Autorin und Dramatikerin Sibylle Berg widmet sich in ihrem neuen Werk der Liebe. Romantisch wird es dabei allerdings nicht. Wir haben mit ihr gesprochen.
Es ist kompliziert
Es läuft nicht mehr zwischen Chloe und Rasmus, einem linksintellektuellen Paar um die 40. Sex ist schon lange eine schwieriges Thema zwischen den beiden, eigentlich war es nie ihre Stärke. Auch beruflich muss etwas passieren, zumindest für den Theaterregisseur Rasmus, denn Chloe hat ihre beruflichen Ambitionen schon lange der Karriere ihres Mannes untergeordnet. Sie machen sich auf nach Afrika, wo Rasmus jungen Einheimischen deutsche Klassik am Strand naherbringen will.
Es läuft leidlich. Auch als Paar. Nach einem gemeinsamen, quasi erotischen Ausflug in ein billiges Massagestudio lässt sich Chloe von ihrer Anziehung zum Masseur treiben, anstatt Rasmus durch die Brille neu entfachter Leidenschaft zu entdecken. Sie nimmt sich eine Auszeit und den Masseur später kurzerhand in der gemeinsamen Wohnung auf. Es wird kompliziert.
„Der Tag, als meine Frau einen Mann fand” ist der neue Roman von Sibylle Berg. Wir haben mit ihr über den Verlust der Liebe, das Altern und das Bewusstsein für das eigene Geschlecht gesprochen. Außerdem haben wir erfahren, dass Sibylle Berg Twitter erfunden hat und warum sie Christian Ulmen und Jan Böhmermann für ihre Lesungen als Sparringspartner aussuchte.
In Ihrem neuen Buch geht es um ein Ehepaar, das sich irgendwann zwischen Selbstfindung, schmutzigem Strand und billigem Massagestudio verliert. Ist das deprimierend oder einfach nur realistisch?
„Das Gefühl, sich zu verlieren, hat doch kaum jemand. Wir glauben sehr lange, dass es weitergeht. Besser wird. Das Leben. Und diese Hoffnung ist unbedingt nötig. Das Paar hat das Gefühl, sich eine Zukunft am anderen Ende der Welt aufzubauen, was ein sehr schlauer Zug scheint. Ist es vielleicht auch, denn eine Bewegung kann hilfreicher sein als Stagnation.“
Die Midlife-Crisis wird letztlich immer als leicht unwürdiger Zustand dargestellt. Aber kann sie nicht vielleicht auch eine befreiende Qualität haben?
„Die Mitte des Lebens ist ja meist verbunden mit der Erkenntnis der Endlichkeit. Das verwirrt uns erst einmal, deprimiert viele, denn damit hatte man nicht gerechnet. Aber die Mitte des Lebens heißt heute: vielleicht noch einmal fünfzig Jahre. Im positiven Fall begreift man das und kann mehr genießen, was man schon erreicht hat. Das natürlich nur, wenn man in der privilegierten Lage ist. über die drei Faktoren, die zur Zufriedenheit beitragen, zu verfügen: Menschen, die man liebt, einen Ort, an dem man gerne ist, und eine Tätigkeit, die einem liegt.“
Auch das Unbehagen vor dem Alter ist ein Thema. Können Sie der letzten Lebensphase gelassen entgegensehen?
„Reden Sie von mir? Von der letzten Lebensphase? Ja, darüber erzähle ich Ihnen mit 88 Jahren gerne mehr. Ansonsten erlaube ich mir, darüber noch nicht nachzudenken, denn alle Pläne, welche die Dauer von zehn Jahren überschreiten, sind albern.“
Der Stoff Ihrer Bücher ist oft unbequem. Beim Lesen gibt es immer wieder Momente, in denen man zusammenzuckt. Machen Sie sich beim Schreiben manchmal Gedanken darüber, ob das jetzt zu weit geht?
„Nein, beim Schreiben folge ich nur mir. Wenn ich mich mit etwas unbehaglich fühle, wird es dem Leser ähnlich gehen, denke ich. Ich vergesse dabei, dass ich mich immer wohler fühle, je unangenehmer eine Kunst ist.“
Ihre Figuren sind oft gequält. Von sich selbst, von ihrem Umfeld, von der Gesellschaft. Haben Sie Mitleid mit Ihren Protagonisten?
„Mitleid ist eine meiner Hauptantriebskräfte. Mitleid und Mitgefühl. Meine Protagonisten sind ja keine Menschen, sie sind Metapher in der Aufgabe, etwas zu vermitteln. Entweder Einsichten oder wenn es ganz gut läuft, Unterhaltung.“
In Berlin haben Sie zu Ihrem Buch eine Lesung mit Christian Ulmen und in Köln etwa mit Jan Böhmermann. Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Mitleser aus? Muss in ihnen ein bißchen was von Rasmus stecken?
„Ja, das war bei dieser Lesereise die Aufgabe: Wem traut man die Reflektion eines Rasmus zu, wer ist zugleich glaubhaft sympathisch und ein wenig seltsam?“
Sie sind ziemlich viel auf Twitter unterwegs. Was ist das Beste an dem Medium und was das Schlimmste?
„Ich denke nicht über die sozialen Medien nach. Sie sind da wie das Telefon und man benutzt sie einfach, weil sie eben da sind. Ich sehe nur Vorteile. Man kann mit Leuten in Kontakt kommen, unangenehme Menschen kann man blocken – das wesentlich einfacher als beim Telefon – und man bekommt Meldungen aus aller Welt in Jetztzeit. Man findet dort Themen, auf die man gar nicht käme. Eine großartige Erfindung habe ich da gemacht.“
Auf Spiegel Online sind Sie die einzige Frau unter den fünf Kolumnisten. Eine bequeme Nische?
„Nische? Das ist sehr lustig. Glauben Sie, es gäbe einen Geschlechterbonus? Oder ich bin die Quotenfrau? Ja, vielleicht. Es ist so, ich habe mich früher nie über mein Geschlecht definiert, so wie es heute den Frauen geht, die Feminismus ablehnen. Erst als ich merkte, dass ich wirklich in vielen Bereichen die einzige Frau bin, wuchs mein Bewusstsein für eine Ungleichheit. Viele Frauen sind im Moment noch die einzigen. Die erste Kanzlerin, die erste Vorstandschefin, die erste Intendantin. Ich hoffe, dass es in vielleicht fünfzig Jahren keine Rolle mehr spielt, mit welchem biologischen Geschlecht man aus Versehen geboren wurde.
Kaum ist eine neue Kolumne online, folgen auch schon die Kommentare– nicht selten rufen Sie ein ganzes Bataillon an Trollen auf den Plan. Machen Sie diese Kommentare wütend?
„Früher habe ich sie nie gelesen, einfach aus Zeitmangel. Unterdessen bin ich aus Höflichkeit dazu übergegangen, die Kommentare teilweise zu beantworten. Wütend macht mich das überhaupt nicht. Es sind Leser. Sie haben eine Meinung. Manchmal meine, manchmal ist es auch nur ein Reflexschnappen, das sehr schnell beendet ist, wenn man es beantwortet.“
Warum polarisieren Sie eigentlich so?
„Ich habe nicht die geringste Idee, warum irgendjemand die Welt anderes sehen kann als ich.“
Sibylle Berg: Der Tag als meine Frau einen Mann fand, Carl Hanser Verlag, Februar 2015, 19,90 Euro.
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