Zentrum der digitalen Bohème, Hipster-Laden, Projekte-Café. Für das Oberholz gibt es viele Beleidigungen. Doch wer es nicht mag, geht trotzdem hin. Wieso?
Der perfekte Ort
Der Ort scheint etwas Magisches zu haben. Hunderte Gäste gehen hier täglich ein und aus. Viele bleiben den ganzen Tag. Kommen über Jahre. Immer mit Laptop. Und immer steht vor ihnen eine volle Tasse Kaffee. Das ist das St. Oberholz am Rosenthaler Platz.
In dem geschichtsträchtigen Gebäude war früher einmal das Gasthaus Aischinger beheimatet. Ein gastronomisches Erfolgsmodell. Doch das ist lange her. Nach der Wende residierte hier bis zum Jahr 2000 zunächst der erste Burger King Ostberlins. Von Tradition war nur noch wenig zu spüren. Aber gerade die hatte es dem Macher und Namensgeber des heutigen Cafés – Ansgar Oberholz – angetan: Es war eine Art Liebe auf den ersten Blick mit dem Eckbau in der Mitte Ostberlins, der großen hölzernen Wändeltreppe, den acht Meter hohen Decken und den ebenso mächtigen Sprossenfenstern.
Der erste Co-Working-Spot Berlins
2005 eröffnete Ansgar Oberholz sein St. Oberholz – W-LAN gehörte zur Grundausstattung. Von Anfang an. „Wir waren da nicht das erste Café, aber wir waren das erste, das proklamierte: Bei uns sind Arbeiten und Laptops ausdrücklich erwünscht. So waren wir quasi der erste Co-Working-Spot Berlins“, sagt Ansgar.
Die Laptops kamen. Schaut man sich heute im Oberholz um, fühlt es sich, auch das ist altbekannt, fast so an wie in einem Apple-Store. Das Café ist wohl das Epi-Zentrum von einem Berliner Gefühl des freien Schaffens.
Doch es gibt auch eine Kehrseite: Bei Vielen gilt das Oberholz schon lange als Out. Und trotzdem sehe ich mindestens fünf bekannte Gesichter in den fünf Minuten, in denen ich auf Ansgar Oberholz warte. Gründer, Investoren, Künstler. Woran das liegt?
Viele Beschwerden, viele Gäste
„Es gibt immer viele Beschwerden bei Orten dieser Art. Das ist beim Soho House nicht anders. Es ist dieses Anti-Hipster-Ding. Doch wenn man ganz ehrlich ist, dann ist das meiste aus der Hipster-Sub-Kultur auch zum Mainstream geworden. Und die Leute die sich über Hipster beschweren, laufen häufig selbst so rum“, sagt Ansgar. Vielleicht macht ihn diese Gelassenheit so erfolgreich. Er hat einen reflektierten Umgang mit Kritik. Es gebe Menschen, die würden denken, dass er Millionär sei und einen Porsche fahre. Dem ist nicht so.
Ein bisschen wie ein Dirigent, der nicht ganz loslassen mag, wirkt er, als er vor dem Tresen neben mir steht und parallel versucht, die Schlange der wartenden Gäste zu delegieren. Wir bestellen Iced Latte und setzen uns auf den Friedhof um die Ecke für das Gespräch. „Da ist es ruhiger“, sagt Ansgar.
Neun Jahre Oberholz
Seit beinahe zehn Jahren gibt es das Oberholz nun.
„Am Anfang lief es nicht gut“, erzählt der Namensgeber. „Die Gäste kamen zum Arbeiten und tranken in vier Stunden teilweise nur einen Espresso. Viele liefen an dem Laden vorbei uns dachten: Hä, was ist das denn?“ Ansgar selbst hatte nur Erfahrung „als super leidenschaftlicher Gast“. Das gastronomische Know-how brachte seine Geschäftspartnerin Koulla Louca. Andere Gastronomen hätten an das Konzept der Selbstbedienung in dem großen Laden, der über zwei Etagen reicht, nicht geglaubt, sagt er.
Die Jahre davor hatte sich der Studienabbrecher mit Werbeideen für Internetfirmen und einer eigenen Agentur das Geld verdient. Die lief zwar fulminant, doch die Arbeit erfühlte ihn nicht mehr. Er machte sich auf die Suche nach etwas Neuem. Dann kam die Idee zum Oberholz. Und ein Bankkredit – mit dreifacher Absicherung über Bürgschaften.
„Wir nennen es Arbeit“
Irgendwann lernte Ansgar Sascha Lobo in seinem Laden kennen. Der schrieb wenig später in seinem Buch „Wir nennen es Arbeit“ auch über das Oberholz, am Rande. Irgendwann zu dieser Zeit begann das Oberholz dann zu brummen.
Mittlerweile ist das Café in Mitte fester Bestandteil der einschlägigen Touristen-Führer wie dem Lonely Planet. Sogar ein gewisser Startup-Fan-Kult wird dem Café am Rosenthaler Platz nachgesagt. Hatten Medien doch so oft formuliert, dass man hier die großen Gründer wie die Erfinder von Soundcloud oder die Partner von Earlybird Ventures treffen könnte. „Soundcloud“, so sagt Ansgar, „hat auf eine Art und Weise im Oberholz begonnen. Und das Community Team wurde später aus Platzmangel im eigentlichen Büro von Soundcloud als Zwischennutzer, zwischen klassischen Übernachtungsgästen in unseren Appartements untergebracht.“
Beinahe zehn Jahre ist die Eröffnung des St. Oberholzes her. „Wir hatten oft Angebote zu expandieren, eine Kette aus dem Oberholz zu machen, einen Standort in Schöneberg, Kreuzberg oder sogar New York zu eröffnen. Aber wir haben uns immer dagegen entschieden, das wäre ein ganz anderes Geschäftsmodell gewesen“, sagt Ansgar. „So ein Momentum lässt sich meiner Meinung nach nicht wiederholen. Und ich mag das Lokale.“
Das Oberholz als große Liebe
Man merkt Ansgar Oberholz an, dass das Oberholz, schon eine große Liebe für ihn ist. Mitten im Gespräch hält der 41-Jährige kurz inne und überlegt: „Als ich heute morgen ins Oberholz gefahren bin, habe ich selbst überlegen müssen, wieso mir das alles so wichtig ist“, sagt er. Es seien die Menschen, die das Oberholz besonders machen. Dadurch, dass hier Ideen entstehen, würden auch seine Ideen nicht aufhören. Ein irrer Blumenstrauß an Ideen sei das hier. „Der Organismus lebt“, sagt er.
Ob das immer so bleibt? „Die Versuchung ist groß einmal was anderes zu machen. Wir machen ja aber auch immer wieder kleine neue Dinge. Also wurde das Bedürfnis schon befriedigt. Und der nächste Schritt ist, dass wir uns mit dem Co-Working weiter entwickeln. Business-Center – aber sexy. Wir wollen Selbstständigen, kleinen Startups oder Unternehmen, auch die Möglichkeit geben, sich neben dem Café und dem Co-Working-Space im gleichen Haus freier zu entfalten.“
Expansionspläne
Im Frühling 2014 sollen die Oberholz-Büros in der Zehdenicker Straße eröffnen. Ein flexibles Konzept, in dem Teams eigene Büroräume mieten können und extrem flexibel sind. Auch kleine Konferenzen stattfinden können. „Flexibilität ist das wichtigste für Startups, bei uns können sie einen Tag die Türen schließen und einen Tag open door arbeiten. Und wenn sie eine Woche später das Büro nicht mehr brauchen, binden wir sie nicht an lange Kündigungsfristen.“
Ein bisschen geht Ansgar Oberholz da mit der gefühlten Entwicklung seiner Gäste: „Am Anfang waren es viele Freelancer, dann kam die digitale Bohème, jetzt sind auch viele Startups da.“
Fehlt Berlin der Mut?
Was ihn in Berlin ein wenig fehle zur Zeit, ist der Mut so Ideen wie Amen umzusetzen. Berlin sei etwas zu schreckhaft geworden. Das findet Oberholz schade.
„Wenn ich 50 Jahre alt bin, könnte ich mir vorstellen selbst einmal in Startups zu investieren. Ich würde mir dabei die Ideen raussuchen, die es sonst vielleicht nicht schaffen würden, aber die Berlin so besonders machen. Ideen wie Amen, die anders sind und sich Zeit nehmen sich zu entwickeln“, sagt Ansgar.
Vielleicht ist der 50. Geburtstag für Ansgar Oberholz genau der richtige Zeitpunkt. Denn dann wird das Oberholz bereits 18 Jahre alt. Und damit volljährig.
Fotos: Julien Barrat