Foto: Julian Lausen

Podcast „Drinnies“: „Wir hoffen, es geht euch gut – und wenn nicht, ist auch okay“

Was tun, wenn eine unbekannte Nummer anruft oder ein*e Handwerker*in die Wohnung betreten muss? Im Podcast „Drinnies“ geben Giulia Becker und Chris Sommer introvertierten Menschen Tipps für die persönliche Komfortzone. Ein Interview.

„Wir hoffen, es geht euch gut – und wenn nicht, ist auch okay.” So beginnt jede Folge des Podcasts „Drinnies“ von Comedy-Autor*innen Giulia Becker und Chris Sommer. Beide sagen, sie fühlen sich zuhause am wohlsten, hier will niemand mit ihnen „ein Bierchen trinken“ oder sich „wegen neuer Projekte connecten“.

Aus diesem Lebensgefühl machen sie ihren Podcast „Drinnies“, mit dem sie für den Deutschen Podcast Preis nominiert sind. Ein Podcast von und für Menschen, die lieber allein und für sich sind, die gerne drinnen sind, die ihre Komfortzonen lieben und verteidigen. Sie machen ihren Podcast „von drinnen with love“ und sprechen mit uns digital darüber.

Giulia und Chris, welche Lockdown-Regeln oder -Gegebenheiten würdet ihr gerne nach Corona beibehalten?

Chris: „Den Mindestabstand finde ich echt eine gute Sache, weil es eine Art von gesundem Abstand zu fremden Leuten ist.“

Giulia: „Ich finde sehr gut, dass viele Meetings, die man früher hatte, wegfallen. Vor allem Meetings, von denen man danach sagt: Ja, dieses Meeting hätte jetzt auch eine E-Mail sein können. Die sind jetzt tatsächlich eine E-Mail und das gefällt mir.“ 

Viele haben so langsam überhaupt keinen Bock mehr, drinnen zu hocken – geht es euch auch so? 

Giulia: „Es geht langsam tatsächlich an die Substanz. Selbst bei uns, bei denen das ja eigentlich kein so großes Problem ist, drinnen zu bleiben, ist langsam ein Punkt erreicht, wo es nicht mehr so leicht ist. Uns geht es aber nicht so schlimm wie vielen anderen.“ 

Chris: „Dennoch ist es schon eine sehr, sehr lange Durchhalteübung, die wir so auch noch nie hatten.“ 

Hat man es als Introvertierte*r in Zeiten von Corona leichter oder schwerer?

Chris: „Ich habe den Eindruck, dass ich vielleicht eine bessere Vorbereitung auf die Situation gehabt habe als andere, weil ich einfach nicht so stark auf sozialen Kontakt angewiesen bin, um mich gut zu fühlen. Ich denke, dahingehend hab ich es persönlich jetzt schon leichter gehabt als andere.“ 

Giulia: „Wenn man einen hohen Grad an Introversion in sich trägt, dann kann man halt auch sehr gut alleine sein. Ich konnte das schon immer. Von daher war das jetzt nicht so eine große Fallhöhe, als es dann plötzlich hieß: du musst jetzt alleine zu Hause bleiben. Es war eigentlich angenehm für uns. Wir können es aber auch sehr gut verstehen, wenn das anderen schwerfällt. Wir haben einfach einen kleinen Heimvorteil.“

„Den Mindestabstand finde ich echt eine gute Sache, weil es eine Art von gesundem Abstand zu fremden Leuten ist.“

Chris Sommer

Wann habt ihr zum ersten Mal gemerkt, dass ihr eher introvertiert seid?

Chris: „Als Teenager, wenn meine Freunde gerne was unternehmen wollten und mich gefragt haben, ob ich auch mitkomme, habe ich gemerkt, dass ich mich da eigentlich eher vom sozialen Kontakt in der Schule erholen muss und lieber gesagt habe: ,Nee, ich bin müde.‘ Ich konnte das damals noch nicht zuordnen, wo dieses Gefühl herkommt, aber rückblickend habe ich verstanden, dass es damit zusammenhängt, dass mich sozialer Kontakt in einem gewissen Maße auch ermüdet.“ 

Giulia: „Nach der Schule bin ich nach München gegangen und hab da kurz in einer WG gewohnt, mit zwei völlig fremden Menschen, die ich vorher nicht kannte. Ich bin da wirklich ein halbes Jahr lang nicht in die Küche gegangen, um denen nicht zu begegnen. Da hab ich gemerkt: Okay, irgendetwas ist anders.“ 

Foto: Julian Lausen 

Giulia Becker und Chris Sommer leben und arbeiten in Köln. Wenn sie nicht gerade zusammen ihren wöchentlichen Podcast „DRINNIES“ auf dem Dachboden aufnehmen, sind sie in der deutschsprachigen Medien-Bubble unterwegs. Giulia arbeitet als Autorin, veröffentlichte 2019 ihren Debütroman „Das Leben ist eines der härtesten“, schrieb u. a. für „Neo Magazin Royale“ und wurde u. a. durch ihre Songs „Verdammte Sche*de“ und „Monstertruck“ einem größeren Publikum bekannt. Chris arbeitet ebenfalls als Autor, schreibt u. a. für die ARD-Comedyserie „Kroymann“, das „ZDF Magazin Royale“ und „Browser Ballet“ von funk. Beide sind außerdem ziemlich lustig auf Twitter.

Wie haben die Leute darauf reagiert?

Chris: „In meiner Erfahrung wurde das oft so gedeutet, als ob ich keine Lust auf meine Freund*innen hätte. Aber dabei ging es ja nur darum, dass ich zwar Lust auf sie, aber keine Energie für soziale Kontakte hatte.“

Giulia: „Ich war einfach ein Alien in dieser WG. Ich war nur in meinem Zimmer und fand die aber auch mega seltsam, weil die total extrovertiert waren und immer zusammen gekocht und Leute eingeladen haben. Ich war dann mega erleichtert, als ich nach einem halben Jahr wieder ausgezogen bin.“

Was sind denn für euch die typischen Eigenschaften eines „Drinnies“?

Chris: „Ein Drinnie ist eine Person, die am liebsten in ihrer gewohnten Umgebung ist und nicht nur physisch, sondern auch innerlich gern drinnen bleibt.“ 

Giulia: „Und vielleicht auch nicht aus den sozialen Kontakten Energie schöpft, sondern eher andersherum: Dass wenn man unter Leuten war, danach erst einmal Zeit für sich braucht, um sich wieder zu regenerieren.“ 

„Ich glaube, wir brauchen erst wieder so ein Resozialisierungsprogramm, wenn die Pandemie vorbei ist.“

Giulia Becker

Gibt es bei euch jetzt aktuell bestimmte Situationen, in denen ihr besonders merkt, dass ihr Ruhe braucht, dass ihr lieber für euch seid? 

Chris: „Letztens war ein Handwerker bei uns und da hab ich schon gemerkt, es ist eine andere Fallhöhe, jetzt, wo man so wenig Kontakt zu anderen Leuten hat, wenn dann eine fremde Person in deinen geschützten Raum kommt und dort ein paar Stunden verbringt. Ich bin das überhaupt nicht mehr gewohnt.“

Giulia: „Es trifft dich gerade in der Coronazeit noch mal anders, wenn Leute anrufen oder reinkommen, weil man sich jetzt sehr lange daran gewöhnt hat, alleine zu sein. Ich glaube, wir brauchen erst wieder so ein Resozialisierungsprogramm, wenn die Pandemie vorbei ist.“

Wenn man zu Introversion recherchiert, findet man einige Artikel mit Tipps und Tricks, wie man weniger introvertiert wirken kann. Warum, glaubt ihr, ist Introvertiertheit häufig negativ konnotiert?

Giulia: „Wir leben halt in einer ultra neoliberalen Gesellschaft. Da ist es natürlich immer gern gesehen, wenn man zusammen irgendwie abhängt und Bier trinkt oder sich gegenseitig erzählt, was man wieder Geiles erlebt hat. Leute, die dann irgendwie ein bisschen ruhiger sind oder lieber für sich sein wollen, die fallen dann schon mal hinten rüber. Ich hoffe, dass wir einen kleinen Teil dazu beitragen können, dass den Leuten klar wird: Es ist gut, wenn es auch introvertierte Menschen gibt. Die sollen bitte so bleiben, wie sie sind, solange sie nicht komplett darunter leiden. Und wir wollen ein bisschen den Druck wegnehmen, sodass es durchaus okay ist, sich einfach mal zurückzuziehen und einzuigeln.“ 

Gibt es auch Situationen, in denen euch eure Introvertiertheit im Leben weitergeholfen hat? 

Chris: „Es gibt Zeiten, wo ich in meinem Job als Autor viel alleine arbeiten muss und mich auf meine Sachen konzentrieren muss. Ich glaube, da hilft es mir, dass ich jetzt nicht sagen muss: Ich brauche jemanden an meiner Seite, mit dem ich kommunizieren kann.“

Giulia: „Ich als Drinnie bin sehr viel mit meinem Innenleben beschäftigt, weniger als mit meiner Außenwirkung. Und dadurch reflektiert man noch ein bisschen mehr die Sachen, lernt schneller dazu. Ich glaube, dass ich kritikfähiger bin als andere, vor allem weil ich mich selber auch permanent hinterfrage, reflektiere und das als normal erachte. Es würde einigen Menschen guttun, sich auch ein bisschen mehr mit ihrem Innenleben zu beschäftigen.“

„Es war für mich weniger aufregend vor 500 Leuten zu lesen, als meine Bestellung bei der Bäckerei aufzugeben.“ 

Giulia Becker

Ihr steht beide zu einem gewissen Grad in der Öffentlichkeit: Du, Giulia, bist schon mit dem Rundfunktanzorchester aufgetreten oder saßt in Talkshows. Und in eurem gemeinsamen Podcast richtet ihr euch ja auch an eine Öffentlichkeit. Wie geht das mit eurem Drinnie-Lifestyle einher?

Chris: „Auf der Bühne oder auch im Podcast kann ich die Situation kontrollieren. Wenn ich auf eine Bühne gehe, dann weiß ich, was dort passieren wird, weil ich die Zügel in der Hand halte. Wenn ich aber einkaufen gehe und mich eine fremde Person an der Supermarktkasse in Small Talk verwickelt, bin ich nicht darauf vorbereitet. Das ist eine Situation, die ich nicht gerne mag.“

Giulia: „Ich hatte auch nie Probleme damit, in der Öffentlichkeit zu stehen. Wenn ich eine Lesereise gemacht habe, dann wusste ich: Ich habe mein Buch, darauf kann ich mich verlassen, daraus lese ich vor und es ist alles ein kontrollierbares Setting. Ich weiß vorher, worauf ich mich einlasse. Es war für mich weniger aufregend, vor 500 Leuten zu lesen, als meine Bestellung bei der Bäckerei aufzugeben.“ 

„Wenn ich weiß, dass ich keine Bestellung, keine Lieferung erwarte, wird die Klingel ausgeschaltet. Da mache ich gar nicht erst die Tür auf.“

Chris Sommer

Wie sieht die Grundausrüstung eines Drinnies aus? 

Giulia: „Man braucht auf jeden Fall bequeme Puschen, das ist wichtig! Wir haben verschiedene Heizdecken. Chris hat echt den Vogel abgeschossen, er hat jetzt ein Heiz-Cape, das man sich umhängen kann. Das wärmt dann auch noch den Nacken und den Rücken mit. Von Vorteil sind bequeme Polstermöbel; ein bequemes Sofa und ein bequemes Bett und natürlich diverse Gadgets. Eine Mikrowelle ist ein Muss. Wir haben auch eine Eiswürfelmaschine, darauf lassen wir auch nichts kommen. Das war mein Pandemie-Kauf. Man muss es sich zu Hause schön machen. Da sind wir auch nicht so die Verfechter des Minimalismus, sondern eher so: Alles ist erlaubt, was irgendwie ein wohliges Gefühl zu Hause gibt.“ 

Und habt ihr bestimmte Drinnie-Strategien?

Chris: „Wenn ich weiß, dass ich keine Bestellung, keine Lieferung erwarte, wird die Klingel ausgeschaltet. Da mache ich gar nicht erst die Tür auf. Das ist so ein Grundsatz, den ich mir gelegt habe. Warum sollte ich an die Tür gehen, wenn ich nichts erwarte?“ 

Giulia: „Geht auf keinen Fall ran, wenn Leute mit unterdrückter Nummer anrufen. Und wenn es eine Nummer ist, die wir gar nicht kennen, dann wird erst mal abgewartet, bis der Anruf vorbei ist. Dann wird die Nummer gegoogelt. Dann werden Leute gefragt, ob sie die Nummer kennen. Wenn nicht, ist der Anruf nie passiert.“ 

Chris: „Oder man speichert die Nummer ab und guckt bei WhatsApp, ob da ein Profilbild zu erkennen ist.“

Giulia: „Wir gehen auch oft einfach nach 23 Uhr einkaufen. Das ist auch sehr zu empfehlen, da ist einfach wenig los und man kommt nicht in unangenehme Situationen. Man kann sich das Leben schon vereinfachen. Vor allem in der Großstadt ist viel möglich.“ 

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Podcast für Introvertierte zu machen? 

Giulia: „Die Idee hatten wir schon länger. Dann kam plötzlich die Pandemie und wir haben gesagt: Okay, wir sitzen jetzt eh zu Hause. Wir arbeiten zusammen bei anderen Projekten und wir haben relativ viel Spaß, wenn wir miteinander sprechen. Also wenn ein Zeitpunkt gut ist, dann ja wohl jetzt.“ 

Wie wird der Podcast von euren Hörer*innen aufgenommen? Welches Feedback bekommt ihr?

Chris: „Es ist erstaunlich, wie viele Leute uns schreiben: Boa, ich wusste gar nicht, dass ich ein Drinnie bin, aber jetzt weiß ich es und es ist schön und befreiend und ich muss mich nicht dafür schämen. Das ist ein sehr schönes Lob und es ist auch für uns beruhigend. Wenn wir so viel Feedback bekommen, heißt das für mich auch: Cool, ich bin nicht die einzige Person, die kalten Schweiß an den Händen bekommt, wenn sie an der Supermarktkasse steht oder weil sie in der Bäckerei die Brötchenbestellung aufgeben muss.“ 

Giulia: „Man ist ja nie nur introvertiert oder nur extrovertiert. Deswegen kriegen wir auch so viel Feedback von Leuten, die sich dann irgendwo bei irgendeiner Sache von uns wiederfinden, weil in jedem von uns so ein gewisser Grad an Drinnie steckt.“ 

In eurem Podcast betont ihr immer wieder: „Wir hoffen euch geht es gut – und wenn nicht, ist das auch okay!“ – Warum ist es euch wichtig, hervorzuheben, dass es okay ist, nicht okay zu sein?

Giulia: „Ich glaube, das schlimmste Symptom unserer Zeit ist dieser Satz:  ,Happiness is a decision.‘ Das ist einfach nur ein Schlag in die Magengrube für alle Leute, die schon mal Depressionen hatten oder Ähnliches. Kompletter Bullshit. Wir sind einfach der Meinung, wenn es dir scheiße geht, geht es dir scheiße und dann muss man das auch sehen, dann muss man das anerkennen und sagen: Jetzt geht es mir scheiße und das ist auch in Ordnung. Wir sind beide Personen, denen es auch regelmäßig schlecht geht, wir haben kein Problem, darüber zu sprechen und das wollen wir auch mit unserem Podcast ausstrahlen: Es ist völlig in Ordnung, wie ihr euch fühlt. Wir fühlen uns alle gerade generell ein bisschen scheiße, weil Pandemie ist – und das ist ok, das sollte man auch nicht romantisieren.“

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