Sarah Waterfeld hat ihren ersten Roman geschrieben. „Sex mit Gysi” heißt das literarische Debüt, das sich den Machenschaften im Politbetrieb widmet.
„Wir brauchen mehr Mut”
Ronen studiert Medienwissenschaften, im 16. Semester. Weil er auf den großen Mediencoup hofft, heuert er in der Bar des ARD-Hauptstadtstudios an. Und dort bekommt er dann die Story zu hören, die ihn vielleicht endlich in den Himmel des investigativen Journalismus katapultieren wird. Und zwar von Gregor Gysi. Über Sex. Oder vielmehr: Über eine Orgie. Diese und weitere Verwicklungen innerhalb des Politbetriebes versucht er schießlich mit Hilfe seines Hacker-Freundes Mo aufzuklären. Und bald merken sie, der Sumpf des deutschen Parlamentbetriebs ist tiefer als gedacht.
Das ist der Plot des Romandebüts von Sarah Waterfeld, die selbst als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Linke im Bundestag gearbeitet hat. Was Wahres dran ist, was ihr während dieser Zeit im Politikbetrieb so richtig aufstieß und warum Frauen in der Politik endlich mal mutiger sein sollten, hat sie uns erzählt.
Du hast als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag gearbeitet. Wie viel Realität steckt im Buch?
„Na, es steckt nur Wahrheit drin. Oder es kommt drauf an, was man unter Wahrheit versteht (lächelt). Meine Arbeit dort habe ich eher durch einen Zufall bekommen. Ich habe nach dem Ende meines Studiums ein halbes Jahr als Grundschullehrerin gearbeitet und dann mit ein paar anderen Wissenschaftlern ein Promotionsprojekt beantragt. Bis das durch war, hieß es erst einmal sechs Monate warten und ich habe mich entschlossen, diese auf Hartz IV und mit mehr Zeit für meine Kinder zu verbringen, und nebenher als Rezensionsjournalistin bei der Zeitschrift Argument zu arbeiten. Dort habe ich für einen Artikel einen Abgeordneten der Linken getroffen, der mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag zu arbeiten. Und ich sagte mir, warum nicht? Sobald das Promotionsprojekt genehmigt ist, kann ich ja wieder kündigen. Ich hatte nichts zu verlieren. Aber nach gerade mal zwei Wochen dachte ich mir, das kann ja wohl nicht wahr sein! Das ist unser Bundestag? So funktioniert deutsche Realpolitik? Da ich ganz gerne stänkere, habe ich mir überlegt, was sich da denn machen lässt. So hat das alles angefangen.”
Und wie viel Sarah Waterfeld findet sich in Ronen wieder?
„In Ronen? Gar nichts, ich habe überhaupt keine journalistischen Ambitionen. Eigentlich wollte ich immer nur in die Wissenschaft und habe verschiedene Promotionsstipendien beantragt, doch diese aus unterschiedlichen Gründen nicht bekommen. Dann stand zur Diskussion, eine halbe Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Uni anzunehmen und nebenher zu promovieren. Aber das wollte ich einfach nicht. Ich habe das zehn Jahre gemacht. Und ich wollte nicht wieder quasi voll arbeiten, ein halbes Gehalt bekommen, mich nebenher um meine Kinder kümmern und dann nachts oder am Wochenende meine Dissertation schreiben. Die Stelle im Bundestag habe ich aus persönlichem Interesse angenommen. Ich bin antikapitalistisch erzogen worden und bin es auch immer noch. Aber so wie die Linke das macht, so kann es nicht funktionieren. So gar nicht. Mal abgesehen davon, dass der ganze Parlamentarismus so nicht funktionieren kann.”
Mit „so“ meinst du was genau?
„Damit meine ich, dass die Entscheidungen nicht im Bundestag getroffen werden, dass das alles Fake-Debatten sind. In meinen ersten Ausschusssitzungen wurden beispielsweise nur noch die Titel der zu besprechenden Themen runtergerattert. Und was dann kommt, hat mehr etwas von einer Auktion, weil sowieso schon vorher klar ist: Die Koalition stimmt dafür, die Opposition dagegen oder enthält sich, wenn man auf zukünftige Koalitionen in irgendwelchen Landtagen spekuliert. Aber im Grunde muss man gar nicht da sein. So geht das einfach nicht. Als ich mir dann klar machte, welchen Menschen wir für welche Aufgaben vertrauen schenken, reifte mein Plan allmählich heran.”
Wie lange hast du dann konkret an dem Buch geschrieben?
„Ich habe das Buch in sechs Wochen heruntergeschrieben. Und ich schreibe auch schon am zweiten Teil, der im Kopf bereits fertig ist, auf dem Papier aber noch nicht ganz.”
Klingt nicht gerade nach Themenfindungsproblemen und Schreibblockade.
„Nein, das war kein Problem. Ich hatte natürlich den Anspruch, dass die Politiker in einer linken Fraktion auch gewisse moralische Ansprüche haben. Doch davon musste ich mich verabschieden. Ich will das jetzt auch nicht verallgemeinern, denn ich habe in dieser Zeit auch tolle Menschen getroffen. Aber was mich besonders frustriert hat, ist, dass die Menschen, die wirklich was zu sagen haben und denen ich wirklich viel zutraue, in Abhängigkeitsverhältnissen zu ihren Arbeitgebern stehen. Weil sie im Grunde prekär beschäftigt sind, denn der Job gilt immer nur vier Jahre und sie wissen nicht, was danach kommt und wer sie noch nimmt, wenn sie länger für bestimmte Leute gearbeitet haben. Alle haben Angst und niemand traut sich was. Das ist doch das Grundproblem. Gerade auch von Frauen. Man sitzt mit den Ladys zusammen und jede kotzt sich über den Chef aus und wie sie wieder sexuell belästigt worden ist von diesem dämlichen Kollegen. Und dann fallen so Sätze wie: ,Wenn ich den anzeigen würde.’ Und: ,Feuern dürfte er mich ja dann auch nicht’. Aber sie machen es nicht. Und genau deshalb ist eine meiner Botschaften: Frauen, macht die Klappe auf, ihr müsst mutig sein, sonst wird sich nie etwas ändern! Und das erlebe ich nicht nur in Bezug auf Sexismen oder Feminismus, sondern auf diverse gesellschaftliche Umstände. Dass Frauen, aber auch viele Männer, einfach nur dasitzen und darüber reden, was alles anders sein müsste. Aber es passiert nichts. Doch wer macht denn etwas, wenn nicht wir?”
Um etwas zu ändern hast du im Jahr 2012 für Linke kandidiert und dich für eine weibliche Doppelspitze eingesetzt.
„Ja, aber es war ja klar, dass ich nicht gewählt werde. Doch das ist genau mein Punkt. Wochenlang war in den Medien zu lesen, dass keine Frau sich traut, zu kandidieren und Katja Kipping es nicht machen will, und die macht es auch nicht und die sowieso nicht. Da dachte ich, das kann doch nicht wahr sein! Und habe einfach mal nachgefragt, weil ich mich in den Parteistrukturen gar nicht auskannte, wer denn eigentlich dafür kandidieren kann. Die Antwort war: Jeder, auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter. Aber da müsse man erst mal eine Hausmacht herstellen, sonst macht das keinen Sinn. Und ich fragte: Was denn für eine Hausmacht? Wenn ich kandidieren will, kandidiere ich, ganz egal, ob ich es dann wirklich werde. Es geht doch um ein Signal nach außen! Daraufhin haben die mich angeschaut, als sei ich wahnsinnig. Und da wollte ich es ihnen erst recht zeigen. Mir wurde dann immer wieder gesagt: Mach das bloß nicht, du kannst nicht mehr auf die Straße, deine Kinder! Das Internet vergisst nicht und wenn da was schiefgeht, dann ist dein Leben vorbei. Also bitte, diese Angst! Wir werden von Angst regiert.”
Das einzige was helfen kann, am Politikbetrieb generell, aber auch als Männerdomäne etwas zu ändern heißt also…
„Courage! Mut! Und zwar zur Not auch vor Gericht und nicht nur im Frauenkreis beim Topmodel-Gucken. Man muss mit seinen Anliegen an die Öffentlichkeit, und das immer und immer wieder, ohne aufzugeben.”
Sarah Waterfeld, Sex mit Gysi, erscheint am 8. Juni 2015, Eulenspiel Verlag, 19.99 Euro.
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