Der Job der Hebamme gehört zu den sogenannten systemrelevanten Berufen – Berufe also, auf die wir alle dringend angewiesen sind. Unsere Redakteurin Amal traf eine junge Frau, die sich im Studium zur Hebamme befindet und die eigentlich schon kurz davor ist, alles hinzuschmeißen.
Ayana* (*Name von der Redaktion geändert) ist 26. Sie befindet sich derzeit im 6. Semester des Hebamme Studiums, das seit Januar 2020 notwendig ist, um den Beruf der Hebamme zu erlernen (mit einer Übergangsfrist bis Dezember 2022).
„Wir haben unser Studium noch mit der inzwischen veralteten Ausbildungsverordnung angefangen, deshalb dauert unser Studium vier Jahre. Die neue Studienverordnung, nach der seit letztem Jahr studiert wird, umfasst nur noch dreieinhalb Jahre“, erklärt Ayana.
Die Praxissemester verbringt sie im Krankenhaus im Schichtdienst, abends oder morgens vor der Schicht wird für das Examen gelernt. Quasi wie ein duales Studium – nur ohne Bezahlung.
„Ich habe keinen Ausbildungsvertrag mit der Klinik, in der ich arbeite. Die Hochschule hat Kooperationsverträge mit den Kliniken und schickt die Studierenden quasi als Praktikant*innen in die Praxisphasen. Manche Kliniken zahlen den Studierenden zwei Euro die Stunde, aber meine Klinik bezahlt uns nicht“, erzählt Ayana. Die Praxissemester stellen eine finanzielle Belastung dar, auch weil die Hochschule Kooperationskliniken im ganzen Bundesland hat und viele dieser Kliniken keine Unterstützung für Unterkünfte bieten.
Die Gründe, die Ayana an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen und die viele emphatische Menschen davon abhalten, in diesem Beruf zu arbeiten, liegen aber noch woanders: „Meine Kommiliton*innen weinen oft vor, während oder nach der Schicht. Es ist teilweise sehr belastend zu sehen, wie im Krankenhaus mit den Schwangeren und auch mit uns umgegangen wird.“
„Es könnte so viele gute Hebammen geben, aber die, die sehr sensibel sind, schaffen das emotional oft nicht.“
Die Wünsche der Schwangeren werden immer wieder übergangen, erzählt Ayana. Manchmal hole man das Einverständnis für eine Untersuchung erst dann ein, wenn es schon längst zu spät ist. „Aber auch wenn rechtzeitig gefragt wird, sehe ich oft in verunsicherte Gesichter, die einfach darauf vertrauen, dass ein unangenehmer Eingriff nötig ist, wenn es die Ärzt*innen sagen“, schildert Ayana. „Es könnte so viele gute Hebammen geben, aber die, die sehr sensibel sind, schaffen das emotional oft nicht.“
Im Studium lernt Ayana, dass es mindestens zehn Jahre dauert, bis es eine neue medizinische Erkenntnis in die Behandlungszimmer schafft. Obwohl es bereits Beweise gibt, dass die Zufuhr von synthetischem Oxytocin den körpereigenen Haushalt soweit herunterfährt, dass es nach der Geburt zu Bindungsstörungen kommen kann, werde das Medikament immer noch sehr leichtfertig verabreicht. „Durch das stark erhöhte Oxytocinlevel kann es sein, dass sich die Rezeptoren der Gebärenden so weit herunterfahren, dass nach der Geburt ein höherer Bedarf an körpereigenem Oxytocin für den gleichen Effekt benötigt wird“, weiß Ayana.
Oxytocin – im Volksmund auch „Kuschelhormon” genannt – wird im Körper ausgeschüttet, wenn wir beispielsweise Hautkontakt wie Streicheln erfahren. Dieses Hormon wirkt geburtsfördernd, da es die Wehen anregt, und wird deshalb als synthetische Nachbildung bei Geburten verabreicht. Es kann aber auch zum Einsatz kommen, wenn nach der Geburt eine Blutung entsteht. Das Oxytocin sorgt dann dafür, dass sich die Gebärmutter wieder zusammenzieht und so die Blutung stoppt.
„Kliniken greifen oft ein, damit die Geburten schneller und planbarer verlaufen“, berichtet Ayana, auch Angst und Ungeduld können Auslöser für ein Eingreifen sein.
Eine Studie des IGES-Institut bestätigt, dass von 2,100 Klinikhebammen nur zwei Prozent die Kapazität haben, den Schwangeren eine 1:1 Betreuung zu bieten. Fast die Hälfte der befragten Hebammen betreuten drei Schwangere gleichzeitig. Selbst während der „aktiven Geburt“ konnten nur 33 Prozent der Gebärenden 1:1 betreut werden. Dabei ist es gar nicht gut, zu früh einzugreifen, denn jeder Eingriff hat Folgen, die dann wieder Problematiken hervorrufen können. Besonders Stress oder Unwohlsein durch äußere Einflüsse können eine Geburt verlangsamen oder sogar zum Stoppen bringen.
„Der Trubel im Krankenhaus, der schroffe Umgang und der ständige Zeitdruck nehmen der Situation die Ruhe und Geborgenheit, die eigentlich so wichtig wären.“
„Der Trubel im Krankenhaus, der schroffe Umgang und der ständige Zeitdruck nehmen der Situation die Ruhe und Geborgenheit, die eigentlich so wichtig wären“, findet Ayana. Noch dazu kommt, dass die mediale Darstellung von Geburten oft sehr eindimensional ist und werdenden Eltern so Eindrücke und Erwartungen vermittelt werden, die sie dann mit in den Kreißsaal bringen. „Im Fernsehen“, sagt Ayana, „sieht man Gebärende meist in Rückenlage beim ,Power-Pressen‘, dabei ist das gar nicht die beste Position.“
Obwohl sie im Studiensemester gelernt hat, dass Bewegung wichtig ist, um die Geburt einzuleiten, werden die Schwangeren oft ans Dauer-CTG angeschlossen, um die Herztöne des Kindes abzuleiten, dabei müssen sie liegen, damit das Gerät gut messen kann. Das bietet zwar volle Überwachung, aber weil jedes kleine Ausschlagen direkt gesehen wird, werden Stress und vorschnelles oder unnötiges Eingreifen begünstigt.
Ayana sagt: „Es kann ein sehr empowernder Beruf sein, aber ich habe das Gefühl, das Potenzial wird nicht überall so ausgeschöpft.“
Geburt kann auch anders aussehen
Dass es auch anders laufen kann, hat Ayana in ihrem zwölfwöchigen Einsatz außerhalb der Klinik gelernt. Dabei können die Studierenden entweder in Geburtshäusern, bei Hausgeburten oder bei Vor- und Nachsorge- Kursen praktische Erfahrungen sammeln.
In Deutschland gibt es über 100 außerklinische Geburtshilfeeinrichtungen und über 500 Hebammen, die Schwangere bei Hausgeburten begleiten. Ayana entschied sich für einen Einsatz bei der Hebamme, die ihrer eigenen Mutter dabei geholfen hatte, sie auf die Welt zu bringen. Sie fuhr dafür ans andere Ende Deutschlands und berichtet: „Es war sehr schön, sie kennenzulernen, aber auch von ihr zu lernen. Meine Mutter hat viele schöne Erinnerungen an meine Geburt.“
Den Einsatz im Geburtshaus beschreibt sie als abwartend, bedürfnisorientiert und empowernd. Die Atmosphäre ist beruhigend, individuelle Wünsche können erfüllt werden und man handelt nach der Devise: Richtig ist, was sich gut anfühlt. Die Geburt in Geburtshäusern werde nicht als medizinischer Notfall behandelt, sondern als natürlicher Prozess, bei dem der Komfort der Gebärenden an erster Stelle steht. Oxytocin verabreicht man dort nur als Notfallmedikament, falls es nach der Geburt zu Blutungen kommt. Wer Schmerzmittel oder eine engmaschigere Überwachung möchte, muss nach aktueller Gesetzeslage in einem Krankenhaus gebären.
„Im Geburtshaus wird nur in Maßen kontrolliert, damit erkannt werden kann, ob etwas nicht gut läuft“, erzählt Ayana. 18 Prozent der Geburten in Ayanas Geburtshaus werden in die Klinik verlegt, weil die Schwangeren Schmerzmittel möchten oder der Geburtsprozess sehr lange dauert. Nur zwei Prozent davon sind Notfallverlegungen.
Kaiserschnitte sind laut WHO nur in 15 Prozent der Geburten nötig, aber aktuell wird in Deutschland fast jedes dritte Kind durch einen Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Die Kosten für eine Geburt im Geburtshaus mit 1:1 Betreuung wird von der Krankenkasse übernommen. Um diese zu gewährleisten, muss eine Rufbereitschaftspauschale an die Hebamme entrichtet werden, die ebenfalls teilweise oder sogar gänzlich von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt werden kann. Dabei wird ein Festbetrag fällig, für den sich die Hebamme ab drei Wochen vor und, bis zwei Wochen nach dem errechneten Geburtstermin für die Entbindung bereit hält.
„Ist eine Geburt im Krankenhaus sicherer?“ –
„Ich finde, in die Klinik zu gehen, ist ein anderes Risiko.“
„Die Geburtshäuser finde ich gut so, wie sie sind, auch ohne Medikamente. Ich denke aber, dass es schön wäre, wenn man sie teilweise an Krankenhäuser angliedert, um eine schnelle Verlegung zu gewährleisten“, findet Ayana.
Sogenannte Hebammenkreißsäle existieren bereits vereinzelt in Deutschland. Dabei befindet sich das Geburtshaus auf dem Klinikgelände oder in der Klinik, wird jedoch nicht von Ärzt*innen geleitet, sondern von Hebammen. Falls dort Probleme auftreten, kann eine schnelle Verlegung in den klinischen Kreißsaal oder einen OP gewährleistet werden. Durch die unmittelbare Nähe verlieren solche Einrichtungen jedoch auch den nötigen Abstand zum klinisch sterilen Stil.
Für den Moment würde es Ayana reichen, wenn bei Geburten im Krankenhaus eine Atmosphäre herrschen würde, die es sowohl für die Schwangeren als auch für die Hebammen zu einem Moment voller Empowerment und Zuversicht macht. Dabei sind es die kleinen Dinge, wie Blumen, warmes Licht oder ein gemütlicher Sessel, die dem Krankenhausstil entgegenwirken könnten. Das Wichtigste sei für Ayana aber ein wertschätzender und liebevoller Umgang miteinander – und mit den Schwangeren.
Ayana sagt in unserem Gespräch oft, sie sei zu empathisch für diesen Beruf und bezieht sich dabei eigentlich nur auf das Studium, denn wir finden beide, dass es genau das braucht: Einen Menschen, der mitfühlt und den Schwangeren mit Wissen und Unterstützung zur Seite steht. Ich hoffe sehr, dass sie das Studium fortsetzt, und Schwangere so begleiten kann, wie sie es für richtig hält: liebevoll, empowernd, abwartend und bedürfnisorientiert – weil ich eigentlich keine andere Hebamme an meiner Seite wissen möchte, wenn ich selbst mal ein Kind zur Welt bringe.
Dieser Text erschient erstmals im Juni 2022.
Fakten zum Hebammen-Studium*
Mit der Reform der Hebammenausbildung wurde erstmals das duale Studium als neue Ausbildungsform für Heilberufe eingeführt.
Durch das duale Studium können angehende Hebammen ein wissenschaftliches Studium mit einer beruflichen Ausbildung verbinden. Die Studiendauer beträgt in Vollzeit mindestens sechs Semester (drei Jahre) und höchstens acht Semester (vier Jahre). Das Studium hat einen hohen Praxisanteil und zeichnet sich durch eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis aus. Die Praxiseinsätze finden im Krankenhaus und im ambulanten Bereich, zum Beispiel bei einer freiberuflichen Hebamme oder in einem „Geburtshaus“ statt. Das duale Hebammenstudium schließt mit der Verleihung des akademischen Grades durch die Hochschule ab und umfasst eine staatliche Prüfung zur Erlangung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Hebamme“.
Hebammen arbeiten in Geburtsstationen in Krankenhäusern, in Hebammenpraxen oder Geburtshäusern. In Krankenhäusern sind sie überwiegend in Kreißsälen und auf Wochenstationen tätig. Freiberufliche Hebammen betreuen werdende Mütter auch bei einer Hausgeburt oder bei der ambulanten Nachsorge.
Die Reform der Hebammenausbildung sieht einen Übergangszeitraum bis Ende 2022 vor, in dem neben einem Hebammenstudium eine Hebammenausbildung nach altem Recht an einer Fachschule begonnen werden kann. Diese Ausbildung kann bis Ende 2027 abgeschlossen werden.
Mehr Infos zum Studium findet ihr u.a. hier.
(*Quelle: Bundesministerium für Gesundheit)