Unsere Welt in acht Stunden: Arbeit, Freizeit, Schlaf. Ignacio Uriarte verbindet Kunst mit Büroroutinen und wirft einen kritischen Blick auf die Zeit.
9 to 5 – Wieso acht Stunden Arbeit normal sind?
Was man in acht wachen Stunden nicht alles machen könnte: faul am Strand herumliegen zum Beispiel, zwischendurch kurz ins Wasser hüpfen und sich dann wieder von der Sonne trocknen lassen; einen Berggipfel erklimmen oder tief in einer Romanwelt versinken. In der Regel verbringen wir besagte acht Stunden jedoch sehr viel häufiger am Schreibtisch – im Büro, über Akten gebeugt, Konzepte schreibend, Bilanzen lesend oder Projekte managend.
Die Meisten von uns haben einen Achtstundentag: acht Stunden Arbeiten, acht Stunden Schlafen, acht Stunden Freizeit. Dieser Rhythmus ist eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung und seit 1918 in Deutschland gesetzlich sogar vorgeschrieben. Die Arbeit gibt nach diesem Modell den Takt unseres Lebens vor. Werktag für Werktag. Von neun bis fünf.
Auf die Sekunde genau
Natürlich ist es kein Zufall, dass Ignacio Uriarte eben diese Länge für seine Soundinstallation „Acht Stunden zählen“ gewählt hat, die seit dem 3. Mai für ein Jahr in der Berlinischen Galerie zu hören ist. Und der Name ist Programm: Acht Stunden lang zählt Sprecher Christian Intorp von Eins bis 3599. Jede Sekunde fällt dabei genau eine Silbe. Aus dem Zahlenaneinanderreihen entsteht dadurch ein merkwürdig monoton-meditativer Rhythmus, in den der Besucher erst hineinfindet, wenn er eine Zeitlang lauscht.
Nur gut, dass die Öffnungszeiten der Berlinischen Galerie ebenfalls acht Stunden betragen. So wird die Aufnahme morgens angeschaltet und läuft dann einen gesamten Tag durch, als sei sie ein Arbeiter nach Stechuhr. In Gänze wird sich wahrscheinlich kaum ein Besucher die Soundinstallation anhören, doch ein Gefühl für sie bekommt man schon nach wenigen Momenten: Die Zeit dehnt sich aus, je weiter sie fortschreitet. Zeit wird ein kaum messbares Maß und verliert Bedeutung.
Vom BWLer zum Künstler
Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Uriarte die Arbeitswelt thematisiert. Seine liebsten Werkzeuge sind traditionelle Büromaterialien, Stifte, Schreibmaschinen oder Druckerpapier. Seine Themen, die Routinen und Strukturen, denen man sich im Büro unterwirft. Was ihn interessiert, sind zum Beispiel die kleinen kreativen Fluchten aus der puren Effektivität, in die sich Angestellte teils unbewusst begeben, wenn sie in Konferenzen Karopapier ausmalen oder beim Telefonieren Stifte geometrisch anordnen.
Der 1972 geborene Künstler kennt beide Welten. Bevor er sich ganz der Kunst zuwandte, studierte er Business Administrations, arbeitete danach für Unternehmen wie Canon oder Siemens. Ist es eine Sehnsucht nach dem früheren Büroalltag, die ihn antreibt oder warum beschäftigt er sich ausgerechnet damit? „Irgendjemand muss es ja tun,“ antwortet er und grinst.
Playtime!
Uriartes heutiger Arbeitsplatz befindet sich passenderweise im Gebäude der ehemaligen DDR-Telefongesellschaft, das noch heute staubigen Amtsschimmel atmet. In seinem Studio lagern Schreibmaschinen aus verschiedenen Jahrzehnten im Regal, elektrische, aber vor allem mechanische. Papierbögen warten in Stapeln auf ihre Verwendung. Kugelschreiber sind in Gläsern farblich sortiert. Auf einem Arbeitstisch liegen präzise geplante Tintenroller-Kritzeleien, daneben filigrane Zeichnungen, die sich bei näherer Betrachtung als fein säuberlich getippte Prozentzeichen entpuppen. Eine Mitarbeiterin ist gerade dabei, weiße Papierbögen vorzufalten. „In Dreierfaltung, fast wie bei einem Geschäftsbrief“, erklärt Uriarte. Nur fast, denn der Winkel ist bei jedem Blatt ein wenig weiter verschoben. Die geknickten Papiere ergeben nebeneinander gehängt eine von sieben Arbeiten, die er in München im Gebäude einer Versicherung zeigen wird.
Ebenfalls in München ist Uriarte derzeit in der Gruppenausstellung „Playtime“ im Lenbachhaus vertreten. Neben vielen weiteren Künstlern – darunter Mladen Stilinović, Tehching Hsieh, Monica Bonvicini und Christoph Schlingensief – deren Werke sich mit der Arbeitswelt auseinandersetzen, zeigt er dort eine Fotoserie, für die er im Rahmen eines Workshops Büroangestellte dazu aufforderte, ihre Schreibtischutensilien zu skulpturalen Linienformen anzuordnen.
Das Büro, auf das sich Uriarte bezieht, gehört eigentlich ins Museum mit seinen echten Pappordnern und der gedruckten Tinte. Als Metapher hat es die digitale Revolution jedoch überdauert. Es existiert in Software und im Computerdesign fort. Auch das ist etwas, was Uriarte fasziniert. Mit seinen Arbeiten holt er es zurück ins Physische und stellt ebenso subtil wie humorvoll beide Arbeitswelten infrage, die durchgetaktete alte und die vermeintlich flexible neue. Die eigenen Routinen überdenken und vielleicht auch durchbrechen muss man dann allerdings selbst.
Uriarte Ausstellungen
„Acht Stunden zählen“, Berlinische Galerie. Mi–Mo 10–18 Uhr.
„Playtime“, Lenbachhaus München. Bis 29. Juni, Di 10–21 Uhr, Mi–So 10–18 Uhr.
„World Wide: Work“, Diskussionsrunde mit Uriarte und anderen Künstlern und Wissenschaftlern über die Frage, ob Arbeit glücklich macht, am 25. Mai in den Münchner Kammerspielen