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Bessere Texte für Onlinemedien: So geht’s

Texte für Onlinemedien zu schreiben, die ankommen, kannst du üben. Ricarda Kiel stellt ihre Technik vor.

 

Ein Gedanken-experiment

Stelle dir vor, dass alles, was du jemals an einem Computer geschrieben und veröffentlicht hast (alle E-Mails, Produkt-, Unternehmens-, Selbstbeschreibungen, Status-Updates, Tweets, Blog-Artikel, Bewerbungen, Website-Varianten…), wäre in einem dicken gedruckten Buch gesammelt. Schön gestaltet auf matten Seiten und mit einem kleinen farbigen Bändchen als Lesezeichen. Würdest du deinen Namen auf diesem Buch stehen haben wollen? Würdest du das Buch lesen wollen? Würdest du dieses Buch irgendwann deinen Kindern vererben wollen?

Das Internet ist hungrig und wir füttern es. Wir plappern so oft. In Mails und Artikeln, auf fremden und eigenen Websites. Schreiben und veröffentlichen geht so leicht, und so schnell, oder es wird erwartet und muss so schnell gehen, dass man selten innehält vor dem Veröffentlichen. Dann publizieren wir Dinge, die es nicht wert wären, ausgedruckt zu werden, geschweige denn gebunden und gestaltet auf gutem Papier. Es macht meistens auch gar nichts: Wir veröffentlichen und andere liken und verlinken und das fühlt sich ganz gut an und schon sitzen wir am nächsten Text.

Aber: Wörter haben Kraft. In diesen Textfluten verlieren wir manchmal den Glauben an die Kraft von Wörtern. Dabei sind Wörter immer noch der Grundklebstoff unserer Kommunikation. Auf jeder Website, in jeder App, per E-Mail oder Videobotschaft. Menschen funktionieren über Sprache. Und diese Sprache und ihre Wirkung? Können wir bewusst wählen. E-Mails können Freude und Klarheit in die Welt bringen. Kurznachrichten können zärtlich sein. Blog-Artikel können ihre Leser erhellen und mit Schwung füllen. Produktbeschreibungen können ein Lächeln verursachen. über-Mich-Texte können vor Liebe überlaufen. Die Wörter, die uns selber wirklich berühren, berühren auch die anderen. Und sind es damit wert, auf gutem Papier geschrieben zu werden. Wir sollten das Internet als Medium genauso behandeln.

Diese Haltung wende ich für alle Texte an, die ich für Onlinemedien schreibe: Ich veröffentliche oder verschicke nur, was ich auch auf gutem Paper ausdrucken würde. Also nur die Worte, die die Welt klarer oder liebevoller machen.

Sich einen Stolperstein bauen

Weil aber der Alltag voll und schnell ist, weil ich Seiten zu füllen und Mails zu beantworten und Konzepte zu entwickeln und Anleitungen zu schreiben habe, brauche ich eine Erinnerung an meine Bedingung. Meine Erinnerung ist eine Vorlage, die ich mir selber vor dem Schreiben ausfülle.

Diese Vorlage besteht aus einfachen Fragen. Sie zwingt mich dazu, durchzuatmen und mir bewusst zu machen, warum und wie ich diesen Text schreiben will. Was ich damit der Welt geben will. Das fühlt sich an wie dieser Moment, wenn du merkst, dass dein Kiefer angespannt ist und du ihn bewusst entspannst. Also wie: Luft und Platz machen für deine eigentliche Absicht.

Schreibvorlage zum Selbermachen

Wenn dir die Idee gefällt, eine Schreibvorlage zum Innehalten zu verwenden, kannst du sie dir selber schreiben. Die muss überhaupt nicht kompliziert sein.

Hier ist mein Vorschlag:

Arbeitstitel / Thema: Den eigentlichen Titel oder Betreff schreibe ich am Ende, das ist meist einfacher. Hier suchst du nach der „langweiligsten“ und eindeutigsten Beschreibung deines Themas. Feuilleton-überschriften funktionieren im Netz nicht gut.
 

Eine kleine Notiz an deinen Leser: „Ich hoffe, dass dieser Text dir hilft, [XY zu tun / dich so und so zu fühlen / zu erkennen, dass …]. Vor allem wünsche ich dir, dass du dich an folgende Worte erinnerst: [die eine große Grundidee deines Textes].“

Was braucht dein Leser dafür von dir? Hier kannst du den konkreten Inhalt skizzieren.

So sah das für diesen Text hier aus:

Anregung für bewussteres + klareres Schreiben im Internet
 

Ich hoffe, dass dieser Artikel dich dazu anregt, kurz innezuhalten bevor du deinen nächsten Text schreibst, um zu spüren, was du eigentlich geben möchtest. Das soll sich anfühlen wie dieser Moment, wenn du merkst, dass dein Kiefer angespannt ist und du ihn bewusst entspannst. Ich wünsche dir, dass diese Frage in deinem Kopf hängen bleibt: Wie würde ich diesen Text auf gutem Papier schreiben?
 

Gedankenexperiment gedrucktes Buch – Ist-Beschreibung Plappernetz –  Die Kraft von Wörtern – Umsetzung + Erinnerungen im Alltag

Dieses Schema kannst du mit den Punkten ergänzen, die dir wichtig sind oder die du für dein Format brauchst, zum Beispiel eine Betreffzeile oder ein Teaser-Text. Und dann kannst du es verwenden. Vielleicht probierst du es mal einen Monat lang für jeden Text, den du schreibst, aus.  Dann erkennst du bald, ob dir das hilft, bewusster und klarer der Welt mitzuteilen, was du zu sagen hast.

Die Regelmäßigkeit ist wichtig, denn jeder Text und jeder Moment ist anders, und Erinnerung an Zweck und Ziel und gutes Papier ist immer hilfreich.

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