Als Mitarbeiterin an den älteren Kollegen vorbei zur Teamleiterin befördert – Kerstin Andresen zeigt, wie das gehen kann, ohne auf der Strecke zu bleiben.
Die gläserne Decke
Eine Beförderung klingt zunächst nach etwas, über das man sich freuen kann. Doch nicht immer läuft der Prozess reibungslos. Machtspiele, widersprüchliche Signale, ein Team, in dem es Probleme gibt. Meine Klientin Anja T., 33 Jahre alt, wollte genau das vermeiden und hat sich bereits vor Antritt der neuen Position dazu entschlossen, sich Unterstützung durch ein Coaching zu holen. Denn was zunächst nach einem erfolgreichen, durch viel Engagement und Einsatz erreichten und naheliegenden Karriereschritt für sie aussah, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als chaotischer Kriegsschauplatz.
Diese vielen kleinen Dinge sind das, was die sogenannte „gläserne Decke“ ausmacht, die Frauen vom beruflichen Aufstieg abhält. Zusammen mit Anja habe ich die Situation analysiert und mir ihr Lösungsansätze erarbeitet.
Der Vorgänger ließ vieles schleifen
Zurück auf Start: Anja T. ist Mitarbeiterin in einem internationalen Konzern. Das Team, in dem sie seit Jahren arbeitet, besteht aus sechs Mitgliedern. Ihr Chef ist ein absoluter Experte in seinem Fachgebiet, hat aber weniger Expertise in Personalführung und hat über die Jahre vieles schleifen lassen. Als auf Managementebene ein Wechsel stattfindet, soll auch ihr Vorgesetzter seinen Posten räumen, aber dem Team weiterhin als Mitglied sein Fachwissen zur Verfügung stellen. Anja T. kommt ins Gespräch als neue Teamleiterin, wird aber sowohl vom Management als auch ihrem bisherigen Chef über Wochen im Unklaren gehalten, ob die Entscheidung für sie oder gegen sie gefallen ist.
Meine Klientin erklärt sich das mit den in Großunternehmen üblichen Verzögerungen – „die Mühlen malen eben langsam bei uns“ – verdrängt ihre aufkommenden Unsicherheiten. Dass sie Teil eines Art Machtspiels ist, begreift sie zunächst nicht, fängt aber nach einiger Zeit an zu ahnen, dass es um andere Dinge geht, als ihre fachliche und persönliche Kompetenz.
Aussteigen oder weitermachen?
Als sie bereits überlegt, ob sie aussteigen und sich selbständig machen soll, ruft sie mich an. Der erste Schritt in unserer Arbeit ist, den Ist-Zustand zu sortieren, alle Bedenken, Unsicherheiten und Gefühle auf den Tisch zu packen. Schnell wird klar, dass sie von ihrem jetzigen Chef keine Unterstützung erwarten kann, obwohl sie das zunächst dachte. Das restliche Team, das große Sympathien für Anja T. hegt, ist eher damit beschäftigt, sich untereinander zu zerreiben und weit davon entfernt, zielgerichtet und produktiv zu arbeiten. Geschweige denn, ihr den Rücken frei zu halten, wenn sie in ihrer neuen Rolle Zahlen und Fakten gegenüber dem Management vertreten soll. Würde sie so die Rolle übernehmen, müsste sie an zu vielen verschiedenen Schauplätzen kämpfen. Ihr wird klar, lange würde sie das gesundheitlich nicht aushalten. Doch statt die Koffer zu packen, stellt sie sich der Herausforderung und beantwortet für sich folgende Fragen:
- Was kann ich besser als mein Chef trotz seiner fachlichen Expertise?
- Was liegt im Team im Argen? Was würde ich positiv verändern?
- Was braucht das Team, um gut aufgestellt zu sein (personelle Ressourcen, zeitliche Kapazitäten, fachlichen Input)?
- Was brauche ich, um das leisten zu können?
- Wo kann ich mich noch verbessern?
- Welche Bedingungen müssen für mich erfüllt sein, damit ich das Team erfolgreich führen kann?
- Wer kann mich dabei unterstützen (welche Verbündeten habe ich oder kann für mich gewinnen)?
- Wie kann ich mich schützen?
Von der fleißigen Biene zur Feldherrin
Die Lösungen liegen dann quasi schon auf der Hand. Dem Management gegenüber wird nur noch über Erfolge berichtet. Gibt es ein Problem, wird das thematisiert, aber immer verknüpft mit Lösungsvorschlägen. Das zusätzliche Teammitglied, das sie anfordert, um die durch ihre Beförderung entstandenen Lücke zu füllen, bekommt sie – weil sie gute Argumente hat.
Mit Teilen der anderen Teamleitungen auf ihrer Ebene hat sie sich verbündet und tauscht sich regelmäßig aus. Ihren internen Mentor sieht sie wieder regelmäßiger und fragt ihn aktiv nach Unterstützung.
Spiele mit der Macht und hab Spaß dabei
Mir selbst hat vor Jahren das Buch „Spiele mit der Macht“ von Marion Knaths die Augen geöffnet. Und plötzlich musste ich unglaublich lachen über all die Situationen, in denen ich als einzige Frau das Protokoll geschrieben, den Kaffee besorgt habe, mir Kollegen Ideen geklaut haben oder meine beiden Chefs mich in wichtige Entscheidungen nicht mit einbezogen hatten. Ich hing unter der gläsernen Decke fest. Aus heutiger Perspektive bin ich dankbar für alle diese Erfahrungen, so kann ich mit einem Augenzwinkern anderen Mut machen und weiß definitiv, dass es nur besser werden kann, wenn wir es denn ausprobieren. So wie Anja T. Sie ist mittlerweile seit zwei Monaten Teamleiterin und weiß, dass sie sich auf einen Weg begeben hat, auf dem ihr nicht unbedingt Blumen geschenkt werden, aber dafür viele lehrreiche Erfahrungen.
Es gibt in solchen Situationen keine Patentlösungen, aber einige Anregungen:
1. Holt euch Hilfe. Jetzt. Wenn euch die Gespräche mit Freunden und Familie nicht mehr weiterbringen, dann kann professionelle Unterstützung von außen sehr sinnvoll sein.
2. Das eigene Verhalten reflektieren: Welche Bedenken habe ich? Welche Gedanken schießen mir durch den Kopf dabei? Wir neigen oft dazu, Gedanken, die uns das Unterbewusstsein sendet, durch rationale Argumente zu verdrängen. Wir reden uns die Sache schön. Oder drehen uns monatelang im Kreis. Gerade die Anregungen des Unterbewusstseins sind es aber, die uns neue Lösungen aufzeigen, wenn wir die Gedankenspirale durchbrechen.
3. Im nächsten Schritt eine Taktik überlegen. Gerade das fällt besonders Frauen schwer. Wir wollen lieber gefühlsbetont handeln, uns nicht taktisch verhalten, das lehnen wir als unmoralisch ab. Dabei ist eine Taktik sehr hilfreich, uns zu schützen, weniger in Fettnäpfchen zu treten und ohne große Blessuren am Zielpunkt anzukommen. Als erfolgreiche Frau braucht ihr Verbündete, Menschen, die euch den Rücken frei halten, wenn ihr vorn kämpft.
4. Berichtet über eure Erfolge. Widerholt sie so lange, bis alle sie verstanden und verinnerlicht haben, auch ihr selbst.
5. Und dann einfach machen. Losgehen, ausprobieren, Spaß haben dabei und aus Fehlern lernen dürfen.