Foto: Tahir Della

Jamie Schearer: „Ich fühle mich in Deutschland immer weniger sicher”

Jamie Schearer ist eine unserer „25 Frauen, die unsere Welt besser machen“ – seit mehreren Jahren setzt sie sich aktiv für eine Gesellschaft ein, in der es keinen Rassismus mehr gibt.

Rassismus ist Alltag

Die Politikwissenschaftlerin Jamie Schearer engagiert sich seit mehreren Jahren in der Arbeit gegen Rassismus sowohl in Deutschland als auch im europäischen Kontext.  Seit 2011 ist sie Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. und seit März 2014 auch im Vorstand dieser Initiative sowie im Vorstand des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus. Sie organisiert Treffen, hält Vorträge und hat unter anderem die Hashtag-Kampagne #Schauhin (2013) und das darauf aufbauende Projekt mit angestoßen, die Alltagsrassismus sichtbarer gemacht hat.

Für ihr Engagement haben die EDITION F-Leserinnen und die Jury des Wettbewerbs sie 2016 unter die „25 Frauen, die unsere Welt besser machen“ gewählt. Wir haben mit ihr über Aktivismus und strukturellen Rassismus gesprochen.

Jamie, ab wann hast du erkannt, dass du aktiv gegen Rassismus werden musst?

„Es gibt keine Zeit in meinem Leben, in der mich Rassismus nicht betroffen hat. Meine Mutter erzählt mir heute, dass ich mich schon im Kindergarten über rassistische Beleidigungen in Bezug auf meine Hautfarbe beschwert habe. Lange hat mir, glaube ich, das systematische Verständnis gefehlt. Also, wie genau funktioniert Rassismus? Wie spielt uns das System gegeneinander aus? Ich denke im Kleinen habe ich begonnen, mich gegen Rassismus zu wehren, in dem ich mich gegen Rassismen im Alltag gewehrt habe. So zum Beispiel auch gegen Fragen nach meiner wirklichen Herkunft oder warum mein Deutsch so gut sei. Mir wurde aber auch ziemlich schnell klar, dass es damit nicht getan ist und wir in der Gesellschaft strukturelle Veränderungen brauchen.“

Was waren deine ersten Schritte, um selbst aktiv zu werden?

„Relativ lange habe ich nach Menschen gesucht, sie sich ebenfalls gegen diese Erfahrungen wehren und etwas bewegen wollen. Während meines Studiums wollte ich dann Praxis und Theorie zusammenbringen. Ich habe dann in München eine Gruppe von Menschen gefunden, die ähnliche Vorstellungen hatte und ähnliche Ziele verfolgt haben, wie ich. Ich habe mich also mit Gleichgesinnten zusammengeschlossen und mich weitergebildet, um politische Zusammenhänge zu verstehen. Eigentlich wollten wir in der Gruppe in München gemeinsam eine Organisation gründen, dann nahmen wir eher zufällig an einem Netzwerktreffen der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland teil, das in München stattgefunden hat. Kurz darauf entschied das Oberlandesgericht in Koblenz damals, dass Racial Profiling legal sei. Das war der Anlass, dass wir uns weiter organisieren und der ISD beitreten wollten.”

Man spricht oft von „Alltagsrassismus”, den viele Menschen eher unbewusst ausleben. Wo fängt für dich Rassismus an?

„Rassismus ist leider Teil unserer Strukturen. Wir finden ihn in unseren Institutionen, in Schulen, Universitäten, Behörden, aber auch auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche. Alltagsrassismus spielt sich in vielen Kontexten ab. Die Frage nach meiner Herkunft oder übergriffiges Verhalten bei einem ersten Treffen, wo Menschen mir in die Haare fassen wollen, aus einer objektivierenden Neugier heraus, sind nur ein paar Beispiele. Diese Art der Interaktionen von Menschen markieren die vermeintliche Andersartigkeit und verdeutlichen, dass viele Menschen über Stereotypen nicht hinaus sehen können und somit anderen Menschen nicht als Individuen gegenübertreten. Rassifizierung wertet Menschen ab.”

Wie oft erfährst du selbst Rassismus und in welcher Form?

„Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Ich halte es für nicht sonderlich gesund, sich daran aufzuhalten. Gleichzeitig ist Rassismus aber auch ein Teil meines Alltags. Bei Behördengängen, Arztbesuchen und beim Einkaufen spielen sich oft die vorher genannten Szenarien ab.”

Gibt es eine Strategie, wie man Rassismus am besten bekämpfen kann?

„Sicherlich, es gibt viele Arten mit Rassismus umzugehen. Manche entscheiden sich dazu, mit ihrem Umfeld zu sprechen und Menschen über Rassismus zu informieren, stellen Bildungsmaterial zur Verfügung und vieles mehr. Meist geht das auf die Kosten der von Rassismus betroffenen Person. Es kostet Zeit, viel Energie und Geduld und nicht immer sind die Mühen erfolgreich. Andere wiederum ziehen sich zurück und entscheiden sich für ein Umfeld, in dem primär Menschen sind, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Das ist allerdings ein ziemlich großes Privileg, was die meisten Menschen nicht besitzen. Also ist es meisten so, dass die meisten Menschen sich für einen Mittelweg entscheiden. Sie klären auf, wo es geht, bilden Allianzen mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und manchmal schweigen sie einfach, weil das der einfachste Weg ist mit Rassismus umzugehen.”

Wie sieht dein Netzwerk aus, von Menschen, mit denen du zusammenarbeitest?

„Ich arbeite in vielen verschiedenen Netzwerken: mit schwarzen Menschen und mit People of Color, also die Menschen, die in der Gesellschaft ebenfalls rassifiziert werden, aufgrund ihrer Haut- oder Haarfarbe oder weil sie Kopftuch tragen. Aber ich arbeite auch in breiteren Bündnissen, z.B. beim Europäischen Netzwerk gegen Rassismus, in dem Menschen mit allen Hintergründen aktiv sind.”

Wie können wir Menschen mit einer rassistischen Denkweise am besten begegnen?

„Ich denke, es ist wichtig hier auf die Positionierung zu schauen. Ich, als negativ von Rassismus betroffene Person, ziehe andere Punkte in Betracht und reagiere anders als eine Person, die nicht betroffen ist. Wie schon angedeutet, sind viele Menschen im täglichen Leben Rassismus ausgesetzt. Ständig zu belehren, warum dies oder jenes rassistisch ist, kostet sehr viel emotionale Energie und auf der praktischen Ebene Zeit. In Deutschland sehe ich eine ganz langsame Entwicklung, dass das Thema nicht nur noch bei jenen liegen bleibt, die das Fett wegkriegen.

Entsprechend sehe ich gerade jetzt, mit dem aktuellen politischen Klima in Deutschland, die Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, in der Pflicht, sich mehr damit zu befassen was Rassismus eigentlich ist. Rassismus ist ein Herrschaftssystem, welches uns von Kind auf beigebracht wird. Wir denken ohne es zu wollen in rassistischen Mustern. Gewisse Bilder, die sich immer wieder wiederholen: Zivilisation, Ordnung, Intellektualität, wurden historisch weiß gewaschen. Dies leitet Menschen dazu an, rassistisch zu handeln, rassistische Sprache zu benutzen und in rassistische Handlungsweisen zu verfallen. Sich ein Bewusstsein darüber zu verschaffen, ist ein Prozess. Aber es ist ein unerlässlicher erster Schritt für eine andere Gesellschaft und dieser Schritt sollte von jenen begleitet werden, die bereits einen Grundschatz an Wissen haben.

Ich persönlich sehe meine Aufgabe als betroffene Person eher im Empowerment der Menschen, die Rassismus erfahren haben. Denn viel zu oft liegt der Fokus auf der Mehrheitsgesellschaft und nicht auf den Betroffenen und darauf, was sie tun können um sich zu stärken und so ein sichtbarer Teil der Gesellschaft zu sein.”

Der Polizeieinsatz zu Silvester in Köln hat die Debatte um das Thema „Racial Profiling“ wieder entfacht. Existiert dieses Problem in Deutschland weiterhin? Warum ist es so wichtig, es zu thematisieren?

„Ja, das Racial Profiling existiert weiterhin und das nicht im unerheblichem Maß. Racial Profiling verstößt in Deutschland eigentlich gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz Artikel 3. In Zeiten wie diesen, in denen wir mehr Zuwanderung und Terrorismus haben, sehen wir auch einen erheblichen Anstieg von Racial Profiling. Immer öfter hören wir gerade die Worte ,wir‘ und ,die anderen‘. Racial Profiling fördert die Bildung von negativen Stereotypen. Die Kriminalisierung führt zu einer generellen negativen Einstellung gegenüber rassifizierten Menschen, was es für diese Menschen schwerer macht, in der Gesellschaft voran zu kommen.”

Dieses Jahr ist Bundestagswahl und die AfD hat bereits in vielen Bundesländern bei den Landtagswahlen einen hohen Stimmanteil erreicht. Wie schätzt du diese Entwicklung ein?

„Ich mache mir da große Sorgen und fürchte, dass Deutschland weiter nach rechts rückt, sowie das in ganz Europa momentan der Fall ist und auch in den USA. Deshalb müssen wir uns mehr denn je organisieren, politisch aktiv sein und  vor allem: nicht schweigen.”

Das Verfassungsgericht hat das Verbot der NPD abgelehnt, mit der Begründung der fehlenden Relevanz. Wie siehst du das Urteil?

„Wer sich sicher in Deutschland ohne Angst vor rechter Gewalt bewegen kann, für den ist das anscheinend nicht relevant. Ich fühle mich in Deutschland immer weniger sicher und dazu trägt die NPD auf verschiedenen Ebenen bei: Durch ihre Kontakte zur Kameradschaften, aber auch durch die Art und Weise wie sie in den politischen Diskurs eingreift.”

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