Ja, auch in der Pornoindustrie gibt es Sexismus, aber der Umgang mit Pornografie in unserer Gesellschaft ist in den Augen von Paulita Pappel zutiefst klassistisch. Im Interview erzählt sie von ihren Learnings als Porno-Performerin, Produzentin und Regisseurin.
Paulita Pappel ist nicht dein richtiger Name, sondern dein Pornoname, trennst du die Kunstfigur von deinem privaten Charakter?
„Mein Pornoname ist für mich in erster Linie ein Schutz, weil Pornografie sehr stigmatisiert ist in der Gesellschaft. Wenn ich mit meinem bürgerlichen Namen auftreten würde und man mich googelt, würden dort als erstes Nacktbilder von mir erscheinen.
Die Frage nach meinem richtigen Namen bekomme ich besonders häufig gestellt, seit ich ein Buch geschrieben habe. Menschen wollen wissen, ob es sich um ein Pseudonym handelt, obwohl ich doch meine persönliche Geschichte darin erzähle. Tatsächlich ist mein Buch intimer als jeder meiner Pornos, aber bei Lady Gaga fragt sich auch niemand, warum sie einen Künstler*innennamen hat. Daran zeigt sich für mich einmal mehr, dass das Thema Pornografie noch immer keinen Platz in der Öffentlichkeit hat.“
Gehst du mit einer bestimmten Haltung oder Herangehensweise an deine Arbeit als Pornoentrepreneurin?
„Pornos sind Unterhaltungsprodukte, die eine explizite Darstellung von Sexualität feiern. Für mich steckt zudem eine politische Kraft in der Pornografie, die von vielen Menschen (noch) nicht gesehen wird, weil sie aus sexpositiven Diskursen ausgeschlossen wird.
Durch die sozialen Medien leben wir in einer sehr performativen Zeit und ich habe gemerkt, dass bestimmte Themen besser aufgenommen werden, wenn ich sie als schön aufbereitete Inhalte präsentiere. Mein Buch ist ein solcher Versuch.“
Ich kenne den Begriff sexpositiv, inwiefern geht pornopositiv hier noch einen Schritt weiter?
„Für mich ist Pornopositivität ein unentbehrlicher Teil von Sexpositivität. Sexpositivität ist eine postive Haltung gegenüber Sexualität, die niemandem vorschreibt, wie viel Sex Menschen haben sollten, oder ob überhaupt. Sie schafft einen Rahmen, um selbstbestimmt und ohne Scham die eigene Sexualität zu entwickeln.
Dass viele Menschen Pornografie als schmuddelig, gefährlich und frauenverachtend wahrnehmen, steht für mich im Gegensatz zu einer sexpositiven Haltung. In meinen Augen ist es zu kurz gedacht, sich als sexpositiv zu labeln, aber keine Gedanken über Sexarbeit machen zu wollen.“
Sextoy-Adventskalender und Pornplattformen mit queerfeministischen Inhalten sind in meinem Umfeld Normalität geworden. Bis vor wenigen Jahren hatte ich aber nie den Gedanken, dass Pornografie etwas für mich ist, weil ich mich nicht angesprochen fühlte. Wie bist du damals zur Pornografie gekommen?
„Ich war 22, als ich meinen ersten Porno gedreht habe, kann mich aber trotzdem total mit dir identifizieren, weil ich auch lange dachte, dass Pornografie nichts mit meiner Realität zu tun hat. Tatsächlich habe ich bis vor ein paar Jahren selbst keine Pornos geschaut und nicht mal masturbiert.
Trotzdem hat mich Pornografie schon immer fasziniert, weil ich mit ihr einen Ort verbinde, an dem Sex stattfinden kann, befreit von bestimmten gesellschaftlichen Zwängen. Als Frau sozialisiert zu werden, heißt oft, gesagt zu bekommen, dass man die Person lieben müsse, mit der man schläft. Liebe führe zu Sex und Sex gehöre zu Liebe. Liebe sei etwas zwischen Mann und Frau, weil Sex gleich Penis in Vagina. Wenn du mit jemandem Sex hast, ergo diese Person liebst, dürfest du niemand anderes begehren und und und… Ich fand all diese Vorstellungen überfordernd. Das war nicht, was ich wollte.
Die Pornografie war für mich eine Alternative, aber ich dachte, dass auch das nicht richtig sei, weil Pornografie Frauen ausbeutet. Mit diesem inneren Konflikt kam ich nach Berlin. Durch mein Studium habe ich zwei tolle Dozentinnen kennengelernt, die ganz anders über Sexarbeit sprachen. Erst durch sie habe ich verstanden, dass es sich bei Prostitution und Pornografie um keine Werkzeuge des Patriarchats handelt, die nur dazu da sind, Frauen kleinzuhalten. Klar, es handelt sich um eine sehr männerdominierte Branche, aber man kann sie für sich in Anspruch nehmen. Ich kann Feministin sein und Pornos machen.“
Wie bist du dann vorgegangen, als das für dich feststand?
„In Berlin kann man zum Glück sehr gut nach feministischen Pornoschaffenden suchen. Ich habe mit der Filmemacherin Marit Östberg zusammengearbeitet, damals noch in dem Glauben, dass ich nun die ,guten feministischen’ Pornos mache und nicht die ,bösen Mainstreamporns’. Dann hatte ich das große Glück, dass ich für einen Kunstfilm gecastet wurde mit zwei sehr berühmten Darsteller*innen: Mia Julia, damals noch Mia Magma, und Conny Dachs. Dort am Set bin ich auf tiefenentspannte Menschen getroffen, die einen unbeschwerten Umgang mit Sexualität hatten, der so befreiend auf mich wirkte, dass mir klar wurde, dass alles, was ich auf die großen Pornoproduktionen projiziert hatte, nicht stimmte. Auch hier ging es nicht darum, Frauen in die Opferrolle zu drängen. Ja, die Pornoindustrie ist kein Ponyhof, hier gibt es auch Sexismus, aber ich sehe den Mainstream nicht mehr so kritisch.“
Du bist der feministischen Pornowelt dennoch treu geblieben.
„Ich bin mit meinem Profil einfach nicht das, was die Mainstream-Pornografie gesucht hat. Ende der 90er/ Anfang der 2000er war beispielsweise klar, dass du dich als Frau komplett rasieren musstest und das wollte ich noch nie. Ich bin das Mädchen von nebenan, was auch eine eigene Sparte in der Industrie ist, in der ich als Performerin gut verdienen konnte. Ich bin also nicht nach Prag und Budapest gegangen, um Pornos mit Rocco Safredi zu drehen. Aber hätte ich anders ausgesehen, hätte ich es gemacht, aber nun produziere ich eben meine eigenen Pornos.“
Was genau bedeutet Mainstream aus deiner Sicht?
„Mainstream meint, dass sich dahinter eine große kommerzielle Produktion verbirgt, die sich lange Zeit eher auf Männer als Konsumenten fokussiert hat. Aber auch hier verändert sich gerade einiges; Frauen werden mehr mitgedacht und viele Darstellende aus feministischen Produktionen treten in den großen Produktionen auf, einfach weil man mit queerfeministischen Pornos allein kein Geld verdienen kann.“
Braucht es diese Unterscheidung zwischen Mainstream und feministischer Pornproduktion dann überhaupt noch?
„Ich bin jetzt mal ganz ehrlich: Ich sehe einen gesellschaftlichen Mehrwert darin, dass es Pornos gibt, die als feministisch gelabert werden. Gerade viele Frauen finden über feministisch kuratierte Pornplattformen einen Zugang, der ihnen hilft, Ängste und Vorurteile abzubauen. Sie finden dort vieles, was ihr Leben und ihre Sexualität bereichert. Gleichzeitig ist diese Bubble extrem bürgerlich und ich finde, das müssen wir auch reflektieren. Ich begrüße daher die Synergien, die bereits automatisch entstehen, da der Großteil an Porn mittlerweile aus Amateurpornos besteht. Feministische Pornos sind ein guter Einstieg, aber wenn wir in den Medien nur über diese Filme sprechen und sie von anderen Pornos abgrenzen, reproduzieren wir das Stigma, die Vorurteile und die Angst vor Pornografie und so kommen wir nicht weiter.“
Was müsste sich ändern, damit es diese Unterscheidung nicht mehr gibt?
„Wir müssen aufhören, Pornografie gesellschaftlich, politisch und ökonomisch zu diskriminieren. Was heißt wir? Wenn der Staat entscheiden würde, Pornografie wie ein klassisches Unterhaltungsprodukt zu behandeln und die Vertriebswege öffnen würde, könnte das meiner Meinung nach alles ändern. Dann würden sich noch mehr Menschen aus unterschiedlichen Bereichen mit Pornos befassen, dann würde die klassistische Trennlinie zwischen Pornografie und Gesellschaft verschwinden.“
Jetzt würden wahrscheinlich einige Menschen argumentieren, dass bei einer Öffnung, wie du sie forderst, keine Sicherheit mehr gewährleistet werden kann, wer was konsumiert und welche Konsequenzen das haben könnte …
„Es gäbe sicher eine große Angst davor, dass wir durch mehr Zugang zu Pornografie allesamt übergriffig und verdorben werden. An diesen Reaktionen merke ich immer, dass wir als Gesellschaft einfach noch sehr weit zurück liegen, was das Thema betrifft. Wie kann es sein, dass wir nicht in der Lage sind, uns eine Gesellschaft vorzustellen, in der Menschen respektvoll miteinander umgehen?
Natürlich gibt es Orte und Situationen, in denen es nicht angebracht ist, darüber zu sprechen, wie man zu welchem Porno gewichst hat, aber wir sind so verklemmt, dass wir uns davor fürchten, eine Offenheit überhaupt zuzulassen. Es ist wichtig, dass wir lernen, über Grenzen und Einvernehmen zu sprechen.“
Pornos sind nicht das Problem, sondern der Umgang mit ihnen. Was konntest du Positives von der Pornografie lernen?
„Ich begreife mehr und mehr das Potenzial von Pornografie. Anfangs war sie mein persönlicher Toberaum, dann ein politisches Pamphlet. Heute sehe ich in ihr die ganze Vielfalt aus Unterhaltung, Sexualbildung, künstlerischem Werk und allem dazwischen.
Ich habe beobachtet, dass wir in unserer Gesellschaft ein sehr eindimensionales Verständnis von Sexualität haben, etwa dann, wenn wir davon ausgehen, dass nur eine Person Spaß hat, wenn ein Blowjob gegeben wird oder besonders männlich konnotierte Praktiken oft so verstanden werden, dass sie die Erniedrigung der Frau bedingen. Mein Learning ist, dass keine Sexpraktik per se erniedrigend ist, nur ein Mensch kann einen anderen Menschen erniedrigen. Und nur ein mangelndes Einvernehmen ist gewaltvoll. Das sind die Probleme, die wir angehen müssen. Wir müssen lernen, anders und besser zu kommunizieren.“
Was könnten wir alle tun, um unser Denken und sexuelles Handeln in eine offene und friedlichere Richtung zu lenken?
„Das Wichtigste ist, keine urteilende Position einzunehmen. Das gilt für den eigenen Pornokonsum, aber auch für die sexuelle Interaktion mit anderen Menschen. Wir sind sehr schnell, wenn es darum geht, uns zu verurteilen: Wie sehe ich aus? Was mache ich jetzt? Ist das feministisch? Wenn wir diese Fragen beiseiteschieben und stattdessen beobachten: Ich schaue diesen Porno, was macht das grad mit mir? Wie fühlt sich das an? Ekelt mich das an oder erregt es mich oder vielleicht beides gleichzeitig? Wenn Sexualität in Scham und Schuld umschwingt, hindert uns das daran, eine gesunde und selbstbestimmte Sexualität auszuleben. Also: weniger urteilen, mehr beobachten.“
Vielen Dank für deine Offenheit.
Paulita Pappel auf dem FFF DAY 2023
Paulita Pappel wird am 21. Oktober 2023 auch auf dem Female Future Force Day auf dem Panel „Let’s talk about Sex, Baby!“ sprechen – auf der Gesellschaftsbühne. Ihr habt noch kein Ticket? – Schnell, sichert euch noch eines und seid dabei in der Arena Berlin!
„Pornopositiv “ von Paulita Pappel
– Ullstein Buchverlage –
»Worauf hast du heute Lust? Worauf nicht?« Diese Fragen wurden Paulita Pappel zum ersten Mal an einem Pornoset gestellt. Dank ihrer Arbeit nackt vor der Kamera hat sie gelernt, ihren Körper zu lieben. Als Regisseurin und Intimitätskoordinatorin schafft sie Räume, in denen Menschen offen miteinander reden, wo gegenseitiges Einvernehmen etabliert und Grenzen ausgehandelt werden. Das alles hat ihr Privatleben bereichert, und sie ist überzeugt, dass viele andere Menschen von diesem Wissen profitieren können.
Paulita Pappel versteht Pornografie als Werkzeug der Emanzipation, als sicheren Ort der sexuellen Selbstentdeckung. Wenn der Porno nicht länger an den Rand der Gesellschaft gedrängt würde – in die Schmuddelecke –, wäre ein Kulturwandel möglich, mit dem wir Platz für Vielfalt, für Unterschiede und für Gleichheit schaffen könnten. In ihrem Buch zeigt Paulita Pappel, wie wir uns so von verinnerlichten Ängsten und Scham befreien und eine selbstbestimmte Sexualität leben können.
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