Die Möglichkeiten sind schier unendlich – was Geisteswissenschaftler wissen müssen, um beruflich durchzustarten.
Ständig in Erklärungsnot
„Ach, und was kann man damit später machen?“ Diese Frage kennt jeder Geisteswissenschaftler. Germanist ist eben keine Berufsbezeichnung. Besorgte Familienmitglieder oder neue Partybekanntschaften können sich oft nicht vorstellen, dass man mit Studienfächern wie Germanistik und Anglistik nicht automatisch Lehrer wird. Wer dann auch noch eines der exotischen „Orchideenfächer“ wie Ethnologie, Sinologie oder Finnougristik studiert, muss sowieso erklären, was das bedeutet und warum das überhaupt studierenswert ist.
Der Geisteswissenschaftler als Allzweckwaffe
Dabei sind diese Absolventen attraktive Arbeitnehmer: „Der Geisteswissenschaftler ist das Schweizer Taschenmesser des Arbeitsmarktes – überall und universell einsetzbar“, sagt Rouven Sperling, Vorsitzender des Career Service Netzwerk Deutschland (csnd). Das Netzwerk vereint die Career Center der Hochschulen, die Studierende in allen Fragen rund um die Karriere beraten.
Die Anpassungsfähigkeit hat nicht nur Vorteile: Im Dickicht der Möglichkeiten kann man sich schnell verirren. Für Geisteswissenschaftler gibt es keine gängige Laufbahn. Die Studierenden können sich an keiner Checkliste entlanghangeln, die ganz natürlich in den Berufseinstieg mündet. Während Juristen oder Mediziner genau wissen, welche Stelle auf sie passt, quält Geisteswissenschaftler die Ratlosigkeit.
„Ich rate jedem Geistes- und Sozialwissenschaftler, die schwierige Suche nach der passenden Stelle mutig und strategisch klug anzugehen“, so Andreas Pallenberg vom Wissenschaftsladen Bonn. Der Chefredakteur für den Informationsdienst „Arbeitsmarkt Bildung, Kultur, Sozialwesen“ vom Wissenschaftsladen Bonn kennt sich aus: Wöchentlich veröffentlicht seine Redaktion rund 500 Stellenausschreibungen für Geistes- und Sozialwissenschaftler. „Die Lage ist nie schlecht gewesen – es ist nur so, dass viele nicht wissen, was sie können und wo sie es anpacken müssen.“
Besser entscheiden
Es gibt – wie so oft – kein Patentrezept für den Geisteswissenschaftler bei der Jobsuche. Ein paar Punkte sollten Geisteswissenschaftler sich aber bewusst machen – bevor sie ins Berufsleben einsteigen.
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Die größte Herausforderung: Unentschlossenheit
Das Klischee vom Taxi fahrenden Philosophen ist zwar erschöpft. Es verbildlicht aber die grundsätzliche Schwierigkeit: Alles ist möglich – alles und nichts! Psychologen haben in Studien festgestellt, dass Menschen beim Einkaufen gar nicht zugreifen, wenn sie zu viele Wahlmöglichkeiten haben. Wir sind überfordert, was dazu führt, dass wir uns nicht entscheiden können, wenn wir zu viele Angebote bekommen. Hier liegt die Gefahr der Geisteswissenschaften. Es gibt zu viele Wege, da fällt es besonders schwer, sich festzulegen. Sich vor der Entscheidung zu drücken, kann aber dazu führen, dass man in einer Sackgasse landet, weil man wichtige Abzweigungen verpasst hat.
Geisteswissenschaftler sind deswegen besonders herausgefordert. Berufsberater empfehlen ihnen, sich zu fokussieren: Was war die Motivation zur Studienwahl? Was sind meine Stärken und Schwächen und was kann man damit machen? Kann ich gut reden, verhandeln, organisieren, schreiben…? Ist mein Ziel realistisch und umsetzbar? Welche Alternativen habe ich? Wie lautet mein Plan B? Wer dabei alleine nicht weiterkommt, kann sich beim Career Center der eigenen Hochschule kostenlos beraten lassen.
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Berufsziel: Wo will ich hin?
Der typische Geisteswissenschaftler antwortet auf die Frage, wo er mal hin will: „Ich weiß noch nicht genau, was ich mal machen möchte, aber ich interessiere mich für …“ Wer Geisteswissenschaften studiert, wählt meistens einfach ein Fach, das ihm Spaß macht und nicht unbedingt eine Karriere.
Das ist die Gabe der Geisteswissenschaft: Alles scheint möglich. Und es stimmt. Geisteswissenschaftler können fast überall arbeiten. Sie können komplexe Zusammenhänge schnell und effizient erfassen, Inhalte und Themen strukturieren, relevante Informationen erkennen, aufbereiten und kommunizieren sowie kreative Lösungen finden.
Interessante Berufsfelder könnten zum Beispiel in diesen Bereichen liegen:
- Bildung und Erziehung
- Kommunikations- und Medienbranche
- Kultur- und Sozialwirtschaft
- Fremdsprachen und Tourismus
- Politik, Verbände und öffentlicher Dienst
- Wirtschaft
Doch spätestens zur Mitte des Studiums sollte die Karriereplanung beginnen. Denn der Weg in den Traumjob erfordert Planung. „Wenn man keinen Plan und keine Idee hat, wo es hingehen könnte, dann kann man keine Weichen stellen“, warnt Andreas Pallenberg. „Jede Entscheidung ist besser als keine!“ Geisteswissenschaftler müssen die schwierige Balance schaffen, sich in der Berufswahl nicht zu sehr einzuengen, aber trotzdem eine Strategie zu verfolgen. Sie müssen wissen, wo sie hinwollen – selbst wenn das dann über Umwege erfolgt.
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Wege in den Job
Im Vergleich zu anderen Fachrichtungen sind wesentlich weniger Stellen direkt für Geisteswissenschaftler ausgeschrieben. Die Stellensuche verlangt nach Eigeninitiative und Kreativität!
Andreas Pallenberg vom Wissenschaftsladen Bonn beschreibt es so: „Einerseits sind da die gut ausgebildeten Geisteswissenschaftler, die mit dem Gefühl auf den Arbeitsmarkt gehen: Ich kann irgendwie alles und irgendwie nichts! Und auf der anderen Seite sind da Arbeitgeber, die nicht unbedingt einen Geisteswissenschaftler suchen – aber sie können sie fast überall gebrauchen!“ Diese Lücke muss der Arbeitssuchende aktiv selbst überbrücken.
Wer weiß, in welchen Bereich es gehen soll, kann darauf hinarbeiten: Eine Expertise aufbauen, indem man sich schon an der Uni möglichst früh spezialisiert. Seminare zum Thema besuchen, die Abschlussarbeit auf das Thema zuschneiden, Netzwerke aufbauen, erste Praxiserfahrungen in Nebenjobs und Praktika sammeln, Zusatzqualifikationen erwerben, nach Trainee-Programmen oder anderen Einstiegsmöglichkeiten suchen.
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Selbstbewusstsein entwickeln
Ein Viertel aller Studierenden in Deutschland belegt ein Fach im Bereich der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Das bedeutet, die Konkurrenz ist groß. Die klassische Karriere führt in die Wissenschaft. Doch immer weniger Absolventen können und wollen diesen beschwerlichen Weg gehen. Experten prognostizieren, dass Existenzgründungen weiter zunehmen werden.
Die Zahlen sprechen für die schöngeistigen Akademiker: Der Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler gestaltet sich in den letzten Jahren laut der Bundesagentur für Arbeit positiv.
Geisteswissenschaftler müssen sich auf die eigenen Stärken besinnen und selbstbewusst auftreten. Zu gerne kokettieren sie mit dem Ruf der „brotlosen Kunst“. Denn ihnen sind die Inhalte oft wichtiger als eine angemessene Bezahlung oder faire Arbeitsbedingungen. Doch wer sich auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie unbezahlte Praktika, unfreiwillige Teilzeit, freie Mitarbeit oder Mini-Jobs einlässt, unterstützt dieses System der (Selbst-)Ausbeutung.
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Karriere mit Zukunft
Die gute Nachricht zum Schluss: Geisteswissenschaftler brauchen sich keine Sorgen über Krisen auf dem Arbeitsmarkt machen. Ihre Qualifikationen sind zeitlos und werden immer gesucht. Eine globale Arbeitswelt braucht Wissensarbeiter – also Experten, die Informationen einordnen, bündeln, priorisieren, archivieren und verwertbar machen können. Und das können Geisteswissenschaftler besonders gut. „Wer thematisch und geografisch flexibel bleibt und neben den fachlichen Kompetenzen auch die überfachlichen Stärken ausspielt, dem stehen eigentlich alle Türen offen“, versichert Rouven Sperling vom Career Service Netzwerk.
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