Christina zieht nach acht Monaten im neuen Job Resümee. Über die vielen Aufs und Abs, über die Selbstzweifel und das Verlangen alles hinzuwerfen hat sie hier geschrieben.
Auf in ein neues Leben
Acht Monate sind bereits vergangen, seitdem ich Bonn bzw. Berlin den Rücken gekehrt habe. Ich hatte mich damals dazu entschieden meinen Job, den ich wirklich mochte, zu kündigen, um ein Angebot aus Brüssel anzunehmen. Ich fing also als Pressereferentin bei der EU an – und gleichzeitig damit mein neues Leben.
Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich keine Startschwierigkeiten hatte. Dabei sind Neuanfänge doch eigentlich meine Spezialität; in neuen Umgebungen und unter neuen Menschen gehe ich erst richtig auf und fühle mich pudelwohl.
Veränderung an allen Fronten erfordert Kraft
Aber dieses Mal war es ein bisschen anders. Neben den vielen „harmlosen“ kleinen Umgewöhnungen, die ein Neuanfang in einer neuen Stadt ohnehin so mit sich bringt, hat mir dieses Mal auch die Eingewöhnung in einen extrem anspruchsvollen neuen Job zu schaffen gemacht – einen Job den ich sehr liebe, der mich aber nahezu alles an Energie gekostet hat, was ich zu geben hatte.
Ich hatte mich schon fast an dieses Gefühl, an diese vielen parallelen Baustellen gleichzeitig gewöhnt. Sich in der neuen Lebensumgebung einfinden und neue Freunde kennenlernen, seinen Biorhythmus an die hektischen und vor allem langen Arbeitstage anpassen, versuchen, sich durch die ungewohnten neuen Arbeitsprozesse zu navigieren, sich einfach permanent im Lernprozess befinden.
Und allem voran stand dann auch noch dieser unbewusste und selbstauferlegte Druck, sich unbedingt beweisen zu müssen. Ich hatte mich also schon fast daran gewöhnt, permanent so unter Strom zu stehen – nur um mich dann darüber zu wundern, warum ich verflixt nochmal die ganze Zeit so erschöpft bin.
Immer am Limit
Wie anstrengend das alles doch ist, hatte ich nämlich phänomenal unterschätzt. Nach der Arbeit bloggen, spannende Wochenend-Trips oder sonstige energiezehrende Aktivitäten? Vergiss es, alles vollkommen unrealistisch! Denn ich war ja schon heilfroh, wenn ich es überhaupt noch schaffte, meine Freunde zu sehen, hin und wieder Sport zu machen und endlich mal meine Wäsche zu waschen.
Umso schöner fühlt es sich dann aber an, wenn man das Gefühl hat, endlich irgendwo angekommen zu sein und diese Herausforderung gemeistert zu haben, zumindest halbwegs. Wie nach einem harten Training beim Sport: es brennt zwar jeder Muskel, aber das schöne Gefühl, es gepackt zu haben, übertüncht alles andere.
Denn in den letzten Wochen hat sich etwas getan. Es hat sich irgendein Schalter umgelegt, irgendetwas ist passiert, was das alles irgendwie leichter gemacht hat. Ich bin ausgeglichener, entspannter und habe mehr Energie für andere Dinge. Darüber, woran das liegen mag, habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht.
Irgendwann fügt sich alles
Die erste meiner drei Fronten war am einfachsten zu bewältigen. Denn privat hat sich bei mir einiges getan. Mir ein tolles soziales Umfeld hier in Brüssel aufzubauen, hat zum Glück nicht sonderlich lange gedauert. In einer Stadt, in der die verschiedensten Menschen aus allen Ecken Europas und der Welt zusammenkommen, sind die Leute an sich eher offen und aufgeschlossen. Ja, Anschluss zu finden, ist in Brüssel nicht schwer.
Vor allem aber auch die vielen wundervollen Menschen, die zwar nicht in der Stadt, aber dennoch fest in meinem Leben verankert sind, haben mich so einige Male hochgezogen, wenn ich dachte es geht nicht mehr. Zudem gibt es wenig schöneres und erholsameres, als übers Wochenende nach Hause zur Familie zu fahren, und spätestens mit Papas Umarmung und Mamas Kuss auf die Wange jeden Druck und jeden Stress hinter sich zu lassen.
Zwischen Freude und Frustration
Das Meistern der zweiten Baustelle, das Eingewöhnen im neuen Job, hat schon etwas länger gedauert. Von Anfang an war es total spannend, und ich würde es gegen nichts eintauschen. Aber gleichzeitig war es doch enorm anstrengend. Die Frustration darüber, dass sich dies nur langsam änderte, hatte sich nahezu unbemerkt in mein Denken eingeschlichen. Ich hatte angefangen zu glauben: das ist jetzt halt so, dass du permanent ausgelaugt und erschöpft bist. Gewöhn dich dran, Christina, das ist eben der Preis dafür, wenn man es nicht besser kann.
Vielleicht bist du ja einfach doch nicht so gut, wie du dachtest. Schade. Dabei hatte ich, und das sehe ich jetzt ein, einfach nur unterschätzt, wie kräftezehrend so eine 180-Grad-Drehung und so ein Lernprozess doch sein können. Und heute, nach acht Monaten in meiner neuen Rolle, bin ich an einem Punkt in meiner Lernkurve angekommen, an dem sich alles irgendwie angenehm und schön anfühlt. Ich weiß nun, wie hier der Hase läuft, und was ich wie zu tun habe. Die Energie, die ich vorher dafür aufgewendet habe, irgendwie klarzukommen, bleibt mir nun für andere Dinge. Zum Beispiel, um effektiver und schneller zu arbeiten, und dafür nicht allzu spät nach Hause zu gehen – und tatsächlich ein Leben nach der Arbeit zu haben. Dieser Prozess entlang der Lernkurve ist mir auf eine merkwürdig Art und Weise vertraut.
Lernkurven laufen (bei mir) oft ähnlich ab
Auf der einen Seite habe ich so einen anspruchsvollen und verantwortungsvollen Job vorher noch nie gehabt. Und dennoch beobachte ich gerade etwas, was ich schon ganz oft bei mir gesehen habe. Nämlich diesen Wendepunkt in der Lernkurve, wo alles (wenn es auch vorher schon Spaß gemacht hat) ein kleines bisschen weniger anstrengend wird, und gleichzeitig ein großes bisschen mehr Freude und Befriedigung bringt. Dieser magische Moment, in dem man merkt: Krass, ich kann das ja doch. Und ich kann es sogar gut.
Es erinnert mich daran wie es ist, eine neue Sprache zu lernen. Wie zum Beispiel damals in der Uni, als ich in den ersten beiden Semestern Tag und Nacht Russisch pauken musste. Ich konnte von Zuhause aus zwar bereits gut sprechen, aber eben nur im familiären Kontext. Mit „Mama, was gibt es zu essen?“, und „Schöne Grüße an Tante Olga!“, kommt man an der Uni leider nicht allzu weit.
Ich hatte damals das Gefühl, dass ich den ganzen Tag nur lerne und strample, mich aber überhaupt nicht voran bewege. Ich sah kaum Fortschritte und war kurz davor zu verzweifeln – wie vor einigen Monaten in diesem neuen Job. Damals hatten mir meine älteren Kommilitonen gesagt: „Vertrau mir, die ersten Semester sind für jeden hart. Aber es wird besser.“ Ich hatte ihnen nicht so richtig geglaubt. Stattdessen redete ich mir unbewusst ein, dass das vielleicht einfach doch zu hart für mich ist.
Ich bin wohl einfach doch nicht gut genug dafür
Bis der Moment kam, in dem die einzelnen Russisch-Vokabeln und Grammatik-Regeln, die ich scheinbar zusammenhangslos in meinen Kopf geprügelt hatte, sich plötzlich zu einem Bild zusammenfügten. Ich konnte mich nun endlich frei über unterschiedlichste Themen unterhalten. Plötzlich dauerte die Übersetzung eines Textes nicht mehr den ganzen Tag, sondern nur noch ein bis zwei Stunden – weil ich nicht mehr jedes einzelne Wort nachschlagen musste, sondern einen guten Wortschatz in petto hatte. Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Moment, in dem mir die ganze Lernerei endlich das Erfolgserlebnis brachte, das ich gebraucht hatte, um weiter motiviert am Ball zu bleiben, anstatt das Handtuch zu werfen. Diesen Prozess erlebe ich jetzt wieder.
Genau wie damals in der Uni, sagten mir auch die Kollegen in Brüssel, es dauere mindestens sechs Monate, bis man sich im Job eingefunden hat. „Ein ganzes Jahr sogar, bis du dich wirklich sicher und wohl fühlst in deiner Rolle.“ Mir ist klar geworden, dass ich diese Worte zwar gehört, aber ihnen nicht so richtig Glauben geschenkt hatte. Auf eine energieraubende und selbstentmutigende Weise hatte ich unbewusst angenommen, dass es nur mir so schwer fällt. Dass ich es einfach nicht schaffe.
Dass es aber nicht nur okay, sondern völlig normal und natürlich ist, dass man nicht alles auf Anhieb perfekt hinbekommt, und dass das ohnehin ein vollkommen unrealistischer und dämlicher Anspruch ist, habe ich mittlerweile erkannt. Wieder mal.
Dieser Moment, wenn es bei dir endlich „läuft“
Und jetzt ist plötzlich alles ein bisschen einfacher. Ich halte mich nicht mehr ewig mit „Vokabeln nachschlagen“ auf, sondern kann wirklich losgehen und meine Arbeit machen – und das ist unglaublich schön und befriedigend. Ich kenne meine Spielwiese nun viel besser, habe das meiste schon ein paar mal erprobt, meine Fehler gemacht und aus ihnen gelernt.
Und selbst wenn ich nicht immer weiß, wie ich ein bestimmtes Problem lösen soll, weiß ich zumindest wo ich anfangen muss und wer mir weiterhelfen kann. Ich weiß, welche Fallen es zu vermeiden gilt, und wer oder was hilfreich sein kann, um eine bestimmte Aufgabe schneller zu erledigen. Dieses Gefühl, sich endlich eingearbeitet zu haben, ist unbezahlbar.
Der Druck von innen ist der hartnäckigste
Bleibt noch die dritte Baustelle, an der ich immer noch arbeite, die aber schon viel besser geworden ist: der Druck, den ich mir selbst mache. Der innere Druck, mich ohne Rücksicht auf Verluste beweisen zu müssen – auf Kosten meines Wohlbefindens. Aus Angst, jemand könnte denken, ich mache meine Arbeit nicht perfekt, lasse ich mich selbst nicht zu Ruhe kommen. Klar, in all meinem vorherigen Jobs und Praktika waren alle immer sehr zufrieden mit mir und meiner Arbeit. Aber das war ja vorher, und was, wenn es dieses Mal anders ist? Was, wenn dieses mal jeder merkt, dass ich das alles vielleicht doch nicht so gut kann?
Dann bin wohl vielleicht doch nicht gut genug. Schade. Und ob wir es zugeben oder nicht: Dieses sogenannte Impostor-Syndrom ist, glaube ich, in der einen oder anderen Art und Weise fast niemandem von uns fremd. Mir ist bewusst geworden, dass ich vor, und vor allem während jeder heftigen Herausforderung denke: Ich schaffe das nicht; ich bekomme es einfach nicht hin. Und wirklich, nahezu jedes Mal ist das unbegründet.
Denn am Anfang ist es natürlich immer schwierig (wo wäre auch sonst der Spaß?), aber letztlich bekommt man es eben doch hin. Und zwar nicht „aus Glück“ oder dergleichen, sondern aus eigener Kraft – wie die ganzen vielen Male davor auch.
Sich die eigenen Stärken immer wieder bewusst machen
Deshalb habe ich mir eine kleine Liste für die Zukunft angelegt. Ich habe mir fest vorgenommen, sie immer dann auszugraben, wenn es mir mal wieder so geht, wie vor ein paar Monaten. Eine Liste mit all den netten Worten, die ich meinen Freunden und Mitmenschen immer wieder vorbete und mitgebe, wenn sie gerade nicht an sich glauben oder den Mut verlieren. Eine Liste, die mich daran erinnert, nicht nur den anderen gegenüber nett und emphatisch zu sein, sondern bitte auch mir selbst:
Sei freundlich zu dir selbst – Fehler sind ok, auch wenn du anfangs vielleicht sogar dieselben Fehler ein paar mal wiederholst. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, aber wir lernen aus unseren Erfahrungen.
Mache dir deine Fähigkeiten bewusst – Erinnere dich daran, dass du es drauf hast und denke zurück an all die schwierigen Momente in deinem Leben, die du bereits gemeistert hast. Es war kein Zufall, dass du es damals geschafft hast, mit allen Schwierigkeiten und Widrigkeiten. Nein, es war auch kein Glück. Du hast es geschafft, weil du alle Ressourcen und Fähigkeiten, die du dafür brauchst, bereits in dir hast. Es braucht einfach nur ein bisschen Zeit.
Ruhe dich aus – Es ist in Ordnung, wenn manche anderen Dinge eine Weile lang zu kurz kommen. Ich habe gelernt, dass die Motivation für alles andere ganz von alleine wiederkommt, wenn ich wieder den Kopf dafür frei habe. Es ist vollkommen okay, wenn alles was du heute machen willst, schlafen ist. Irgendwann wachst du schon wieder auf, und das Bedürfnis, deinen Hobbies nachzugehen, kommt von alleine wieder.
Ein Marathon, kein Sprint
Halte durch – und damit meine ich nicht körperlich, sondern mental. Achte auf dich und mach dir vor allem bewusst, dass es ein Marathon und kein Sprint ist. Dies ist eine schwierige Phase, die vorbei gehen wird. Verliere nicht den Mut und halte durch – denn auch wenn du manchmal das Gefühl hast, du gehst vielleicht zu langsam, so gehst du wenigstens beständig in die richtige Richtung.
Bitte beachte: ich spreche hier von meiner persönlichen Erfahrung, die kein Burnout oder ähnliches war. Wie viel zu viel ist, und wie lange zu lang ist, kann Dir niemand pauschal sagen. Wenn Du das Gefühl hast, Du verlierst die Kontrolle, sprich mit einer Person Deines Vertrauens darüber und hole Dir eventuell Hilfe
Feiere deine Erfolge – Ist es nicht grausam, wenn man immer nur einem Ziel nach dem anderen hinterher hechelt, ohne jemals das Gefühl zu haben, irgendwo anzukommen? Denn es geht ja immer noch höher, schneller, weiter. Vergleiche dich nicht mit anderen, die scheinbar viel mehr erreicht haben als du, sondern genieße den Weg, den du bereits hinter dich gebracht hast. Und wenn du dich schon unbedingt vergleichen möchtest, vergleiche dich doch einfach mal mit dir selbst – vor ein oder zwei Jahren. Ist es nicht toll, wie weit du seitdem gekommen bist? Feier das doch mal und freu dich.
Du bist nicht allein!
Tausche dich mit anderen aus – oft fühlt man sich in erschöpfenden und entmutigenden Situationen zusätzlich belastet und isoliert, weil man denkt, es ginge nur einem selbst so. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Jedem von uns geht es immer wieder mal so, ob wir es zugeben oder nicht.
Work hard, play hard. Egal was es ist, das dir gut tut: Gönn dir richtig, denn du verdienst es. Punkt.
Ich hoffe, ich erinnere mich das nächste Mal, wenn es mir so geht an diese Liste. Denn nun, nach acht Monaten in meiner neuen Stadt, meinem neuen Leben und meinem neuen Job, fühle ich mich endlich angekommen – ohne, dass sich die Ängste in meinem Kopf bewahrheitet hätten. Und siehe da, ich bin ja doch gut genug. Schade.
Wie geht es dir in solchen Situationen? Kommt dir das eine oder andere bekannt vor? Oder findest du, das ist alles Quatsch? Erzähle uns von deinen Erfahrungen, und wie du damit umgegangen bist.
Dieser Text von Christina Wunder ist zuerst auf Chapter One Mag erschienen. Wir freuen uns, dass wir ihn auch hier veröffentlichen dürfen.
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