Als Rapper wird Michael Kurth alias Curse berühmt. Dann kommt eine Zeit, in der er sich innerlich gehetzt und unglücklich fühlt. Er macht eine Pause und ordnet sein Leben neu – mit Hilfe von Meditation und Coaching. Ein Porträt.
Heute ist Michael selbst systemischer Coach. Und noch viel mehr: Bestsellerautor, Podcaster, Speaker und unter dem Namen Curse ein Rapper und Texter der ersten Stunde. Ich treffe ihn in einer für Corona-Zeiten typischen Interviewsituation: auf dem Bildschirm.
Liest man die zahllosen Interviews oder sieht sich Filmporträts über Michael an, dann hat man schnell den Eindruck, dass er ein ungemein begeisterungsfähiger Mensch ist. Aber nicht nur das: Michael entwickelt aus seiner Begeisterung eine Idee, setzt sie um und reißt dann die Arme auf, um alle Welt zum Mitmachen einzuladen. Ich frage ihn, ob er sich in dieser Beschreibung wiedererkennt. Michael lacht. „Ja“, sagt er, „ich glaube, ich war schon als kleines Kind so. Es macht mir wahnsinnige Freude, zu entdecken, zu lernen, in die Tiefe zu gehen, nachzuforschen und andere da mitzunehmen – das ist ein großer Teil meiner Lebendigkeit.“ – So ist es auch im Interview. Ganz egal, ob es um die Musik, sein Leben oder das Coaching geht – seine Begeisterung steckt an.
Alles sehen, was bereits da ist
Michael sitzt in einem nahezu leeren Raum mit weißen Wänden an einem Schreibtisch, schaut aufmerksam in die Laptop-Kamera. Er wirkt reflektiert, in sich ruhend und in der Gegenwart verhaftet. An welchem Punkt befindet er sich heute? Und überkommt jemanden wie ihn, der an der richtigen Stelle im Leben die Notbremse gezogen hat, nicht manchmal auch ein Gefühl von Stolz auf all das, was er erreicht hat – mit all den Geschwindigkeitswechseln und Schleifen? Michael schüttelt langsam den Kopf. „Ich blicke nicht voller Stolz zurück auf irgendetwas ,Erreichtes‘, sondern eher mit der Erkenntnis, dass ich im Jetzt zufrieden bin mit dem Ort, an dem ich mich gerade befinde. Mit den Menschen, die um mich herum sind und wie ich all das gestalten kann. Damit bin ich sehr glücklich.“
Glück ist ein großes Wort. Ich hatte immer die Vermutung, dass das einer dieser Begriffe ist, die sich Hollywood ausgedacht hat; ein überhöhtes Gefühl, das wenig mit der Realität zu tun hat. Aber während Michael über sein Leben spricht, wird es greifbarer: Glück ist wohl die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zufrieden zu sein. Nirgendwo anders hinzuwollen, sondern all das zu sehen, was bereits da ist.
„Mittlerweile habe ich verstanden, dass es nicht hilft, immer mehr zu machen und das Glück irgendwo in der Zukunft zu sehen.“
Michael Kurth
Michael erinnert sich an die Zeit, in der er nicht im Moment gelebt hat, sondern dem vermeintlich in der Zukunft liegenden Glück hinterherjagte. Schon im Alter von zehn Jahren beginnt er, Musik zu machen. Dann ist er plötzlich Teil des ganz großen Musikbusiness. „Früher habe ich immer gedacht: Ok, wenn ich jetzt noch ein bisschen besser bin oder noch erfolgreicher oder noch mehr Geld verdiene oder zwei Kilo abnehme oder wenn nicht 500 Leute aufs Konzert kommen, sondern 700 – dann werde ich glücklich sein. Denn dann habe ich das, was man ,Erfolg‘ nennt, dann habe ich ein Gefühl von Wertigkeit, von Angekommensein. All dem bin ich lange Zeit hinterhergelaufen und das hat dazu geführt, dass ich unglücklich geworden bin.“
Um dem entgegenzuwirken, versucht Michael zunächst, immer mehr zu machen: noch mehr Arbeit, noch mehr Output. Die Folge davon ist aber nur, dass er viel unglücklicher wird als ohnehin schon. Also geht er ins andere Extrem: macht Party. Geht in schöne Restaurants. Erfüllt sich Träume. Unternimmt Reisen. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf: Wenn ich das noch tue, dann werde ich glücklich. Aber dieses „Glück“ stellt sich nicht ein. „Es hat mich in Löcher stürzen lassen, und die wurden immer tiefer”, erinnert er sich. „Und diese Täler gibt es auch heute noch. Mittlerweile habe ich aber verstanden, dass es nicht hilft, immer mehr zu machen und das Glück irgendwo in der Zukunft zu sehen. Mein Leben geht immer noch genauso auf und ab wie vor zehn oder 20 Jahren. Aber ich habe meinen Umgang damit verändert. Dadurch gibt es mehr Stabilität und grundlegende Freude.“
Alles war festgefahren
Es ist das Jahr 2010, in dem bei Michael ein Prozess in Gang gesetzt wird. Er sagt heute: „Ich habe damals mit den immer gleichen Methoden versucht, die Situation zu verändern. Aber wenn man immer das Gleiche macht, kann man nicht erwarten, dass man ein neues Ergebnis bekommt. Irgendwann ist der Leidensdruck so groß geworden, dass ich gemerkt habe: Ok, ich kann jetzt nicht mehr weiter. Ich muss mich neu sortieren. Ich brauche einen anderen Input. Neue Strategien. Irgendwas muss sich verändern in meinem Leben. Denn sonst ist es kein lebenswertes Leben für mich.“ Es sei nicht nur die Musik gewesen, um die es ging. Alles war festgefahren. „Also habe ich den großen Cut gemacht. Ich habe alles angehalten, ohne einen Plan B zu haben.“
Michael zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Schreibt Songs, ist mitverantwortlich für erfolgreiche Alben anderer Künstler*innen und distanziert sich zugleich eine Zeitlang von der großen Bühne. Dann sei der Zufall gekommen, der ihn zum Coaching, zur Meditation gebracht habe. Ein Zufall? „Ich habe gemerkt: Ich brauche Unterstützung. Ich brauche Hilfe. Dann habe ich vieles ausprobiert und eine Person gefunden, mit der ich mehrere Monate intensiv gearbeitet und dabei sehr viel über mich gelernt habe. Irgendwann sagte er zu mir: Meditierst du eigentlich? Und ich sagte: Das mach ich mal, wenn ich 80 bin. Ich hatte so eine komische Vorstellung von Meditation. Jedenfalls sagte er: Wir machen jetzt mal eine Meditationsübung.“
„Wenn mir jemand ein halbes Jahr vorher gesagt hätte: Du stehst dann halbnackt in einem Keller in Indien und verprügelst die Wand, hätte ich gesagt: Ja, genau …“
Michael Kurth
Während Michael davon erzählt, richtet er sich auf, spricht etwas langsamer. Diese erste Meditation sei zu einer Erfahrung geworden, die ihn wochenlang nicht losgelassen habe. Daraufhin sei er überall gewesen, wo Meditation angeboten wurde. „Ich bin so offen wie möglich an alles rangegangen. Und das meine ich auch mit ,Zufall’: Ich hatte mir das nicht vorgenommen. Ich habe nicht gesagt, ich höre jetzt auf mit Musik und dann geh ich nach Indien und werde Yogi. Das war nicht mein Plan. Mein Plan war: Mein Leben ist auf so vielen Ebenen nicht lebenswert. Ich brauche Hilfe. Etwas später bin ich dann wirklich nach Indien gereist, es hatte sich so ergeben. Wenn mir jemand ein halbes Jahr vorher gesagt hätte: Dann stehst du halbnackt in einem Keller in Indien und verprügelst die Wand, hätte ich gesagt: Ja, genau …“
Erfolg: Ich kann das tun, was ich liebe
,Erfolg‘ ist so ein Begriff, über den wir im Gespräch immer wieder stolpern. Aber die Definition von Erfolg hat sich für Michael im Laufe der Zeit verändert. Ganz am Anfang habe sich Erfolg vor allem in der Anerkennung seiner Peergroup gezeigt; die Anerkennung von Gleichgesinnten, Klassenkamerad*innen, die ihm mit einer gewissen Bewunderung gegenüberstehen und sagen: Das kann der wirklich gut! Als Michael dann „im Business“ ist, geht es vor allem um Zahlen – und somit letztlich ums Geld: Wer kommt aufs Cover des Hip-Hop-Magazins? Wessen Platte wird am besten besprochen? Wer hat mehr Leute auf der Tour? „Es ist zu so einer Vergleichsnummer geworden“, sagt Michael heute. „Und obwohl das am Anfang überhaupt nicht mein eigener Anspruch war, bin ich mit der Zeit immer mehr da hineingeraten, weil die Menschen um mich herum nur über diese Dinge geredet haben.“
Das sei wohl ohnehin ein Problem vieler Leute, die Kunst machen und dann aber in so einen kommerziellen Kontext kommen. Da werde eine mutige, individuelle Ausdrucksform an marktwirtschaftlichen Kriterien gemessen. Und plötzlich befinde man sich in diesem Spiel: Entweder du hast Erfolg und alle stürzen sich auf dich. Oder du stehst – wenn es weniger gut läuft – allein da. Michael sagt: „Ich bin eigentlich eine zarte Seele. Ein sensibler Mensch. Da waren dieses ständige Messen und Gemessenwerden, dieses ständige Beurteilen und Beurteiltwerden schwierig.“ Wie er heute damit umgeht und was Erfolg heute für ihn ist? „Erfolgreich sein heißt: Ich kann das tun, was ich mag und was ich liebe. Kann meine Miete bezahlen und kann sogar mit meiner Familie mal eine Reise machen. Ich habe gemerkt: Die Dinge, die ich tue – sei es die Musik, Bücher schreiben, Podcast oder Coaching – mache ich nun nicht mehr dafür verantwortlich, dass ich glücklich bin. Und das ist ein krasser Gamechanger für mich.“
„Obwohl ich selbst auch immer noch Angst habe, immer noch bestimmte Sachen vermeide, habe ich doch ein ganz anderes Vertrauen entwickelt: Alle Aspekte von mir und meinem Leben sind zu handhaben und dürfen da sein.“
Michael Kurth
Für Michael hat sich vieles verändert. Die Kommunikation mit Menschen hat einen neuen Stellenwert. Die Frage lautet: Wie kann ich so gut wie möglich mit anderen Menschen kommunizieren und ihnen einen gewissen Mehrwert vermitteln? Und eben nicht mehr: Wie kann ich jetzt den krassen Superhit schreiben und die Köln-Arena füllen? Seine Leidenschaft und Begeisterung für Meditation und Coaching teilt Michael mittlerweile mit vielen anderen Menschen. Und er zeigt ihnen, dass Vermeidungsstrategien immer nur kurzfristig helfen. Dass es nicht hilft, vor inneren Konflikten und Problemen wegzulaufen. „Hinter jeder Angst, hinter jedem Schmerz habe ich immer Sanftheit und Akzeptanz gefunden. Obwohl ich selbst auch immer noch Angst habe, immer noch bestimmte Sachen vermeide, habe ich doch ein ganz anderes Vertrauen entwickelt: Alle Aspekte von mir und meinem Leben sind zu handhaben und dürfen da sein.“ Michael findet, dass wir Menschen – so verschieden wir auch sind – uns im Grunde doch sehr ähneln. Wir alle haben individuelle Geschichten, die zu individuellen Verhaltensmustern geführt haben. Die Art aber, wie das passiert, sei immer gleich. Und deswegen sei auch die Art, wie wir uns dem nähern können, für viele von uns sehr ähnlich. Das zu erkennen und anderen Menschen weitergeben zu können, empfindet Michael als riesiges Geschenk.
„Gib dich selbst niemals auf“
Der Gedanke ,Ich bin mit all meinen Ängsten und Konflikten nicht allein‘ ist auch ein wichtiger Aspekt in dem Programm, das im Januar 2021 zum dritten Mal angeboten wird: „Gib dich selbst niemals auf“. Michael betont, dass dieses Programm als eine lebensbejahende Reise zu sehen ist. Die Teilnehmer*innen gehen durch verschiedenen Phasen, um sich selbst besser kennenzulernen. Und jede*r Einzelne beginnt dort, wo sie*er sich in ihrem*seinem Leben gerade befindet. „Wir schauen zunächst auf das, was wir im Leben oft vernachlässigen: Was sind unsere Ressourcen? Was sind die Dinge, die wir schon in uns tragen, die uns im Leben schon oft geholfen haben? Oft sind Leute Expert*innen für ihr Problem. Sie können es auch für ihre Lösungen werden.“ Michael hat die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen keinen Kontakt mit dem haben, was bereits da ist.
„Wir kommen mit unseren Wünschen und Träumen, Ängsten und Problemen und wir gehen diesen Weg gemeinsam.“
Michael Kurth
Das Programm stellt zunächst viele Fragen: Was geht in uns vor? Welche Kräfte wirken in uns? Und wie finden wir heraus, was uns hilft und was wir vielleicht ersetzen müssen? Das Programm ist eine mehrwöchige Reise, die für jede*n eine Hilfe sein kann, sich und die eigenen Ressourcen kennenzulernen. Die hier gewonnenen Tools können im normalen Leben auch angewendet werden. Es geht also um einen ganz konkreten Schritt hin zu einem besseren, erfüllteren Leben.
Aber was ist mit der derzeit aufgrund von Corona noch bestehenden Notwendigkeit, derartige Programme digital durchführen zu müssen? Michael nickt. „Das Verrückte ist, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich sowas unter den richtigen Bedingungen sogar in den virtuellen Raum übertragen lässt. Wir sind hier beispielsweise 100 Leute, die sich erst mal gar nicht kennen. Aber wir machen in den nächsten Wochen ein gemeinsames Ding. Wir kommen mit unseren Wünschen und Träumen, Ängsten und Problemen und wir gehen diesen Weg gemeinsam. Nach einer gewissen Zeit merkt man: Wenn die ersten zwei Personen anfangen, sich ein kleines bisschen zu öffnen, folgt dem ein lautes Ausatmen der anderen, und man spürt, wie sie sagen: Denen gehts genauso wie mir. Die sprechen das aus. Und nicht nur ich, sondern auch alle anderen nehmen sich an und stützen einander.“