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Emotionales Fremdgehen: Wenn er sich mit seiner neuen Kollegin zu gut versteht

Zum zweiten Mal hatte mein Freund es nicht geschafft, eine großartige Freundschaft von emotionaler Anziehung zu trennen. Und ich verfiel in Zweifel und Selbsthass.

Es passiert schon wieder – bin ich einfach nicht genug?

Es kam nun schon zum zweiten Mal vor. Binnen fünfeinhalb Jahren Beziehung ist er das zweite Mal emotional fremdgegangen. Er wollte es mir beim zweiten Mal eigentlich nicht erzählen. Er könne sich ja noch daran erinnern, wie ich damals reagiert hätte. Jep, ich mich auch. Wir waren ein halbes Jahr erst zusammen und alles war noch halbwegs jung und frisch, wir hatten erste, vage Zukunftspläne gemacht und auch schon unsere Familien kennengelernt. Es schien super zu laufen. Aber bei unseren abendlichen Telefonaten – damals lebten wir noch in einer Fernbeziehung – lief es nicht mehr alles so geschmeidig. Stattdessen kam es ständig zu Konflikten, er hielt die vereinbarte Uhrzeit zum Telefonieren nicht ein und wirkliche Themen gab es irgendwie auch nicht mehr. Hatte unsere Beziehung etwa ihren Zenit schon überschritten?

Das wäre okay gewesen, wir hätten einfach nicht zueinander gepasst. Aber es kam schlimmer – für mich zumindest. Denn nach seinem Geständnis war ich diejenige, die an sich zweifelte, an ihrem Körper, ihrer Attraktivität, ihrem Humor, ihrer Hingabe. Bin ich nicht gut genug für ihn? Was ist falsch an mir? Bin ich nicht klug genug, nur weil ich keine Naturwissenschaft studiert habe und stattdessen mir Gedanken über abstrakte, kommunikationswissenschaftliche Theorien machte?

„Er warf mir vor, ich würde seinen Freundeskreis boykottieren“

Ja, ich erinnere mich gut daran. Wie ich zusammengekauert auf dem Boden meines kleinen WG-Zimmers lag und stumm in mich hineinschrie. Schließlich sollten meine Mitbewohner_innen nicht mitbekommen, was bei mir los ist. Ich war von so viel Schmerz und Zweifeln erfüllt, dass ich das Gefühl hatte, nicht darüber hinwegzukommen.

Einige Telefonate und Taschentuchpackungen später hatte er es geschafft, mich davon zu überzeugen, dass es nicht mehr vorkommen werde und eigentlich sei ja auch gar nichts passiert. Sie verstehen sich einfach nur so gut und es ist einfach so angenehm, Zeit mit ihr zu verbringen. Und schließlich müssten sie auch für die Uni weiter miteinander zusammenarbeiten.
Nicht nur hatte er unsere Beziehung gefährdet, sondern mir auch den Zugang zu seinem Freundeskreis unmöglich gemacht – denn sie war überall. Und auch ihre besten Freundinnen. Und ich, die ich weder bei ihren Gesprächen mitreden konnte, noch etwas von der Materie verstand.

Jede Einladung zu einem Geburtstag wurde zu einer Qual und zu einem Streit. Ich wollte nicht hingehen und er warf mir vor, seinen Freundeskreis zu boykottieren. Danke, aber sorry – war nicht meine Schuld. Aber das konnte ich damals noch nicht sagen. Ich fühlte mich tatsächlich ein Stück weit abhängig von ihm und eine Trennung konnte ich mir einfach nicht vorstellen.

„Ich hab keinen Bock, ein verdammtes Werbeplakat für mich aufzuhängen“

Heute reagiere ich abgeklärter. Ich weiß jetzt, dass ich nicht in der Bringpflicht bin. Als er von der viertägigen Dienstreise mit seiner Kollegin zurückkam, verspätete er sich um zwei Stunden. Als ich nach anderthalb Stunden Kulanz – schließlich wollte ich nicht die überbesorgte Freundin sein – bei ihm anrief, ob alles okay sei, sagte er nur: „Ja, sorry, wir sind schon da, aber wir müssen noch was besprechen.“. Okay. Es war 23 Uhr, ich wollte eigentlich schlafen, aber mein Herz raste. Ich hatte schon das dumpfe Gefühl, dass er gleich nach Hause kommen würde und mir beichten würde, dass er wieder – … Weiter wagte ich gar nicht zu denken. Ich versuchte, mich in den Schlaf zu zählen. Irgendwann hörte ich, wie er die Wohnungstür öffnete. Als er eine halbe Stunde später zu mir ins Bett kam, berührte er mich nicht. Ich fragte, „Was gab es denn noch zu besprechen?“, er antwortete: „Das möchte ich dir lieber nicht erzählen.“ Das war’s für mich. Ich bin wieder diejenige, zu der er nach Hause kommt, bei der er aber gar nicht sein möchte. Seine Gedanken waren bei seiner Kollegin. Ich hatte schon mitbekommen, dass sie sich von Anfang an gut verstanden und hatte mich – ohne jegliche Vorahnungen oder Befürchtungen – für ihn gefreut.

Zwei Monate später eröffnet er mir an einem trüben Herbstsonntag, dass er mit seiner Kollegin darüber sprechen musste, dass eine gewisse Anziehungskraft zwischen beiden bestehe und dass sie klären mussten, wie sie damit umgingen. Für beide käme nicht in Frage, ihre Beziehung aufzugeben. Oh, achso, ihr habt also schon einen verdammten Gedanken daran verschwendet, ob ihr mit euren Partner_innen Schluss macht? Ernsthaft? Ich stand vom Sofa auf und sagte ihm: „Werde dir klar, was du willst. Ich hab keinen Bock, ein verdammtes Werbeplakat für mich aufzuhängen. #TeamSarah? Vergiss es. Du kannst auf mich zukommen, wenn du einen Plan hast. Bis dahin bin ich für dich emotional nicht verfügbar.“ Das Schlimmste ist für mich daran nicht einmal mehr, dass er unsere Beziehung riskiert, sondern dass ich wieder diejenige sein werde die tausend Mal über ihren eigenen Schatten springen werden muss, wenn es ums Treffen seiner neuen Freunde geht – und sie mittendrin ist. Ich bekomme einen Kloß im Bauch, wenn ich überhaupt daran denke, dass diese Last in mein Leben zurückgekehrt ist, nachdem der andere Kloß vor Kurzem erst wegen unseres Umzugs verschwunden war. Ich fühle mich benutzt und hilflos und verbleibe wieder mit der zermürbenden Frage: Bin ich einfach nicht genug für ihn?

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