Eine neue Studie der Universität Leipzig zeigt, der Rassismus bewegt sich vom rechten Rand immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Was bedeutet das? Und wie soll man darauf reagieren?
„Die enthemmte Mitte“
Seit 2002 erscheint alle zwei Jahre eine aktuelle Studie zur politischen Einstellung in Deutschland, durchgeführt in einem Langzeitforschungsprojekt von der Universität Leipzig. Die Ergebnisse der neuesten Teilstudie „Die enthemmte Mitte“, die gerade veröffentlicht wurde, sind dabei alarmierend: Fasst man diejenigen Studienteilnehmer zusammen, die einer Aussage überwiegend oder voll und ganz zustimmen, glauben 33,8 Prozent der Befragten die Bundesrepublik sei durch die vielen Ausländer völlig überfremdet. 32,1 Prozent denken, die Ausländer kämen nur nach Deutschland um das Sozialsystem auszunutzen und 26,1 Prozent finden, dass man Ausländer zurückschicken sollte, wenn die Arbeitsplätze in Deutschland knapp werden sollten.
Fast die Hälfte der Studienteilnehmer finden zudem, dass Sinti und Roma aus den Innenstädten verbannt werden sollten. Ungefähr genauso vielen gaben an, sich durch die vermeintlich vielen Muslime in Deutschland manchmal fremd im eigenen Land zu fühlen. „Die Ablehnung von Muslimen, Sinti und Roma, Asylsuchenden und Homosexuellen hat noch einmal deutlich zugenommen”, kommentiert Dr. Oliver Decker, Leiter der Studie, die Teilergebnisse.
Wie passt das mit der hochgelobten Willkommenskultur des vergangenen Jahres zusammen?
Eigentlich gar nicht. Die beiden Einstellungen stehen sich in Deutschland konträr gegenüber. Während die Studie aufzeigt, dass in demokratischen Milieus Gewalt deutlich stärker abgelehnt wird als noch 2014, ist die Gewaltbereitschaft im rechtsextremen Umfeld deutlich gestiegen. Dazu meint Decker: „Wir haben Menschen, die sich aktiv um Flüchtlinge bemühen, und es gibt Menschen, die Flüchtlinge aktiv ablehnen.” Damit habe eine deutliche Polarisierung und Radikalisierung stattgefunden – deren Auswirkungen man an den gestiegenen Zahlen rechtsextremer Straftaten erkennen kann und die in der Konsequenz bedeuten, dass geflüchtete Menschen, die nach furchtbaren Kriegs- und Fluchterfahrungen in Deutschland ankommen, sich auch hier nicht sicher fühlen können.
Relevant sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der Studie im Bezug auf Pegida und die AfD. Die so oft verharmlosend als „besorgte Bürger“ umschriebenen Anhänger Pegidas können laut der Studie als zumeist rechtsextrem und islamfeindlich eingestuft werden. Darüber hinaus sehen sie sich von „verschwörerischen dunklen Mächten“ umgeben. Auch den meisten AfD-Wählern bescheinigt die Studie eine menschenfeindliche Gesinnung. Spätestens nach diesen Ergebnissen, müssen wir uns die Frage stellen, wie mit der AfD in Zukunft umgegangen werden soll.
Ist es angebracht, dass eine Partei, die offensichtlich menschenfeindliche Inhalte vertritt, die rechtsextreme Wähler anzieht, und reaktionäre Meinungen gesellschaftsfähig macht, so viel medialen Raum zugesprochen bekommt? Sollten Frauke Petry und Alexander Gauland weiterhin eine Dauerkarte für fast alle politischen Talkshows haben? Birgt das nicht die vielmehr die Gefahr, dass rechtsradikale, rassistische und homophobe Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft Platz nehmen?
Die AfD ist eine rechtsradikale Partei
Denn dort liegt, auch das zeigt die Studie, ein Nährboden für die reaktionären Tendenzen der AfD. Mehr als 40 Prozent der Teilnehmer der Studie finden zum Beispiel, dass Muslimen der Zugang zu Deutschland versagt werden sollte.
Der aktuelle Umgang mit der AfD hat seinen Teil dazu beigetragen, dass eigentlich Unsagbares ausgesprochen werden kann – und eben immer öfter auch wird, von Menschen, überall in der Gesellschaft, am rechten Rand, aber immer öfter auch in der Mitte der Gesellschaft. Das äußerte auch Decker gegenüber Deutschlandradio Kultur: „Wir reden nicht über Ränder, wir reden über Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, die lange Zeit in unseren Studien klar gebunden waren an große demokratische Parteien, die aber immer schon rechtsextrem gedacht haben – die aber als solche gar nicht in Erscheinung getreten sind.”
Wir brauchen einen neuen Umgang mit der AfD
Deswegen ist es so wichtig, dass die Öffentlichkeit und auch wir Medien, unseren Dialog mit der AfD hinterfragen. Sicherlich, der beste Umgang wäre, die eklatanten Falschaussagen, die die AfD immer wieder in ihrer öffentlichen Argumentation nutzt, direkt zu entlarven – das gelingt aber in fast keiner Talkshow. Viel zu oft bekommt die reaktionäre Partei deshalb einfach eine Bühne, um ihr menschenverachtendes Parteiprogramm zu präsentieren, ohne
auf wirkliche Gegenwehr zu setzen. Die Konsequenz müsste also entweder sein,
Talkshows endlich diverser zu besetzen, so dass in Zukunft nicht mehr vier
weiße Männer, von denen einer der AfD Politiker Alexander Gauland ist, ein
FAZ-Journalist der linkeste Teilnehmer, und eine einzelne „doppelte Quotenfrau“ als Migrationsforscherin mit Migrationshintergrund die Mammutaufgabe zugeteilt bekommt, der AfD faktenbasierten Gegenwind zu bieten. Solange das allerdings nicht der Fall ist, stellt sich die Frage, ob die AfD überhaupt immer wieder eingeladen werden sollte?
Fest steht, dafür ist die Studie ein wichtiger Beweis, wir müssen etwas tun, um der Verlagerung rechtsextremer Positionen vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu verhindern. Öffentliche Solidaritätsbekundungen mit Jérôme
Boateng nach Gaulands Aussage, dass viele Menschen diesen nicht gerne als Nachbarn hätten, sind sicherlich wichtig, um sich medial gegen den latenten Rassismus der AfD zu stellen. Damit ist es allerdings nicht getan, denn das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unsere Gesellschaft schleichend dahin entwickelt, dass immer mehr rassistische, homophobe und sexistische Aussagen sagbar werden. In den Köpfen existieren diese Gedanken leider schon lange, auch das zeigt die aktuelle Studie. Aber Wutbürger und auch die AfD tragen dazu bei den Werterahmen nach rechts zu verschieben und diesen Einstellungen immer mehr Raum zu bieten.
„Das Potenzial für rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien ist noch größer als es die Wahlergebnisse bislang zeigen”
Was können, was müssen wir also dagegen tun?
Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu fordert in Reaktion auf, die Studie eine „Konsequente Präventionspolitik gegen Menschenfeindlichkeit“. Er tritt dafür ein, dass Demokratiebildung sowie die Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung endlich Kernthemen an allen deutschen Schulen und Bildungseinrichtungen werden. Vielleicht ist es nötig, diese Forderung auf die Medien und die öffentliche Gesellschaft zu übertragen. Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, ist eigentlich ein festverankerter Wert, der in unserer Gesellschaft gar nicht mehr zur Debatte stehen sollte.
Wenn das, wie so oft in diesen Tagen, dennoch der Fall ist, müssen wir uns unserer Verantwortung stellen und uns offensiv und selbstbewusst, immer und immer wieder, gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie positionieren, egal, ob er vom rechten Rand, oder mitten aus der Gesellschaft kommt. Denn, die politische Arbeit der AfD hört für Geflüchtete, Migranten und Homosexuelle eben nicht nach der Talkshow am Sonntag Abend auf, sondern führt zu realen Taten, die diese Menschen einer akuten Bedrohung aussetzen.
Flickr – Eric Gravengaard – CC BY-ND 2.0
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