covid-Patient*innen zu tun hatte. „Sie hat unter anderem den klugen Satz gesagt, dass wir um unsere Leben auch trauern dürfen, die sich nun anders entwickeln, als wir uns das mal dachten.”
Auszeit vom Wahnsinn
Diese sehr persönlichen, mal lustigen, mal emotionalen Zoomdates in den vier Lockdowns waren sowohl für die Frauen als auch für Pamela eine Mischung aus Auszeit vom Wahnsinn („ein bisschen wie ein Therapiegespräch”), Verbindung zueinander und der Möglichkeit, den eigenen Blick wieder zu weiten. „Unsere Welt ist enger, kleiner geworden in den letzten zwei Jahren. Wir haben sehr intime Gedanken und Gefühle ausgetauscht – dafür bin ich den Frauen enorm dankbar, dass sie mir so viel Vertrauen entgegengebracht haben. Ich fühle mich ihnen wirklich sehr verbunden.”
Wie geht es nun weiter, da das Buch veröffentlicht, die Pandemie aber noch immer nicht vorbei ist? „Ich werde auch 2022 wieder bei meinen Frauen nachfragen, wie sie ihr Leben nun gestalten und was sich getan hat, aber nicht im Hinblick auf eine Fortsetzung als Buch. Ich habe allerdings andere Ideen für weitere Buchprojekte, und diese werde ich nun anstoßen”, erklärt Pamela. Und wie steht es um die Hoffnung?
„Kommt es hart auf hart, kann ich auf vieles verzichten. Es muss nur einen Sinn ergeben, ein Nutzen muss erkennbar sein. Wenn man den Sinn hinter dem Verzicht nicht sieht, dann wird’s schwer.“
„Ich kenne Momente der Einsamkeit und Hilflosigkeit. Eingebettet zu sein in ein Netzwerk aus Frauen hilft auf jeden Fall. Der persönliche Austausch hat für mich während der Pandemie noch mehr an Bedeutung gewonnen. Oft meint man, man sei allein mit einem Problem – aber spätestens, wenn man sich öffnet und in einem Gespräch, zum Beispiel bei einem Spaziergang mit einer guten Freundin, seine Ängste oder Befürchtungen rauslässt, spürt man: Okay, es geht nicht nur mir so. Egal, ob in einer persönlichen Krise, in der Pandemie oder aktuell mit dem europäischen Krieg, mit dem wir konfrontiert sind. Wir Menschen brauchen einander. Sich Unterstützung zu holen ist so wichtig. Und wenn man Scheu davor hat, um Hilfe zu fragen, dann einfach mal die Perspektive wechseln: Jeder Mensch hat gern das Gefühl, gebraucht zu werden!”
Pamela Rußmann: Irgendwann geht auch das vorbei. Frauen in Zeiten von Corona, Leykam, 2022, 24 Euro
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