Harte Entscheidungen, weiche Fragen: Journalisten konnten aus Hillary Clinton wenig Neues herauskitzeln. Doch ihr Auftreten verriet eine Sache sicher.
Lesetour in Deutschland
Hillary Rodham Clinton hätte ohne Probleme ein zweites Buch parallel zu ihren gerade erschienenen Memoiren „Hard Choices“ herausgeben können: „Double Standards“ hätte es heißen müssen. Die frühere US-Außenministerin ist gerade auf Lesereise zu ihrem Buch – eine Tour zwischen Werbung für das Werk, den ersten Vorbereitungen für ihre Präsidentschaftskandidatur und der Funktion einer souveränen Stimme, die bei den Deutschen nach der NSA-Affäre Vertrauen zurückgewinnen soll.
In all diesen Funktionen besuchte sie am Sonntag auch Berlin. Am Morgen sprach sie in der ausverkauften Staatsoper mit dem Zeitmagazin, am Abend war sie zu Gast in der Talkshow von Günther Jauch. Hat man beide dieser Auftritte verfolgt, ergibt sich vor allem der Eindruck, dass Hillary Clinton nur schwer zu fassen ist. Vor allem dann, wenn Gesprächspartner sich von ihrer Autorität einschüchtern lassen und der Politikerin lediglich die Fragen stellen, die nicht aufgrund ihrer Inhaltes harte Fragen waren, sondern in ihrer Vorsicht und Banalität beinahe schmerzhaft.
Doppelte Standards in Aktion
Es war eine Premiere für die Primetime-Sendung in der ARD, dass dort drei gewichtige Frauen in den Sesseln saßen. In der Regel findet die Redaktion gerade eine Quotenfrau im Reigen von fünf Gästen. Wenn mehr Frauen zu Gast sind, geht es meist um Familienpolitik. Gestern jedoch sollte es laut Sendungstitel um Macht gehen. Dass Jauch die Gesprächsrunde mit Fragen zum Äußeren seiner drei Gäste eröffnete, war zwar nicht überraschend, mehr Fingerspitzengefühl hätte man ihm dieses eine Mal zumindest gewünscht. Dank dieser Steilvorlage konnte Clinton dem Publikum jedoch erklären, was doppelte Standards sind, und dass Politikerinnen noch immer an anderen Maßstäben gemessen werden, als ihre männlichen Mitstreiter oder Konkurrenten. Doch schon bei den Anekdoten, die Clinton über ihre Frisur erzählte, entfernte sich die Sendung weit vom eigentlichen Thema „Frauen an die Macht!“. Jauch stellte sich naiv: Deutschland sei in diesen Dingen doch schon um einiges weiter; Angela Merkel sei einem solchen Seximus nicht ausgesetzt, brachte der Moderator an. Die Gesichtsmuskeln der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zuckten erst, dann lachte sie. Es war nicht der einzige Moment, an dem sie versuchte, Jauchs Realität mit den Erfahrungen einer Frau abzugleichen.
Faszination Frisur
Lachen hält auch Hillary Clinton für eine Strategie sich mit diesem „Nonsens“ zu arrangieren. „Ich lache über die Absurdität der Position, in der ich mich befinde“, erzählte sie am Morgen in der Staatsoper, „Ich werde von allen möglichen Menschen zu allen möglichen Dingen befragt. Da bleibt mir oft nichts anders übrig, als zu lachen.“ Auch mit Kanzlerin Angela Merkel hätte sie sich schon gemeinsam darüber amüsiert, dass es immer das Haar, der Blazer oder das Gewicht seien, die Journalisten am meisten interessierten – und dass diese Dinge sogar andere Politiker beeinflussen können. So erzählte Clinton im Gespräch mit Zeitmagazin-Chefredakteur Christoph Amend, dass der bulgarische Premierminister ihr einst in einem Treffen sehr vorsichtig begegnet war, weil er dachte, Clinton habe besonders schlechte Laune. Woher er diesen Eindruck nahm? Sie trug ihr Haar zurückgebunden, und der Premier hatte gehört, dies sei immer ein Zeichen dafür, dass Clinton einen schlechten Tag habe. Clinton hingegen hatte schlicht keine Lust gehabt, sich die Haare aufwendig zu fönen.
Günther Jauch konnte nicht davon lassen, den doppelten Standard gleich ein weiteres Mal zu bemühen. Er fragte Clinton danach, ob die Lewinsky-Affäre, die mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, noch eine Rolle für sie spiele. Es brauchte drei Interventionen von Ursula von der Leyen, bevor er aufhörte, der Frage nachzugehen. Selbst von der Leyens Entrüstung brachte keine Einsicht bei ihm, dass die Affäre mit Clintons politischer Arbeit und Zukunft nichts zu tun hat. Dass ein männlicher Politiker nach Sexleben und Affären seiner Partnerin befragt würde, bleibt in Deutschland unvorstellbar. Und genau das ist der doppelte Standard, den Clinton gleich zu Beginn der Sendung thematisiert hatte.
Mehr PR-Tour als Debatte
Unter dem Sendungstitel „Frauen an die Macht!“ hätte die Gesprächsrunde viele Aspekte debattieren können. Die Macht von Hillary Clinton wurde aber nur subtil deutlich, und auch nur für diejenigen Zuschauer, die schon das Gespräch in der Staatsoper verfolgt hatten. Die Fragen der Moderatoren von Zeitmagazin und ARD ähnelten sich so frappierend bis hin zur letzten Frage, wer Clinton in einer Hollywood-Verfilmung spielen sollte (Antwort natürlich: Mery Streep), dass sich der Eindruck aufdrängt, dass die Redaktionen einen sehr genauen Fragekatalog von Clintons PR-Team bekommen hatten, von dem wenig Abweichung möglich war.
Dabei hätte insbesondere Günther Jauch die Chance gehabt, dass Gespräch mit Hillary Clinton zu einem Gespräch von politischer Substanz aufzubauen, als die NSA-Affäre und die Belastung der deutsch-amerikanischen Freundschaft thematisiert wurde. Schon am Morgen hatte sie sich in die Antwort geflüchtet, sie habe zu den Tätigkeiten der NSA nicht mehr Informationen als aus der Presse – was nach ihrer Tätigkeit als amerikanische Außenministerin mehr als fragwürdig ist – und mit der Platitüde beschwichtigt, wie wichtig die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika seien. Jauch vermochte ihr nicht durch härteres Nachfragen zu vermitteln, dass ihre Antwort für deutsche Bürger nicht zufriedenstellend sein konnte, so wie auch Merkels Schweigen zur Aufklärung der Spähvorwürfe immer stärker kritisiert wird. Sogar Gesche Joost, Digitalbotschafterin der Bundesregierung, kritisiert Angela Merkel mittlerweile offen und unterstützt den Druck, der von der Opposition kommt. Doch auch Ursula von der Leyen war die Sache lediglich den Satz wert: „Freunde spioniert man nicht aus.“ In anderen Worten: Eine Auseinandersetzung mit dem Thema Überwachung fand nicht statt, geschweige denn wurden Forderungen an die Regierungen der USA und Deutschland formuliert.
Hillary ist Feministin
Hier hätte auch die Theologin Margot Käßmann einspringen können, die in der Sendung blass blieb und den Eindruck erweckte, Clinton nicht kritisieren zu wollen. Für wenig Selbstbewusstsein der Pfarrerin stand weiterhin, dass sie sagte, in Deutschland könnten sich Frauen nicht als Feministin bezeichnen, ohne abgewertet zu werden und in ein Klischee zu tappen. Doch ohne prominente Frauen, die mit dem Begriff Feministin keine Berührungsängste haben, wird sich das nicht ändern können. Hillary Clinton hingegen hatte auf die Frage von Jauch „Würden sie sich als Feministin bezeichnen?” mit „Absolut!” geantwortet. In dieser Hinsicht ist die amerikanische Gesellschaft wohl weiter als die deutsche.
Wenn Clinton im kommenden Jahr ihre Kandidatur verkündet – und daran dürfte kaum noch jemand zweifeln – wird die USA nicht nur eine weibliche Präsidentschaftskandidatin haben, sondern auch eine Frau, die bei jeder Gelegenheit betont, dass für Frauen und Mädchen noch einiges getan werden muss, bevor sie gleichberechtigt sind – und das auch in westlichen Kulturen. Clinton hat Gleichberechtigung mehrfach als „the great unfinished business of the 21st century“ bezeichnet. Ein Thema ihrer Präsidentschaft dürfte also klar sein.
Über weitere Ziele hat man bei ihrem Deutschland-Besuch nichts erfahren können. Clintons Auftreten hat jedoch vermittelt, dass es für sie keine „harte Entscheidung“ ist, für die Demokraten in den nächsten Wahlkampf zu ziehen. Wenn sie sich einer Entscheidung sicher ist, dann der, dass sie 2016 als Präsidentin ins Weiße Haus einziehen will.
Hillary Rodham Clintons Memoiren sind gerade im Droemer-Verlag erschienen. „Hard Choices“ ist bereits in Deutsche übersetzt und heißt in dieser Version „Entscheidungen“.