Wie Weibchen sein sollen, wollen uns jetzt Wolford und Ellen von Unwerth weismachen.
Unter dem Motto #truecharacter will Wolford dafür werben, dass es Frauen unterstützt — in allen Lebenslagen! Die da wären: Sich in Highheels und sexy Unterwäsche auf puffigen Hotelbetten das Haar zu schütteln und die Freundin mit Telefonkabeln zu fesseln. Wenn das Leben doch nur so einfach wäre, wie die Modefotografin Ellen von Unwerth uns das vorgaukeln möchte …
Zwei blutjunge Mädchen balgen sich auf dem Kingsize-Bett eines Billigkitsch-Hotels. Außer grellem Make-up und bunten Pelzjäckchen tragen die beiden Grazien nur BHs und sexy Netzstrumpfhosen — aus dem Hause Wolford. Nun ja, die obligatorischen Highheels mit Pfennigabsatz gehören ebenfalls zum Look des wahrgewordenen Männertraums. Unter dem Hashtag #truecharacter wird uns das vermeintlich pure und pralle Leben als Frau präsentiert.
Ach, Wolford, muss das sein? Das österreichische Strumpfhosen- und Dessous-Label hat für seine neue Werbekampagne Frühjahr/Sommer 2019 die Starfotografin Ellen von Unwerth angeheuert, die ihrem Stil seit Ende der 80er Jahre erschreckend treu geblieben ist. Angefangen mit Claudia Schiffer, die sie 1989 megasexy à la Brigitte Bardot am Hafen von Saint Tropez fotografierte bis zum Bildband „Heimat“, den von Unwerth 2015 veröffentlichte und Bilder zeigt, die verzweifelt an das 70er-Jahre Erotikfilmchen Beim Jodeln juckt die Lederhose erinnern, natürlich in farbenfroher Reloaded-Version.
Was ist eigentlich sexy?
Die unzähligen Promi-Fotos und Kampagnen für renommierte Modelabels der vergangenen 30 Jahre machen’s nicht besser und erzählen wieder und wieder die gleiche Geschichte, die — Verzeihung — Helmut Newton (von Unwerths erklärtes Vorbild) schon zu Lebzeiten komplett auserzählt hat: Die Mär vom ewig lasziven Weib, das sich offensichtlich nur mit hochgeschnallten Brüsten und knappen Dessous, gern auch in Handschellen kommod fühlt. Egal, ob am Kronleuchter hängend, bei Sado-Maso-Spielchen im Treppenhaus oder ganz profan beim Kartoffelschälen: Die ewige Lolita mit rot übermalten, stets weit geöffneten Lippen, durchgedrücktem Kreuz und naivem Blick wird immer wieder aus der Was-war-nochmal-sexy-Mottenkiste geholt.
Dass der aktuelle Zeitgeist mit MeToo-, Gender Pay Gap- und Diversity-Debatte usw. gerade in eine ganz andere, längst überfällige Richtung deutet … geschenkt! Aber uns Frauen immer wieder in Form von vermeintlich harmlosen Modefotografien zu suggerieren, dass wir als devotes, dusseliges Naivchen durch einen stressigen Alltag mit Job, Haushalt und Kindererziehung stöckeln sollen, nervt extrem. Noch dazu, wenn diese Art von Inspiration ausgerechnet von einer Frau kommt — und das seit, sorry für die Wiederholung, nunmehr DREI DEKADEN.
Die ewige laszive Lolita langweilt
Peinliche Prüderie einer in die Jahre gekommenen Autorin? Nö. Eher schwer gelangweilt. Halbnackte Frauen, die sich am Boden räkeln, hat Deborah Turbeville schon in den 70er Jahren gezeigt. Sie wirken allerdings absolut selbstbestimmt und sollten zeigen — so Turbevilles Absicht — dass Frauen Wünsche an ihr Leben haben, die nichts mit Männern und deren Fantasien zu tun haben; was funktioniert. Auch Arthur Elgort oder Peter Lindbergh waren bzw. sind in der Lage,
ihre Models am Strand „oben ohne“ abzulichten, ohne sie würdelos erscheinen zu lassen. Hier wirken die nackten Brüste absolut natürlich und total normal — was sie übrigens auch sind. Ganz ohne Silikon oder Pushup-BH. Ebenso fährt ein Jürgen Teller, der Filmstars wie Charlotte Rampling oder Modedesignerin Vivienne Westwood zum Teil komplett nackt in Szene setzte, niemals die billige Sexy-Hexy-Schiene, wenn er Erotik, Nacktheit oder Freizügigkeit darstellt. Und das tut er mit Vorliebe und recht provokant — aber eben mit Humor und Ehrlichkeit.
Apropos Hashtag und Ehrlichkeit! Wolford, das im ersten Quartal 2018 einen Umsatzrückgang von 14% beklagen musste und erst im Mai seine Mehrheit an die chinesische Gruppe Fosun verkauft hat, steht natürlich unter Druck. Die Idee, uns Frauen mit einer neuen Kampagne zu zeigen, dass „Wolford in jeder Lebenslage das Beste aus Frauen herausholt“, ist durchaus nett. Ob zu den Ellen-von-Unwerth-Fotos allerdings #truecharacter passt, sei dahin gestellt. Erlaubt sei aber bittesehr der Hinweis, dass sich Frauen, und womöglich auch die durchschnittliche Wolford-Kundin, meist in anderen Lebenslagen befinden, als gemeinsam in Hotelbetten herumzuturnen und sich gegenseitig an den Haaren zu ziehen.