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Mentale Stärke: „Hilfe suchen, wenn man sie braucht“

Stress, Leistungsdruck, zu wenig Zeit für sich: Viele Menschen fühlen sich ausgelaugt und energielos. Fünf Frauen sprechen darüber, wie sie damit umgehen, sich erholen und Kraft sammeln.

Stress, Probleme und Sorgen sind belastend; vielen Menschen fällt es schwer, Krisen wegzustecken. Schnell machen sich dann auch Selbstzweifel bemerkbar. Umso wichtiger ist es, die eigene mentale Stärke zu trainieren und zu lernen, wie sich Geist, Gefühle und Seele in Einklang bringen lassen. Eine chinesische Weisheit lautet: „Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf Deine Worte, denn sie werden zu Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden zu Gewohnheiten.“ Ob das wohl immer so leicht ist? Wir haben Expert*innen gefragt.

Die RTT-Therapeutin Ciara Davies, die Journalistin Jutta Ribbrock, die Radiojournalistin Katharina Mild, die Psychotherapeutin Dipl.-Psych. Veronika Bamann und die Resilienz-Expertin Dr. Donya Gilan teilen, was sie in Krisenmomenten tun, wo bei ihnen die Grenzen der Belastung liegen und welche Tipps sie haben, um mentale Stärke zu erlangen.

Ciara Davies

Foto: Wendy Yalom

Ciara Davies ist zertifizierte Business Coachin und Rapid-Transformational-Therapeutin. Eine Therapieform, in der durch das Bewusstwerden von alten Gedanken- und Gefühlsmustern und deren Neuprogrammierung Blockaden gelöst werden. Mit dieser einzigartigen Kombination unterstützt sie Künstler*innen, Führungskräfte und Aktivist*innen dabei, ihr volles Potenzial zu entfalten und es zu nutzen, um mit ihrer Arbeit die Welt positiv zu verändern.

Was bedeutet mentale Stärke für dich und in welchen Situationen brauchst oder spürst du sie? 

„Für mich basiert mentale Stärke auf Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, da es sich hier um zwei Ressourcen handelt, aus denen ich in meiner Arbeit und in meinem Privatleben oft schöpfe. Mentale Stärke bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für die Art und Weise, wie ich mein Leben führe, indem meine Entscheidungen vielmehr von Lebenserfahrung und Vernunft als von meinen Umständen oder den Absichten anderer Personen bestimmt werden. Kurz gesagt, befähigt mentale Stärke eine*n dazu, über die eigenen Handlungen und deren Folgen nachzudenken und diese abzuwägen sowie Verantwortung für sie zu übernehmen.“

Hast du einen Glaubenssatz, der dich stark macht?

„Der stärkste Glaube, den ich besitze, ist der Glaube an mich. Dieser Glaube setzt sich aus drei Säulen zusammen: Dem Glauben, dass ich genauso viel Recht habe, glücklich zu sein, wie jede*r andere. Dem Glauben, dass ich die Kraft habe, Herausforderungen zu überwinden und dem Glauben an meine Fähigkeit, jederzeit weiterzulernen und mich verbessern zu können. Dieser Glaubenssatz verleiht mir die Kraft und den Mut, Risiken einzugehen, mutige Entscheidungen zu treffen und mein Leben nach meinen eigenen Wertvorstellungen zu gestalten, ganz egal welche Hindernisse oder Möglichkeiten mir das Leben in meinen Weg legt.“

In welchen Situationen fühlst du dich besonders belastet?

„Dank meiner Erfahrung und tiefgreifender persönlicher Entwicklung als Coachin und RTT-Therapeutin gelingt es mir nun besser, unter Druck die Ruhe zu bewahren. Aber Stress ist noch immer ein Thema, wenn beispielsweise meine Zeit stark beansprucht ist oder ich mich in einem Umfeld befinde, in dem ehrliche Unterhaltungen nicht erwünscht sind. Das ist tatsächlich einer der Hauptgründe, wieso ich entschied, mein eigenes Unternehmen zu gründen – damit ich die volle Kontrolle darüber haben kann, wie, wo und mit wem ich meine Zeit verbringe.“

Wo liegt die Grenze deiner mentalen Stärke?

„Ich arbeite jedes Jahr daran, eine stärkere Mentalität zu bilden, und dabei suche ich nicht nach Grenzen. Bei dem Verstand handelt es sich um den stärksten Vorzug des Menschen und ich habe für mich herausgefunden, dass ich meine mentale Gesundheit wahren kann, indem ich stets ehrlich zu mir selbst bin und zur selben Zeit versuche, mich selbst oder andere nicht zu hart zu beurteilen.“

Was rätst du anderen Menschen für mentale Stärke in Krisenzeiten? Hast du Tipps?

„Es ist wichtig, täglich Self-Care mithilfe von Meditation, Bewegung und Ernährung sowie durch Entrümpeln deines Zuhauses zu praktizieren. Self-Care bedeutet auch, dass wir auf die Informationen, die wir aufnehmen, achten müssen. Wissen ist Macht, zumindest bis zu einem gewissen Punkt, aber es kann sich auch ein Zwang entwickeln, wenn man sich ausschließlich und ständig auf schlechte Nachrichten und Worst-Case-Szenarien konzentriert. Wenn bestimmte Arten von Medien dir Angstzustände bereiten und du dich zunehmend machtlos fühlst, dann ist es in Ordnung, dich von ihnen zu distanzieren. Je gesünder wir geistig und körperlich sind, desto mehr Kraft besitzen wir, um andere Menschen zu unterstützen. Deshalb bitte ich dich, Self-Care als das anzuerkennen, was es tatsächlich ist: eine Handlung, die deinen Mitmenschen dient.“

Jutta Ribbrock

Foto: privat

Jutta Ribbrock ist Mutter zweier Töchter, macht Radionachrichten, unterrichtet Nachwuchsjournalist*innen, spricht für Hörbücher im Studio und für öffentliche Veranstaltungen auf der Bühne. Im Podcast „einfach ganz leben“ unterhält sie sich mit Autor*innen, Coaches und Lebenskünstler*innen, Ärzt*innen und Ernährungsexpert*innen über alles, was das Leben schöner, einfacher, entspannter und zugleich bewegender macht. 

Was bedeutet mentale Stärke für dich und in welchen Situationen brauchst oder spürst du sie?

„Mentale Stärke ist für mich, nicht zu verzweifeln und Energie zu verpulvern, sondern möglichst in meiner Mitte zu bleiben, wenn mal wieder alles zu viel wird, etwas schiefgeht oder nicht so läuft wie erhofft. Dann kurz innehalten, tief durchatmen, auf eine mögliche Lösung schauen. Was kannst du tun, Jutta? Mach einfach Schritt für Schritt, was geht.“

Hast du einen Glaubenssatz, der dich stark macht?

„Ich sag mir oft: Ich hab’s so gut! Ich lebe in einem Land, in dem Frieden herrscht, ich hab ein Zuhause, Liebe, Freundschaft, eine erfüllende Arbeit. Es geht mir so viel besser als vielen anderen Menschen auf der Welt.“

In welchen Situationen fühlst du dich besonders belastet?

„Wenn ich mir zu viel vorgenommen habe. Wenn ich Leid oder Ungerechtigkeit sehe und nur begrenzt helfen kann.“

Wo liegt die Grenze deiner mentalen Stärke?

„Die meiste Kraft verliere ich, wenn ich mit Konkurrenz und Ungerechtigkeit konfrontiert bin. Ellenbogenmentalität ist nichts für mich. Ich brauche es, mich mit meinen Schwächen anvertrauen zu können. Sonst gehe ich ein wie eine Primel.“

Was rätst du anderen Menschen für mentale Stärke in Krisenzeiten? Hast du Tipps?

„Mir hilft es, eine Sache erstmal anzunehmen. Es ist wie es ist. Wenn ich mich dagegen sträube, ändert das auch nichts. Und dann: Welche Optionen habe ich? Und: Wofür kann ich trotz allem dankbar sein? Dankbarkeit ist meine allerbeste Freundin – mein größter Kraftspender und Glücksbringer.“

Katharina Mild

Foto: privat

Katharina Mild ist freie Journalistin und Veranstalterin der Lesebühne OUTLOUDBremen. Zusammen mit Veronika Bamann führt sie den Podcast „Gehirnerschütterung“. Darin besprechen die beiden zum Beispiel, wie kleine Gewohnheiten schnell zu psychischen Krankheiten werden können, wie sie entstehen, wie es sich damit lebt, ob und wie es Wege der Heilung gibt.

Was bedeutet mentale Stärke für dich und in welchen Situationen brauchst oder spürst du sie?

„Mentale Stärke ist für mich die Fähigkeit, nach Krisen und Niederlagen aufzustehen und weiterzumachen. Und sich Hilfe zu suchen, wenn man welche braucht.“

Hast du einen Glaubenssatz, der dich stark macht?

„Ärgere dich nicht über Dinge, die du nicht ändern kannst. Und ändere die, die du ändern kannst.“

In welchen Situationen fühlst du dich besonders belastet?

Bei Stress und wenn ich das Gefühl habe, in einer Sackgasse zu stecken. Das Gute ist, meist führt doch ein Weg hinaus – auch wenn es sich erst einmal wie rückwärts gehen anfühlt.“

Wo liegt die Grenze deiner mentalen Stärke?

„Die eigenen Grenzen zu (er)kennen ist – finde ich – eine echte Herausforderung. In unserem Podcast ,Gehirnerschütterung‘ habe ich gelernt, welche Glaubenssätze bei mir zu besonderem Stress führen: ,Behalte die Kontrolle’ und ,Halte durch’. Daran versuche ich zu arbeiten.“

Was rätst du anderen Menschen für mentale Stärke in Krisenzeiten? Hast du Tipps?

„In Krisenzeiten: Nur das machen, was nötig ist und guttut. Wenn das nicht geht, Freund*innen anrufen, Beratungsstellen aufsuchen, Hilfe holen.”

Veronika Bamann

Foto: privat

Veronika Bamann ist Psychologin und Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie. Sie therapiert Menschen mit Angststörungen, Depressionen, Burnout und anderen psychischen Krankheiten. Viele dieser Krankheiten haben mit Krisensituationen zu tun. All diese Themen bespricht sie immer wieder mit Katharina Mild im Podcast „Gehirnerschütterung“.

Was bedeutet mentale Stärke für dich und in welchen Situationen brauchst oder spürst du sie?

„Mentale Stärke bedeutet für mich die Fähigkeit, ein Gap zwischen Impuls und Handlung offenzuhalten. Ich brauche das in meiner Arbeit mit Menschen und es ist auch notwendig, um mich immer wieder zu entscheiden, glücklich zu sein. “ 

Hast du einen Glaubenssatz, der dich stark macht?

„Die beste Rache ist ein gutes Leben.“

In welchen Situationen fühlst du dich besonders belastet?

„Wenn ich Situationen durch Handeln nicht verändern kann, sie aber gegen meine Grundwerte verstoßen. Wenn ich zum Beispiel Menschen in akuten Krisen sagen muss, dass ich keine Behandlungsplätze habe und die Wartezeiten aktuell viele Monate sind. Unser Umgang mit der Pandemie vergrößert vor allem bestehende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, was mich oft wütend macht.“ 

Wo liegt die Grenze deiner mentalen Stärke?

„Mentale Stärke wird nur limitiert, wenn wir sie infrage stellen. Weiß aber jede*r Jedi: Möge die Macht mit euch sein.“

Was rätst du anderen Menschen für mentale Stärke in Krisenzeiten? Hast du Tipps?

„Ach, da gibt es keine ultimativen Tipps, glaube ich. Jeder Frau tut ja etwas anderes gut. Mir hilft es, in Krisenzeiten rauszugehen, den Himmel über mir zu haben, Erde zu riechen, ins Wasser zu springen, mich am Feuer zu wärmen. Und ,Gehirnerschütterung‘ hören, den Podcast über alles, was unsere Gehirne erschüttert!“

Dr. Donya Gilan

Foto: privat

Dr. Donya Gilan ist psychologische Psychotherapeutin und Expertin für die Anpassung an Krisen und neue Lebensumstände. Sie ist im Bereich „Resilienz und Gesellschaft“ des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz tätig.

Was bedeutet mentale Stärke für dich und in welchen Situationen brauchst oder spürst du sie?

„Mentale Stärke bedeutet für mich, in herausfordernden Lebenssituationen sich selbst aufbauen zu können, negative Emotionen zu regulieren und Herausforderung aktiv anzugehen anstatt in eine Opferstarre oder in eine passive Haltung zu verfallen. Sich seinen Ängsten zu stellen und mit ihnen umgehen zu können. Es bedeutet für mich auch, immer wieder an sich selbst zu glauben und schwere Situationen durchzuhalten, mit Niederlagen und gescheiterten Situationen konstruktiv umzugehen. In Extremsituationen, die Druck erzeugen, die uneindeutig oder manchmal zunächst aussichtslos erscheinen; Situationen, die man nur alleine, aus eigener Kraft und ohne die Hilfe anderer bewältigen kann. Herausforderungen, die existenziell sind oder einem sehr viel bedeuten.“

Hast du einen Glaubenssatz, der dich stark macht?

„پندار نیک, گفتار نیک, کردار نی, von farsi ins Deutsche übersetzt bedeutet es: ,Gut denken, gut reden, gut handeln.‘ Drei Maxime, die auf die philosophische Lehre Zarathustras zurückgehen. Sinngemäß bedeutet es: Das, was Du nach außen sendest, empfängst Du.“

In welchen Situationen fühlst du dich besonders belastet?

„Wenn ich Menschen nicht mehr ,erreichen kann‘ im Sinne von ,mental berühren‘.“

Wo liegt die Grenze deiner mentalen Stärke?

„Wenn Dinge irreversibel werden. Ein Abschied, der Verlust von Angehörigen, das Ende von Dingen…“

Was rätst du anderen Menschen für mentale Stärke in Krisenzeiten? Hast du Tipps?

„Den Blick in die Zukunft richten, sich Ziele setzen, den Glauben nicht verlieren, dass Krisen sehr häufig zeitlich begrenzt sind, sich den Engsten mitteilen und Unterstützung holen. Daran denken, dass man schon andere Situationen gemeistert hat und trotz belastender Situationen versuchen, sich in positive Stimmung zu bringen, auch wenn es nur kleine Momente sind.“

Du schaffst das! Mentale Stärke in Krisenzeiten.

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