Tausende junge Frauen schließen jährlich ihr Theaterwissenschafts-Studium ab. Doch in den Spielplänen merkt man davon wenig. Woran krankt das Theater?
Frauen an den Theatern: Die Macht der Zahlen
Lässt man den Blick über die deutsche Theaterlandschaft schweifen, muss man sich fragen, was aus all den hoffnungsvollen jungen Frauen wird, die jedes Jahr ihr Studium abschließen und mit dem Vorhaben, im Theaterumfeld ihr Glück zu suchen, ins Berufsleben starten.
In den theaterorientierten Studiengängen trifft man zwar inzwischen deutlich mehr Frauen als Männer an – in den Spielplänen merkt man davon aber letztlich wenig. Was ist das los? Die Gleichstellung von Männern und Frauen, gerade hier – einem Ort, an dem gesellschaftliche Probleme, Phänomene, ja, Missstände thematisiert, kritisiert und vor allem kommentiert werden, zeigt sich als ein Ort, an dem die Gleichstellung selbst bei weitem noch nicht auf der Höhe der Zeit angekommen ist. Und wenn der Spiegel vorgehalten wird, dann kommt vor allem Eines: das große Schweigen. Aber warum?
Haben Theater ein Gleichberechtigungsproblem?
Will man sich bei der Beantwortung dieser Frage nicht allein auf subjektive Erfahrungen und einzelne Beobachtungen verlassen, muss man sich auf die Suche machen. Auf die Suche nach harten Fakten, die Hinweise geben, dass die Probleme, die auf der Bühne kritisch verhandelt werden, hinter der Bühne ungestört weiter existieren.
Das Problem: Die Theaterwelt selbst, nähert sich diesem Thema nicht und die empirischen Untersuchungen zur Gleichstellung werfen ob der Relevanz kaum einen Blick auf die Kunst. Was aber fest steht ist, dass bis zu 80 Prozent Frauen in den relevanten Studiengängen ihre Abschlüsse machen – am Ende aber nur mickrige 14,2 Prozent Frauen an der Spitze von Theatern stehen. Und Regie-Assistenzen – einem klassischen Einstieg in den Regieberuf – zwar zu gut 50 Prozent von Frauen übernommen werden, aber unter den Regisseuren letztlich nur 29 Prozent weiblich sind. Was an diesem Zahlenspiel fehlt: die Antwort darauf, wie regelmäßig der Beruf ausgeübt wird oder wie hoch die einzelnen Aufträge bezahlt sind.
43 Prozent weniger Gehalt für Frauen in gleichen Positionen
In Ermangelung einer umfassenden und aktuellen Darstellung von Beschäftigungs- und Einkommenssituation von Frauen, die im Kunst- und Kultursektor tätig sind, lohnt sich ein Blick auf die von der Künstlersozialkasse veröffentlichten Angaben zur Einkommenshöhe freischaffender Kreativer. Im Jahr 2013 betrug das Jahreseinkommen von selbständig tätigen Frauen im Bereich Theater durchschnittlich 11.656 Euro, das der Männer 17.453 Euro.
Die Studie Arbeitsmarkt Kultur belegt für alle Theaterberufe teilweise erhebliche Einkommensunterschiede von bis zu 43 Prozent – für die selben Tätigkeiten. Doch auch hier wird keine Erklärung dafür mitgeliefert, wie dieser Unterschied zustande kommt. Neben der Frage, wie man von einem solchen Einkommen überhaupt leben kann, muss man sich doch fragen, ob Frauen einfach seltener arbeiten, ob sie nebenher noch anderen Tätigkeiten nachgehen oder ob sie einfach schlechter verhandeln?
Karriere am Theater ist Glückssache
Das Fehlen von umfangreichem Zahlenmaterial lässt die Antworten auf die vielen Fragen zu einem Puzzlespiel werden – und erschwert die Argumentation in eigener Sache enorm: Denn was nicht wirklich nachzuweisen ist, ist auch nicht da – oder nur als diffuses Gefühl, das man auch eben leicht als solches abtun kann. In Kombination mit einer hauptsächlich über Empfehlung und Netzwerke laufenden Vergabe von Inszenierungen und anderen Aufträgen, die Frauen und Männer recht zwangsläufig auf ein sich selbst vermarktendes Einzelkämpfertum verpflichtet, müssen sich aber mehrheitlich die Frauen wundern, warum trotz guter Ausbildung und guter künstlerischer Resultate das Telefon so selten klingelt. Als Rettungsanker bleibt da nur der Gedanke, dass eine Karriere im Theater eben Glückssache ist.
Dass das deutsche Stadttheatersystem fest in männlicher Hand ist, lässt sich nicht allein an der Besetzungspolitik ablesen. Es betrifft auch die Vorstellungen davon, wie ein Regisseur sein Ensemble zu führen hat. Willst du, dass alle machen, was du sagst: Sei laut. Sei dominant. Gib Befehle. Beschimpfe sämtliche Assistenten im Umkreis von zwei Kilometern. Sei männlich. Ein stereotypes Berufsbild, an dem Frau – und Mann – sich erst einmal abarbeiten muss, eine Feststellung, die auch die junge Regisseurin Jana Milena Polasek macht: „Mein Eindruck war, wenn man als ‘feminine’ Frau am Theater ankommt, traut man dir den Regie-Beruf tendenziell erst einmal nicht zu, denn er hat etwas mit Dominanz zu tun, mit Ansagen machen, mit Macht im weitesten Sinne. Und wenn dann eine Frau auftaucht, die vielleicht auch eher zart oder auch mal selbstzweiflerisch oder einfach kein lauter Typ ist, dann kann das bei der Theaterleitung oft erstmal zu Misstrauen führen.“
Blättert man durch die Programme der großen und kleinen Häuser, findet man die Regisseurinnen dann vor allem im Special-Interest-Programm für Kinder, Jugendliche und Freunde unbekannter Stücke unbekannter Autoren. Es hat den Anschein, als müsste man sich als Regisseurin erst einmal ordentlich beweisen, bevor man auf die großen Bühnen, mit dem wichtigen Stücken von den wichtigen Autoren gelassen wird.
Müssen Frauen besser sein als Männer?
Eine Beobachtung, die die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Emily Glassberg Sands in ihrer aufsehenerregenden Studie Opening the curtain auch für Dramenschriftstellerinnen formuliert. Glassberg Sands zeigt, dass Theaterautorinnen auf einem deutlich höheren Niveau operieren müssen als ihre männlichen Kollegen, um ihnen gegenüber überhaupt als gleichwertig eingestuft zu werden. Die Studie verfährt nach einer simplen Methode: Identische Dramen werden wahlweise unter einem weiblichen oder männlichen Autorennamen an verschiedene Theater verschickt. Das wenig überraschende Resultat:
„Female-written plays are perceived by artitstic directors and literary managers to be of lower overall quality, to have poorer economic proscpects. (…) In addition, the theater community seems to react particularly aversely to women writing about women.“
Die Folgen, die eine geschlechterspezifische Benachteiligung von Dramenschriftstellern mit sich bringt, betreffen allerdings den gesamten Kulturbetrieb: Von Frauen verfasste Dramen tendieren dazu, auch mehrheitlich weibliche Rollen zu haben, womit gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass diese Stücke überhaupt zur Aufführung kommen. Das bedeutet dann eben auch, dass die großen Bühnen von Hamlet, Richard, Julius, Henry 4 – 8 und ihren zeitgenössischen Kollegen bevölkert werden, die von einer Riege hysterischer Ehefrauen, rachsüchtigen Geliebten, aufopfernden Müttern und devoten Dienerinnen dekorativ umrankt werden.
Wo sind all die Frauen hin?
Wo, bitteschön, sind denn auf deutschen Bühnen die Dramen zu finden, die den berühmten Bechdel Test bestehen würden, der eine Story auf eine ausgeglichene Repräsentation beider Geschlechter untersucht? Die Kriterien, die ein Drama oder Film erfüllen müssen, damit sie nicht durch den Bechdel Test rasseln, sind simpel: Es muss mindestens zwei weibliche Rollen geben, die miteinander einen Dialog führen, und dieser Dialog darf sich nicht um einen Mann drehen.
Es geht dabei keinesfalls darum, alle Liebesgeschichten von der Bühne zu verbannen, aber wenn Frauenrollen ausschließlich in Relation zu einem Mann definiert werden, dann sollte man sich eigentlich darüber wundern, dass überhaupt noch Frauen im Theaterpublikum sitzen. Wer will schon seinen Abend damit verbringen, sich mit den ewig gleichen Stories und Stereotypen abspeisen zu lassen? Oder, um es mit Sean Daniels zu sagen: “I think there’s a hidden thinking in here that men won’t watch women centric plays, but women will watch men centric plays (…) There are men watching „The Hunger Games“, but eventually there won’t be ladies watching dude filled plays and seasons.“
Mehr Frauen ins Theater
Die Debatte um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis – sowohl auf struktureller als auch auf inhaltlicher Ebene – wird im englischsprachigen Bereich auch außerhalb der Fachpresse geführt (siehe z.B. „Huffington Post“ und „The Guardian“), in Frankreich gibt es die Initiative „Où sont les femmes?“, in Deutschland ruft man eher in der Nische im Magazin „Theater heute“ zu „Mehr Frauen ins Theater“ auf. Nichtsdestotrotz gilt immer noch die Devise: Der Mann ist und bleibt als Intendant, Regisseur, Autor, Hauptfigur und Themenmittelpunkt auf dem Theater die Norm.
Geht das Theater an den Frauen vorbei?
Was für Unternehmen aus einfachen Gründen des ökonomischen Erfolgs selbstverständlich ist, sollte für das Theater aus Gründen der Glaubwürdigkeit gelten: Potentiale nicht ungenutzt zu lassen und nicht an einer wichtigen Zielgruppe vorbei zu produzieren. Dem Selbstverständnis des Theaters als Raum der kritischen Auseinandersetzung – aus dem sich auch die staatliche Subventionierung durch Steuergelder herleitet – sollte eine Organisationsform entsprechen, die den auf der Bühne verhandelten Maßstäben auch tatsächlich gerecht wird und in eine Arbeitspraxis umsetzt.
Noch mehr zum Thema Frauen im Theater am 31. Januar
Christina Gassen und Maria Sophie Nübling sind die Initiatorinnen von Theater.Frauen. In einer Tagung aus Workshops, Vorträgen und Diskussionen bringen sie Frauen aus der Theaterpraxis mit Wissenschaftlerinnen und Studierenden zusammen, um Situation und Perspektiven von Frauen in Theaterberufen einem Realitätscheck zu unterziehen. Die Veranstaltung findet am 31. Januar an der FU Berlin am Institut für Theaterwissenschaft statt. Informationen zu dem Event, bei dem auch EDITION F-Gründerin und selbst Theaterwissenschaftlerin Susann Hoffmann spricht, gibt es hier.