Politisches Engagement ist kein Zuckerschlecken. Es ist sogar ungeheuer zeitraubend, anstrengend und unwahrscheinlich frustrierend. Dennoch können wir das Feld nicht anderen überlassen.
Diesen Beitrag habe ich in einer etwas kürzeren Version am Abend des 8. März verfasst und auf meinem Instagramprofil veröffentlicht, nachdem ich am Abend zuvor von einem Mann gefragt wurde, ob ich keine Angst hätte, am Weltfrauentag alleine da zu stehen mit meinen Forderungen. Seit einiger Zeit führe ich auch immer wieder Diskussionen darüber, ob der neue Berliner Feiertag nicht lächerlich sei, ob die Sache mit dem Feminismus nicht nur ein Modetrend und übertrieben sei und ob die Themen rund um die Geburtshilfe, für die ich mich beruflich und ehrenamtlich engagiere, nicht auch nur wieder so eine Sache von frustrierten, überprivilegierten und verwöhnten Hausfrauen sei. Daraus entstand der folgende Text:
Wie alles begann
Es ist ziemlich genau 20 Jahre her, dass ich begann, mich für Politik zu interessieren und zu engagieren.
1999 war ich 15 Jahre alt. Ich rebellierte gegen mein Elternhaus und gegen das Schulsystem, rauchte wie ein Schlot, begann meine Sexualität zu erforschen, färbte mir die Haare mit Henna, fand Nazis kacke und malte mir Anarchiezeichen auf die Hände.
In diesem Jahr zog die BRD unter der Regierung Schröder und mit dem grünen Außenminister Joschka Fischer zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg, nach gerade einmal 54 Jahren „Frieden“, wieder in einen Angriffskrieg gegen den Kosovo.
By the way: Gerade einmal zwei Jahre zuvor 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt.
Ich komme aus einer Familie ohne jeglichen akademischen Hintergrund: Meine Eltern arbeiteten beide in der Pflege, meine Großeltern bewirtschafteten einen kleinen Bauernhof, arbeiteten nebenbei u.a. im Steinbruch und als Hausfrauen.
Meine Geschwister und ich sind und blieben die ersten, die einen akademischen Weg einschlugen, der durchaus mit vielen Hindernissen gespickt war.
Ich denke, dass ich vielleicht gerade deshalb nie unpolitisch erzogen wurde. Meine Eltern arbeiteten beide nach den Geburten ihrer Kinder wieder in Vollzeit, beide kümmerten sich gleichberechtigt um die Kinder und sie versuchten uns trotz finanzieller Engpässe und eigener Unkenntnis, möglichst alle Chancen zu bieten.
Ungerechtigkeit, Rassismus und Gleichberechtigung waren daher auch immer irgendwie Themen.
Mit 15 schloss ich mich dann gemeinsam mit meinen Freund*innen einer linken politischen Jugendorganisation an. Wir gingen auf die Straße, lasen marxistische Texte, fühlten uns intellektuell, begingen feierlich und mit Respekt ehrwürdige Arbeiterfeiertage, wie den 8. März und selbstverständlich den 1. Mai, wehrten uns gegen Faschismus, Rassismus und jegliche Form der Unterdrückung einschließlich patriachaler Strukturen.
Wie war das mit dem Feminismus?
Feminismus gehörte für uns selbstverständlich dazu, blieb aber immer ein Nebenwiderspruch. Denn wenn erst einmal dank Weltrevolution das große Ganze gelöst wäre, wird sich der Rest von selbst ergeben und FeministEN waren wir ja eh schon. Außerdem hatten unsere männlichen Vertreter irgendwie immer mehr zu sagen und alle Forderungen nach gendergerechter Sprache und Quote erschien uns zu diesem Zeitpunkt lächerlich.
Bei diesen Thesen blieb ich relativ lange. Ich setzte mich gegen Faschismus ein, kümmerte mich um jugendpolitische Themen, ging auf die Straße gegen Hartz V, Polizeigewalt und Nazis, feierte auf dem Myfest, blieb zumindest irgendwie politisch aktiv, auch wenn ich die vielen verschiedenen linken Forderungen, die Streitereien, ob nun „Vokü“ („Volksküche“) oder „Küfa“ („Küche für alle“) angeboten wurde spätestens in Berlin eher zermürbend und desillusionierend empfand.
Die Ära Merkel begann
Mit der ersten Frau als Kanzlerin, Angela Merkel, und einer gefühlt zunehmenden Entpolitisierung in der Gesellschaft begann ich mich dann aber sehr klein und unwichtig zu fühlen.
Es gab staatstragende (Banken)Krisen, die zwar wie vorhergesehen bewiesen, dass das System so nicht funktionierte, aber sie führten eigentlich nicht zu irgendeiner großartigen systemischen Veränderung. Und wenn jetzt schon nichts passierte, warum sollte ich also an meinem Idealismus festhalten, der doch eh nur ein Überbleibsel aus meiner Jugend war…
Ich hatte das Gefühl, dass sich sowieso nie etwas bewegen würde und “wir” sowieso in der Unterzahl wären. Ich begann damit, mich zurückzuziehen, meine eigene kleine Welt nach meinen Vorstellungen zu gestalten und das Weltgeschehen zum größten Teil auszublenden. Das Politische wurde privat und dort durfte es auch ausgestaltet werden.
Das funktionierte erstaunlich gut.
Nicht nur private Veränderungen
Dann wurde ich 2014 zum ersten Mal Mutter und damit ziemlich brutal mit den realen Auswüchsen der Benachteiligung von Frauen konfrontiert. Auf einmal gab es qua Einkommen keine Gleichberechtigung mehr zuhause. Ich erlebte, wie es sich anfühlte, im Job zurückstecken zu müssen, welche Einschränkungen es mit sich brachte, welche Baustellen und Hindernisse Frauen mit Kindern zu erwarten hatten angefangen von einer desaströsen Geburtshilfe, über Einkommenseinbußen bis hin zu Diskriminierung aufgrund von Stillen in der Öffentlichkeit.
Gleichzeitig kamen immer mehr Flüchtlinge in die Festung Europa und Pegida und die AFD erstarkten. Die Fronten wurden sichtbarer und klarer. Denn es gab da eben eine andere Seite, die in den letzten Jahren groß, wütend und sichtbar geworden war.
Einfach nur Angst davor zu haben, wie es weitergehen wird, ist ein schlechter Motor.
In mir begann etwas zu rumoren. Mein Plan mit meiner kleinen, feinen, privaten Welt schien nicht aufzugehen.
Das schien nämlich nur dazu zu führen, dass alles andere vor die Hunde ging, weil eben andere lauter sind und wir noch lange nicht so weit sind, dass wir gleichberechtigt leben können.
Bis dahin leiden nämlich reale Menschen und auch meinen Kindern habe ich langfristig keinen Gefallen damit getan.
Die Krise der Linken
Linke Politik tat sich schon immer schwer damit, ihre Forderungen durchzusetzen. Es ist per se immer leichter, eine Welt um jeden Preis bewahren zu wollen, wie das die Konservativen machen, oder auf Kosten der Menschen dem Ruf des Geldes zu folgen, wie wir es in neoliberalistischen Zeiten kennenlernen durften, denn dabei können wir sehr gut abschätzen, was passieren wird.
Utopien und Ideen zu entwickeln, diese glaubhaft zu vertreten, Unterstützer*innen dafür zu finden und sie auch noch umzusetzen, ist viel, viel schwieriger, denn es braucht so viel mehr.
Wir brauchen uns momentan aber nur umzugucken, um zu sehen, dass diese Welt, in der wir gerade leben, überhaupt nicht so gut funktioniert, wie sich viele von uns das vorstellen:
Wir leben auf Kosten anderer Länder und anderer Menschen innerhalb und außerhalb Deutschlands. Die Schere zwischen armen und reichen Menschen geht weit auseinander und es kann sehr schnell passieren, dass wir selbst auf einmal ohne unsere Privilegien, ohne alles da stehen, in die Maschinerie von Hartz V kommen, dass wir keinen bezahlbaren Wohnraum finden, dass wir plötzlich alleinerziehend sind, dass wir aufgrund von mangelnden Ressourcen (und das müssen nicht die eigenen sein) Gewalt oder Traumatisierung erfahren, z.B. in der Geburtshilfe.
Das Ziel
Das sind aber konkrete Missstände, für die es konkrete Lösungen gibt.
Sicher sind auch sie wieder Nebenwidersprüche, aber sie sind lösbar und sie würden, behaupte ich, überhaupt nicht existieren, wenn wir gleichberechtigt leben könnten.
Und das wiederum ist doch eine Forderung, die gar nicht so utopisch ist. Sie kann gar nicht anders lauten, denn “frauenpolitische” Themen, wie z.B. Sicherheit und Gesundheit für Mutter und Kind in Schwangerschaft, unter der Geburt und im ersten Lebensjahr gehen auch Männer an. Und auch gleicher Lohn für gleiche Arbeit und sexuelle Selbstbestimmung sind ja nun keine irrwitzigen Phantasmen, sondern einfach nur logisch und konsequent. Wir alle können nur gewinnen.
Und damit sollten wir doch mehr sein.
Die Ideen und die Möglichkeiten, sie umzusetzen, müssen aber erst einmal enstehen und es muss Menschen geben, die sich für sie einsetzen, die Ideen überhaupt erst einmal entwickeln, die zusammenhalten, die zeigen, dass sie mehr sind, dass sie ein politisches Leben führen. Sich zusammenschließen, “Banden bilden” hilft dabei einfach. Wie sonst, sollen wir eine starke Lobby abbilden, die unsere Interessen – vielleicht nicht die kleinen, feinen, aber die großen, bedeutsamen – vertritt und unsere Rechte nach Gleichberechtigung erkämpft.
Ich möchte, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen, in der sie zumindest das Gefühl haben, dass ihre Eltern alles dafür gegeben haben, dass sie gleichberechtigt, frei und ohne Hass leben können. Sie müssen nicht reich sein in Bezug auf Materielles. Aber ich wünsche ihnen, dass sie an allem anderen reich sind, dass sie gut versorgt sind, dass sie psychisch stabil bleiben dürfen, dass sie keinerlei Wertigkeit aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft erfahren oder andere danach beurteilen und dass sie frei in ihren Lebensentscheidungen sind.
Und ich setze mich dafür ein, dass sie eines Tages wiederum ihren Kindern einen bestmöglichen Start ins Leben ermöglichen können, denn dazu zählt für mich eine gute Geburtshilfe genauso wie sexuelle Selbstbestimmung und faire Bezahlung.
Und deshalb gehe ich am 8. März in diesem und in den nächsten Jahren auf der Straße, deshalb habe ich gestreikt und werde es so lange tun, bis etwas passiert, deshalb engagiere ich mich ehrenamtlich bei Mother Hood e.V. und deshalb werde ich nicht stillhalten auch nicht als Therapeutin.
Ohne Feminismus, ohne Gleichberechtigung und ohne soziales Engagement kommen wir nicht weiter. Spätestens jetzt ist aber die Zeit, etwas zu ändern und unsere Welt mitzugestalten, auch wenn der Weg uns ein klein wenig abverlangt, damit nicht andere es für uns und im Zweifel auf unsere Kosten tun (weil`s immer schon so war).