Junge Mütter stehen oft allein da. Zwischen Erschöpfung, mentaler Last und dem Wunsch, allem gerecht zu werden, bleibt kaum Raum für die eigenen Bedürfnisse, Ängste und Sorgen – oder einfach für die Zeit, in die neue Rolle hineinzuwachsen. Genau hier setzt die Arbeit von Mütterpflegerinnen an – wir trafen Marta Woller in Berlin und sprachen über ihre wichtige Arbeit.

Mütterpflegerinnen entlasten, begleiten, hören zu und fangen auf – emotional und ganz praktisch. In Deutschland gibt es derzeit nur rund 200 bis 300 Mütterpflegerinnen, eine noch sehr geringe Zahl angesichts der steigenden Nachfrage. Immer mehr Frauen suchen nach Unterstützung, insbesondere in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt. Die COVID-19-Pandemie hat den Bedarf noch deutlicher gemacht. Am 16. Februar 2023 wurde mit MDEV Mütterpflege Deutschland e.V. der erste Berufsverband gegründet – mit dem Ziel, den Beruf zu professionalisieren und mehr Sichtbarkeit zu schaffen.
Marta Woller kennt die Herausforderungen aus eigener Erfahrung. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes rutschte sie in eine postpartale Depression, die sie erst spät erkannte. Damals hätte sie dringend Unterstützung gebraucht. Heute ist sie selbst Mütterpflegerin und hilft Frauen durch die ersten Monate mit Baby. Ihre Berufung, erzählt sie im Interview, fühle sich für sie an wie ein Puzzle, das sich nach und nach zusammenfügt: Als gelernte Pflegefachkraft mit Erfahrung in der Gerontopsychiatrie (psychische Erkrankungen im höheren Lebensalter, u.a. Demenz) hat sie lange mit Menschen gearbeitet, die besondere Unterstützung brauchten. Jetzt setzt sie dieses Wissen ein, um Menschen in einer prägenden Phase ihres Lebens zu stärken. Wir führten ein Gespräch über Mutterschaft, Überforderung und den wichtigen und oftmals schwierigen Schritt, um Hilfe zu bitten.
Liebe Marta, wie sieht dein Alltag als Mütterpflegerin aus?
„Ich bin im Haus die helfende Hand, aber dadurch, dass ich spezialisiert bin auf den Umgang mit der Mutter und mit Neugeborenen besteht die Hauptarbeit darin, zuzuhören, empathisch zu sein und zu erkennen, wo der Bedarf liegt. Die meiste Zeit verbringe ich damit, die Mutter da zu entlasten, wo sie Hilfe braucht. Das kann individuell unterschiedlich sein. Ich mache eigentlich alles, was dazu führt, dass sich die Frauen wohlfühlen: dazu gehört, die Wäsche aufzuhängen ebenso wie eine Mahlzeit zu kochen oder Geschwisterkinder mitzuversorgen. Es geht darum, dass die Frau sich einfach wirklich zurücklehnen kann, Zeit hat, ins Stillen zu kommen, ihre Wunden versorgen zu lassen und sich in dieser neuen Lebenssituation irgendwie zurechtzufinden.“
Was unterscheidet dich von der Hebamme?
„Eine Hebamme verfügt über fundiertes medizinisches Fachwissen und übernimmt Aufgaben, die ich nicht erfüllen kann und darf – also alles, was in den medizinischen Bereich fällt. In kritischen Situationen gebe ich natürlich auch einen Impuls, aktiv zu werden und habe stets ein wachsames Auge. Ich arbeite gerne mit Hebammen zusammen, um den Frauen ein rundum gutes Gefühl zu geben. Unsere Aufgaben haben aber einfach komplett unterschiedliche Schwerpunkte.“
Wenn ich jetzt ein Kind erwarte und das Glück hatte, davon zu erfahren, dass es Mütterpflegerinnen gibt: Was muss ich tun, um eine Mütterpfegerin zu bekommen?
„Der Antrag wird bei der Krankenkasse gestellt, das erfordert eine oder mehrere Diagnosen. Oft handelt es sich um postpartale Depressionen, aber auch um Stillschwierigkeiten oder Zustände nach Geburtsverletzungen. Nach einem Kaiserschnitt handelt es sich um einen postoperativen Eingriff, bei dem die gesamte Bauchdecke durchtrennt wurde, hier hat man nochmal zusätzlichen Anspruch aus einem anderen Paragrafen aus dem SGB V (Sozialgesetzbuch), der das Ganze weiter unterteilt.
Die Liste möglicher Diagnosen und Erkrankungen, die Frauen betreffen, ist wirklich lang. Und es geht nicht nur um Risikoschwangere oder Wöchnerinnen, sondern auch um Mütter mit älteren Kindern. Viele Frauen, die sich in einer Chemotherapie befinden, haben beispielsweise schon größere Kinder. Sie entscheiden sich häufig für Mütterpflegerinnen anstelle von Reinigungskräften über eine Firma, bei denen oft Männer ins Haus kommen oder das Personal ständig wechselt. In schwierigen Phasen ist es für viele angenehmer, wenn eine vertraute Person konstant da ist. Ich glaube, dass dieses Konzept – von Frauen für Frauen – dazu beiträgt, dass man sich einfach wohler fühlt. Dies kann bei einigen Erkrankungen auch zu einer besseren Genesung führen. Ich bin den Krankenkassen dankbar, dass sie hier meistens Verständnis zeigen.“
Du sagst, die Liste der Erkrankungen sei lang. Welche Beobachtungen machst du hier in deinem Berufsleben?
„Tatsächlich ist das sehr verschieden. Es gibt Frauen, die von der Geburt Verletzungen davontragen, andere sind mental erschöpft, leiden oft unter depressiven Verstimmungen oder gar Depressionen. Häufig kommen die Frauen mit dem Kind/den Kindern nach Hause und fühlen sich schlichtweg allein. Ich denke, dass der Umstand des Großstadtlebens der ist, dass viele Familien einfach zerklüftet sind. Anders als hier und da noch auf dem Land, leben die Angehörigen nicht alle in derselben Stadt.
Die Frau braucht in dieser sensiblen Phase aber eine Form von Fürsorge. Oft gibt es keinerlei Unterstützung und auch keine engen vertrauten Personen. Diese Rolle könnten auch Freund*innen übernehmen, aber in den meisten Fällen geht diese Rechnung nicht ganz auf, weil sie selbst Kinder haben und eingespannt sind oder vielleicht kinderlos sind und die Situation nicht ganz verstehen können.“
Warum ist es häufig so schwer, um Hilfe zu bitten beziehungsweise die Hilfe auch anzunehmen?
„Da gibt es diese Angst zu versagen. Selbst wenn wir Hilfe annehmen und sie tatsächlich kommt, verstärkt sich dieses Gefühl oft noch. Anstatt zu sehen: Wir haben nicht versagt, sondern wir haben im richtigen Augenblick die Notbremse gezogen, um das alles hier anders zu gestalten. Ich sage denen, die das schaffen, häufig, wie toll es ist, dass sie sich Hilfe geholt haben, weil ich finde, dass das eine richtig starke Eigenschaft ist.
In den meisten Fällen entsteht einfach eine extreme Überlastung der Mütter: Da ist all das Bürokratische, was man erledigen muss, das Kind schreit, weint, gedeiht nicht, man kommt nicht ins Stillen, ernährt sich nicht richtig. Man hat keine Glückshormone, kommt nicht in dieses positive Denken hinein, und dann fällt man in die Spirale und alles dreht sich nur noch.“
Ich erzählte einer Kollegin, die auch Mutter ist, von unserem Interview. Ihr erster Impuls: Eine Mütterpflegerin hätte ich dringend gebraucht! Würde es das Gesundheitssystem nicht nachhaltig entlasten, wenn jede Mutter in der ersten Zeit eine Mütterpflegerin hätte?
„Sehe ich genauso. Wenn man nach der Geburt zeitnah entlastet wird und positiv in diese neue Lebenssituation starten kann, ist man für die kommenden Jahre viel gestärkter. Theoretisch hat auch jede Frau nach der Geburt für sieben Tage Anspruch auf eine Mütterpflegerin bzw. Haushaltshilfe. Aber das System funktioniert nicht richtig. Wenn eine Frau beispielsweise an einem Dienstag oder Mittwoch entbindet, zwei bis drei Tage im Krankenhaus bleibt und dann nach Hause kommt, ist eine Woche schon fast vergangen.
Gleichzeitig braucht die Krankenkasse oft zwei Wochen für die Genehmigung. Dann muss die Frau erst einmal eine Mütterpflegerin finden. Das heißt, selbst wenn die Bewilligung vorliegt, sind wir oft schon drei Wochen weiter – und eigentlich kann ich dann gar nicht mehr helfen, denn die Bewilligung ist ja bereits abgelaufen, bevor sie begonnen hat. Das System greift einfach nicht ineinander, es geht schlichtweg nicht auf.“
Was müsste sich hier ändern, damit das System funktioniert? Was würde dir das Arbeitsleben leichter machen und was wäre für die Frauen, die den Bedarf haben, sinnvoll?
„Ich fände es sinnvoll, wenn die Kostenträger etwas flexibler wären. Wenn sie nicht immer so starre Zeiträume bewilligen würden. Es ist einfacher, 24 Stunden die Woche zu leisten, als sechs Stunden an vier festgelegten Tagen. An einigen Tagen ist weniger zu tun, weil es Mutter und Kind besser geht, an anderen brennt die Hütte. In der Praxis hieße das um punkt 15 Uhr: ,Tschüss‘, egal wie es Mutter und Kind geht.
Ich erbringe eine sehr sinnvolle Arbeit bei den Frauen zu Hause und für diese werde ich vergütet. Wenn eine Frau mir einen Einsatztag absagt, bekomme ich für diesen Tag nicht einmal eine Ausfallpauschale. Auch geht meine Arbeitszeit außerhalb der Häuslichkeit aber oft noch weiter. Die Kassen zahlen mir meine Bürozeiten nicht. Ertsgespräche und Antragshilfestellungen werden nicht bezahlt. Abgesehen von dem Anlegen der Stammdaten oder der Rechnungsstellung gehen viele Stunden in die Organisation und Kommunikation mit den Kassen: Wird bewilligt? Wann wird bewilligt? Wieviel wird bewilligt? Es wäre also wichtig, dass die Anträge schneller bearbeitet werden können, realistisch sind aber zwei bis drei Wochen. Da geht häufig sehr viel kostbare Zeit ins Land, die schnell zu noch größeren Krisen führen kann.“
Wie viele Frauen betreust du und wie oft bist du bei ihnen?
„Das ist immer ganz unterschiedlich. Aktuell betreue ich drei Frauen/Familien parallel und das ist schon sehr viel. Aber ich versuche, sie alle abzudecken, weil der Bedarf einfach da ist. Ich mag keine dieser Familien ,alleine‘ lassen. Ich biete den Frauen auch immer an, sie an die Gruppe weiterzuleiten, wenn ich nicht alle Stunden gleichzeitig leisten kann, in der Hoffnung, eine meiner tollen Kolleginnen kann übernehmen oder mit reingehen.“
Wie empfindest du den Kontakt zu den Familien, in denen du arbeitest? Entwickeln sich dort auch tiefere Bindungen?
„Diese tiefere Bindung habe ich für mich bisher in jedem Einsatz gehabt, auch wenn sie unterschiedlich ausfällt. Ich spüre immer, dass es einen großen Hilfebedarf gibt. Und selbst wenn es schon kurz vor einer kritischen Situation war, hat es sich irgendwie immer so gefügt, dass ich genau im richtigen Moment da war. Es hat bislang immer geklappt, die Frauen aufzufangen, bevor es wirklich kritisch wurde. Aber mir ist klar, dass das auch mal anders sein kann.
Natürlich lernt man mit der Zeit auch die Eigenheiten der Menschen kennen, und natürlich komme ich hier und da auch mal an meine persönlichen Grenzen, das ist klar. Aber der überwiegende Teil der Menschen ist wirklich dankbar und glücklich über die Unterstützung. Man wird mit der Zeit fast ein Teil der Familie, und genau da ist der Unterschied: Kommt man nur für den Einsatz oder bekommt man wirklich einen tieferen Einblick in das Familienleben?
Manchmal merkt man das schon an kleinen Dingen – zum Beispiel daran, ob man einfach nur arbeitet oder ob man gemeinsam am Tisch sitzt. Wenn eine Familie sagt ,Setz dich doch zu uns!’ entsteht eine ganz andere Atmosphäre. Besonders wenn Geschwisterkinder zu Hause sind, weil die Kita mal wieder nur Notbetreuung anbietet. Dann versorge ich nicht nur die Mutter und das Baby, sondern betreue manchmal auch ein oder zwei ältere Geschwisterkinder. Das verändert das Miteinander enorm. Letztlich zählt aber nur eines: Der Hilfebedarf ist da – und ich bin überall gerne im Einsatz.“
Wie wichtig ist dir, dass du diesen Job wirklich selbstständig machst?
„Also, ich liebe diesen Job und ich will ihn gar nicht mehr hergeben. Und ich möchte nicht wieder in einem Angestelltenverhältnis landen. Das kann zwar auch Vorteile mit sich bringen, aber ich arbeite lieber selbstorientiert und selbstorganisiert für die Frauen. Ich vermute ein Großteil meiner Kolleginnen sieht das ähnlich. Die gesamte Gründungsphase war für mich so nervenaufreibend aber auch aufregend und ich bin stolz auf mich, dass ich das geschafft habe, auch dank positivem Zuspruch meiner Freundin und Kollegin Anna.
Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn die Krankenkassen unsere Arbeit so schätzen würden und nicht zunehmend Verträge mit ,Partnern‘ unterzeichnen würden. Das ist immer eine Abzocke an denen, die die tatsächliche Arbeit leisten. Wir haben uns alle den Hintern aufgerissen, um das zu werden, was wir sind. Ich möchte selbstständig bleiben. Das bedeutet natürlich auch immer mal wieder viel Stress, aber auch Bange, wenn zwischendurch keine Aufträge da sind.“
Weitere Informationen über Mütterpflegerinnen
Alle Infos über Mütterpflegerinnen, ihre Leistungen, den Antrag bei der Krankenkasse u.v.m. gibt es bei dem Verband Mütterpflege Deutschland e.V. (MDEV). Hier besteht auch die Möglichkeit, Mütterpfleger*innen in deiner Nähe zu finden.
ZAHLEN UND FAKTEN
Geburten in Deutschland 2023: 667.705 Entbindungen – Quelle: Statistisches Bundesamt
Kaiserschnittrate in Deutschland 2023: Basierend auf den aktuellsten verfügbaren Daten für das Jahr 2023 wurden in Deutschland etwa 32,6% aller Geburten per Kaiserschnitt durchgeführt, das entspricht einem Rekordwert. In absoluten Zahlen: Von den 667.705 Entbindungen in Krankenhäusern im Jahr 2023 waren etwa 217.672 Kaiserschnitte. Quelle: Redaktionsnetzwerk Deutschland
Postpartale Depression: Postpartale Depression tritt häufiger auf als viele annehmen. Etwa 10-15% der Frauen entwickeln nach einer Geburt eine postpartale Depression. Einige Studien zeigen sogar eine höhere Prävalenz. Quelle: Deutsche Depressionshilfe
Alleinerziehend mit minderjährigen Kindern 2021: 1,5 Millionen; Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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