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Jane Austen: Eine Hommage an eine Schriftstellerin, die ihrer Zeit weit voraus war

„Liebe Jane,…“ – Zum 200. Todestag der Schriftstellerin Jane Austen.

Männer schrieben deine Geschichte

Heute, am 18. Juli 2017 ist der 200. Todestag von Jane Austen. Sie begann zu schreiben, als sie elf war, veröffentlichte ihren ersten Roman mit 29 und starb mit 41 Jahren. Auf ihrem Grabstein ließ man eingravieren: „In liebevoller Erinnerung an Jane Austen, jüngste Tochter des Pfarrers George Austen.“ Jane als Autorin und ihre Romane werden nicht erwähnt. Zu ihrem Todestag habe ich ihr einen Brief geschrieben.

Liebe Jane,

was wüssten wir von dir, liebe Jane, wenn es die Männer in deinem Leben nicht gegeben hätte? Deinen Vater, den Pfarrer, der seinen Töchtern genauso wie seinen Söhnen die heimische Bibliothek öffnete. Der dich vermutlich zuhören ließ, wenn er im Pfarrhaus andere Jungen unterrichtete, die er in Pension genommen hatte. Den Verleger, der deinen ersten Roman herausbrachte. Deinen Bruder und deinen Neffen, die mit ihren Biografien deinen posthumen Ruhm befeuerten. Und nicht zuletzt andere große Schriftsteller wie Walter Scott und Coleridge, die dein Talent lobten. Deine Schwester Cassandra, engste Vertraute, ein Leben lang, deine Seelenverwandte, die dich pflegte und in deinen letzten Stunden bei dir war, hat hingegen die meisten deiner Briefe verbrannt. Wahrscheinlich wollte sie dich schützen Jane, denn es war eine Männerwelt, in der ihr gelebt habt. So schrieben Männer deine Geschichte.

Dein Bruder benannte deine letzten beiden Romane und veröffentlichte sie. Er hatte schon zu Lebzeiten für dich mit Verlegern verhandelt. In der Veröffentlichung nannte er zum ersten Mal deinen Namen. (Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt ein offenes Geheimnis war, dass du die Autorin warst.) Diese Romane ergänzte dein Bruder um eine Kurzbiografie. Später schrieb dein Neffe ein ganzes Buch über dich.

Hier entstand es, dieses Bild von dir, das so gut zum einzigen Porträt zu passen scheint, was wir von dir kennen (und das deine Schwester Cassandra gemalt hat). Attraktiv warst du, schreiben sie, filigran, schön, innen wie außen, mit fehlerlosem Charakter. Du wusstest dich immer zu benehmen. Ein zurückgezogenes Leben hast du geführt. Nie sagtest du einen unüberlegten Satz und hast entschieden, dich einfach nicht zu Dingen zu äußern, von denen du nichts wusstest. Dinge wie die Politik oder das Staatswesen. Deine Hände konnten nicht nur schreiben, sie waren mindestens genauso gut in Stickerei und anderen Handarbeiten. Überhaupt, das Schreiben. Du schriebst, weil du deine Familie unterhalten wolltest, wie es Frauen damals taten, meist aber mit Musik, Singen oder Vorlesen.

Mein Bild von dir ist das einer starken Frau

Ich glaube, du warst nicht zurückgezogen, Jane. Ich glaube, du warst mindestens genauso schlagfertig und ironisch wie deine Heldin Elizabeth Bennet in Stolz und Vorurteil. Ich glaube nicht an das Bild, dass du dein Manuskript unter deiner Stickerei versteckt hast, sobald jemand zur Tür hinein kam. Dass du deshalb niemanden die quietschende Türschwelle hast reparieren lassen, die dir zuverlässig Besucher ankündigte. Das tun die meisten Literaturwissenschaftler*innen auch nicht mehr. Sie meinen, dass du viele Freundinnen hattest, dass du ein Leben voller Menschen geführt hast, nicht nur mit Menschen aus deiner Familie. Und dass diese Menschen wussten, dass du schreibst, dass du deine Texte vielleicht mit ihnen besprochen hast, dass manche von ihnen sogar ein wenig Angst hatten, einmal in einem deiner Romane zu enden, in denen du scharfzüngig die Figuren beschriebst.

Ich glaube, deshalb hat Cassandra deine Briefe verbrannt. Weil sie wusste, dass das Bild einer Autorin auch über die Beliebtheit ihrer Werke entscheiden würde und du trotz deiner wunderbaren Romane den Makel der Kinder-und Ehelosigkeit trugst. In deinen Romanen durftest du ironisch und scharfzüngig sein, aber war man bereit für eine Jane, die sich auch im echten Leben so äußerte? Cassandra wusste um das, was dir das Wichtigste war: das Schreiben.

Deine Situation ist heute noch aktuell

Ich glaube, du warst zielstrebig, Jane. Du wolltest erfolgreich sein. Jahrzehntelang hast du geschrieben, editiert, verändert und gehofft. Du hast viel unternommen, um veröffentlicht zu werden. Romane waren damals ein neues Genre, das sich Frauen erobern konnten. Wärst du heute vielleicht Bloggerin geworden? Deine Ironie und dein Witz hätten sich gut auf Twitter gemacht. Du hast es genossen, Jane, als die ersten 140 Pfund eintrafen. Du hast die Summen genau beziffert und sie in Briefen benannt. Du warst stolz. Du kanntest ärmliche Verhältnisse, du kanntest das schale Gefühl der Abhängigkeit, das Betteln-müssen, weil du nie die Sicherheit einer Ehe hattest. Und weißt du was, Jane? Mit Blick auf die Situation vieler Alleinerziehender und drohender Altersarmut bei Frauen scheint das heute alles gar nicht so weit weg zu sein, wie wir es gern hätten.

Man sieht es auch in deinen Romanen, Jane. Auch, wenn dich heute viele als romantische Autorin lesen, die die Liebe feiert, spielt Geld darin eine mindestens genauso große Rolle. Für Männer bedeutete es Status, für Frauen bedeutete es alles. Du beschreibst in Stolz und Vorurteil spöttisch Mrs. Bennet und ihre Bemühungen, fünf Töchter zu verheiraten, aber ich glaube, du hattest tiefe Sympathien für sie. Verheiratet zu sein war eine existenzielle Notwendigkeit. Kaum jemand schreibt so offen über Geld wie du. Wenn die Forschung heute wissen will, was man in deiner Zeit brauchte um zu überleben, für ein gutes Leben, für ein sehr gutes Leben, dann schaut sie in deine Bücher. Denn du nennst die Zahlen. Wenn du eines eigentlich nicht bist, das finde ich wirklich Jane, ist es sentimental und romantisch. Du beschreibst auch die Liebe mit spitzer Feder. Du gönnst deinen Heldinnen einen Partner, eine Ehe, aber eigentlich gönnst du ihnen finanzielle Sorglosigkeit, ein gutes Leben. „Ich wusste immer, dass du nur einen Mann akzeptieren könntest, der dir ebenbürtig ist.“ sagt Mr.Bennet am Ende zu seiner Tochter Elizabeth und ich weiß, du meinst eine Partnerschaft auf Augenhöhe, Jane, die so auch Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit versprechen konnte.

Du hast dich für die Unabhängigkeit entschieden

Dass die Realität nicht deine Romane waren, wusstest du nur zu gut. Vielleicht enden sie deshalb alle mit der Eheschließung und erzählen die Geschichten nie weiter als bis an diesen Punkt. Deine eigene Chance auf das vermeintliche Glück hast du verstreichen lassen und eine mögliche Ehe ausgeschlagen. Obwohl sie dir finanzielle Sicherheit versprochen hätte. Harris Bigg Wither hätte mit seinen Ländereien eigentlich auch gut eine deiner Romanfiguren sein können. Aber du wolltest ihn nicht heiraten. Weil du nur aus Liebe heiraten wolltest, sagen manche. Ich glaube, du wusstest, dass eine Ehe mit Kindern das Ende bedeutet hätte, selbst wenn sie nach den Standards deiner Zeit glücklich gewesen wäre. Das Ende deines Schreibens, das Ende deiner Kreativität und Unabhängigkeit. Wenn du und die Kinder das Kindbett überlebt hätten, wären andere Verpflichtungen gekommen. Es war eine dunkle, eine kalte Zeit, ohne elektrisches Licht und Zentralheizung. Sie war entbehrungsreich und ganz anders als in den Serien und Filmen, die wir heute zu deinen Büchern kennen. Die, die die englische Landschaft und die Menschen darin weichzeichnen. Ein wenig nur ahnt man es in der Stolz und Vorurteil-Verfilmung mit Keira Knightley, in der es zieht, die Schweine durch den dreckigen Hof laufen und die Rocksäume immer ordentlich eingeschlammt sind.

Ich glaube, du warst eine fantastische Beobachterin Jane, du hast deine Gesellschaft besser verstanden als viele Männer. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dir ein Zimmer für dich allein überhaupt gefallen hätte, wie es dir Virginia Woolf gewünscht hat oder eine andere Zeit, um darin zu leben, wie Simone de Beauvoir fand. Ich glaube, du warst knallharte Realistin. Genau wie deine Schwester Cassandra, die deine Briefe verbrannte. In einem Brief, den sie übrig ließ, beschreibst du deine Romane als deine Kinder. Das ging. Das versprach ein wenig den traditionellen Weg, den man für Frauen vorgesehen hatte. Du wurdest zur Mutter auch ohne Kinder, über deine Bücher. Ich glaube, du hast noch über viele andere Dinge geschrieben. Vielleicht über deine Liebesbeziehung in Bath, die du bewusst dort gelassen hast, obwohl du wohl sehr verliebt warst. Oder vielleicht darüber, dass du dir selbst einfach genug warst, eine Vorstellung von einer Frau in den 30ern, die noch heute viele irritiert.

Deine Heldinnen sind wie du

Denn deine Heldinnen sind nicht nur auf der Suche nach der großen Liebe, sie sind auf der Suche nach sich selbst. Deshalb lehnen auch sie Heiratsanträge ab, stellen bei Konversationen die vermeintlich falschen Fragen (wie Fanny Price, die in Mansfield Park die Sklavenhaltertätigkeiten des Hausherren anspricht). Sie fügen sich nicht in alle Konventionen, einfach nur, um einen Mann zu finden. Aber sie passen sich an und die Liebe überfällt sie irgendwann wie ein unvorhergesehenes Ereignis. Damit, liebe Jane, hast du uns wohl die größte Hypothek mitgegeben. Mit diesem Versprechen, dass man das Glück und sich selbst finden kann, wenn man den Einen findet. Aber was hätte es anderes gegeben, in deiner Zeit, die die Versorgerehe langsam zur bürgerlichen Liebesehe umdeutete – für dich selbst als Jane, die unverheiratete Pfarrerstochter und für Jane, die Autorin, die sich finanzielle Sicherheit erschreiben wollte?

Du hast um das Alles und die Zwänge gewusst und es wird dich mehr als einmal tief geschmerzt haben. Wenn ich versuche, dir nachzuspüren, kommt mir diese Udo Lindenberg-Textzeile in den Sinn: „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.“ Ich glaube, unabhängig von deiner Schreibkunst und der Zeitlosigkeit deiner Figuren, bist du deinen Leserinnen heute deswegen immer noch so nah. Weil du es verstehst. Du warst keine Aktivistin. Die Suffragetten, die für das Wahlrecht nicht nur Briefkästen sprengten, kamen erst gut 100 Jahre nach dir. Aber es gab auch zu deiner Zeit Frauen, die unangepasstere Leben geführt haben, die Forderungen stellten, die ihre Grenzen ohne Rücksichtnahme ausdehnten. Mary Shelley war eine von ihnen.

Du hast Frauen in all ihren Facetten beschrieben

Du hast deine Umgebung scharf beobachtet, aber du hast keine Pamphlete geschrieben oder wilde Ehen geführt. Trotzdem warst du immer auf der Seite der Frauen. Wer sich bei dir in Mr.Darcy verliebt, hat zuerst sein Herz an Elizabeth Bennet verloren. Wir fühlen mit Fanny Price und niemand verurteilt Marianne Dashwood wegen ihrer Schwärmerei oder Emma Woodhouse wegen ihrer Distanzlosigkeit. Bei dir gibt es Frauen als Menschen, in allen Schattierungen. Es gibt die Guten, die Hinterhältigen, die Einfältigen, die Klugen, die Freundinnen und die, die einem das Messer in den Rücken rammen, wenn man sich wegdreht. Deine Figuren sind keine fehlerlosen Charaktere, wie du in deinen Biografien einer werden solltest und wir lieben sie genau deswegen. Wir spüren ihnen und ihrer Zeit nach und wissen um ihr Schicksal und das aller Frauen, das unausgesprochen zwischen den Seiten steht.

Manchen fällt es nicht leicht, sich ein Bild von dir zu machen, Jane. Zu viel Zeit liegt dazwischen und zu wenige Worte gibt es von dir über dich. Es scheint schwer, sich vorzustellen, dass eine Frau, die ein so scheinbar beschauliches, angepasstes und ereignisloses Leben geführt hat, das nie über Südengland hinausging, trotzdem diese Literatur voller Witz, Schlagfertigkeit, Klugheit und Ironie hervorbrachte. Was sagt das eigentlich über uns? Ich aber, Jane, ich glaube nicht nur, ich weiß, dass es dir sehr gefallen hätte, dass du bald auf einem britischen Geldschein zu sehen sein wirst.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Corinnes Blog makellosmag.de erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.

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