Dinge wegwerfen und Platz schaffen ist gut für die Seele. Aber wie einigt man sich als Paar darüber, was nicht mehr wichtig ist? Nathalie Weidenfeld berichtet über das Scheitern.
Sich von Ballast befreien
„Wir müssen dringend den Speicher aufräumen“ sage ich zu Heinrich.
„Ach so? Warum denn?“ fragt Heinrich.
„Weil wir vor lauter Müll gar nicht mehr reinkommen können. Darum“, sage ich.
„Wirklich?“ fragt Heinrich.
„Ja. Und außerdem hat Mata Haraki Kondor gesagt, dass der Mensch sich regelmäßig von altem Ballast befreien muss“
„Wer ist Mata Haraki?“ fragt Heinrich.
„Eine japanische Zen-Buddhistin. Sie hat das Buch geschrieben: „Räume dein Haus und lebe unbeschwert im Hier und Jetzt“! Wusstest du, dass die tibetanischen Mönche wochenlang Mandalas aus Sand basteln, die sie dann mit einem Wisch wieder zerstören? So lernen sie, loszulassen.“
„Schön“ sagt Heinrich. „Ich muss jetzt ins Büro. Bis später“
Als Heinrich weg ist, mache ich mich an die Arbeit. Die nächsten vier Stunden verbringe ich damit, altes Zeug aus dem Speicher in Umzugskartons einzupacken. Als Heinrich nach Hause kommt, sieht er erschrocken auf den Hauseingang, in dem zehn volle Umzugskisten stehen.
„Was ist denn das?“ fragt er.
„Ich habe den Speicher aufgeräumt, damit wir unbeschwert im Hier und Jetzt zu leben, ist das nicht großartig?“
Misstrauisch geht Heinrich auf eine Kiste zu und öffnet sie. Er zieht einen verstaubten Anzug aus einem Karton heraus.
„Aber … was macht denn mein edler Smoking hier drin?“
„Dieser Ding stammt aus den 80ern. So was trägt heutzutage kein Mensch mehr.“
„Wetten, dass der in ein paar Jahren wieder total angesagt ist!“, sagt Heinrich und legt den Smoking über seinen Arm. Dann macht er eine neue Kiste auf und fischt einen Stapel vergilbtes Papier hervor.
„DAS wolltest du wegwerfen?“
„Das ist doch nur irgendein Zeug aus deiner Studentenzeit!“, sage ich.
„Das ist eine frühere Seminararbeit von mir! Über Adorno!“
„Na und?“, sage ich, „du magst Adorno doch nicht mal.“
„Aber es ist ein Stück meiner Vergangenheit. Ein Zeugnis meines alten Selbst.“
„Wer das alte Selbst feiert, ist nekrophil, sagt Mata Haraki. Die Vergangenheit ist vergangen! Nur die Gegenwart zählt!“
Fotos von der Ex schmeißt man nicht weg!
Aber Heinrich antwortet mir nicht. Er. öffnet den dritten Karton. Ein Foto einer Frau im Bikini am See fällt heraus.
„Das ist ja Karin!“, sagt er, „Ich weiß noch … das war 1978 … was für ein wunderbarer Sommer Ich hatte lange Haare und habe für sie im Englischen Garten auf meinen Trommeln … sag bloß nicht, dass du die wegwerfen wolltest.“
Heinrich holt ein paar vergammelte Bongotrommeln aus der selben Kiste hervor. In diesem Moment wird mir klar: Wenn wir nicht in der Vergangenheit untergehen wollen, muss ich zur Tat schreiten.
„Es lebe das Hier und Jetzt!“, schreie ich und werfe mich mit pathetischer Geste vor die Kartons. Nepomuk, Heinrichs Perserkatze faucht mich an. Ich fauche zurück. Heinrich wirft sich auf die Kartons, ich versuche, sie ihm zu entreißen. Hunderte von Bikinifotos mit Karin aus dem Sommer ’78 wirbeln durch die Luft. Heinrich beginnt auf den Bongos zu trommeln. Stunden später liegen wir nach einem langen erbitterten Kampf erschöpft auf zerrissenen Umzugskartons. Davon, dass der Weg zur Hier und Jetzt so hart werden würde, hat Mata Haraki nichts gesagt.
Irgendwann werde ich wach. Während Heinrich noch schläft, stehe ich auf und packe mit letzter Kraft alles in blaue Mülltüten und bringe sie nach draußen. Dann breche ich vor der Tür erschöpft zusammen. Im Morgengrauen höre ich schließlich die Müllmänner kommen. Sie holen die Tüten und bringen sie zu ihrem Müllwagen. Das Hier und Jetzt hat gesiegt.
Die Müllmänner-Verschwörung
Plötzlich halten die Müllmänner inne. „Hey, schau mal“, sagt der eine Müllmann zum anderen, „da ist ja ein Smoking aus den 80ern drin.“
Der andere Müllmann kommt dazu: „Wetten, dass der in ein paar Jahren wieder in Mode kommt. Und … was ist das?“
„Wahrscheinlich Fotos von ner Ex-Freundin des Mannes.“
„So etwas kann man doch nicht wegwerfen.“
Der Müllmann schüttelt den Kopf.
„So ist etwas ist ein Stück aus der Vergangenheit. Ein Zeugnis eines alten Selbst.“
„Wetten, der Ehemann weiß nix davon?“
„Hey was is’n los?“, ruft der Fahrer von der Fahrerkabine aus.
„Ach, da versucht mal wieder ne Frau auszumisten.“
Der Fahrer steigt auf und kommt nach hinten Er macht eine Mülltüte auf und holt Heinrichs alte Seminararbeit hervor.
„Adorno? Ein großartiger Denker! Eine Schande ist das. Die Mülltüten bleiben hier!“
Die Müllmänner stellen die Tüten vor uns vor unsere Tür und fahren weg.
„Nein!“, flüstere ich, aber niemand hört mich.
Langsam geht die Sonne über dem Horizont auf. Irgendwo ertönen Fanfaren. Die Erleuchtung war so nah. Es ist einfach nur zum Heulen.
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