Foto: Andrea Sömmer

Olena Semenova: „Schwule und Lesben haben in der Ukraine nicht mal ein Versammlungsrecht.”

In der Ukraine werden Homosexuelle immer noch offen angefeindet. Dagegen formiert sich zum Glück immer mehr Widerstand – auch Dank der Aktivistin Olena Semenova. Unsere Community-Autorin Andrea hat mit ihr gesprochen.

 

Die Ukraine hat ein Problem mit Homosexuellen 

Der erste Christopher Street Day überhaupt in Kiew fand am 15. Juni 2015 statt. Damals griffen Rechtsradikale die circa 300 Teilnehmer an. Es gab zahlreiche Verletzte. Abendveranstaltungen wurden abgesagt. Trotzdem und vor allem deshalb wird hinter den Kulissen weitergekämpft. Dafür, dass in den nächsten Jahren ein neuer Pride stattfinden kann. 

Kämpfen – das klingt gleich so radikal und nach körperlicher Gewalt. Die geht jedoch meist von den Pride-Gegnern aus. Die Pride-Aktivisten in der Ukraine kämpfen hingegen mit anderen Mitteln. Sport zum Beispiel. Der eine oder andere wird sich jetzt fragen, wie das gehen soll. Ich habe mit der 37-jährigen Aktivistin Olena Semenova gesprochen, die seit elf Jahren für mehr Gleichberechtigung in ihrem Land kämpft. Den Kampf bestreitet sie unter anderem mit Kettlebells (Kugelhanteln).

Würdest du dich selber als Aktivist bezeichnen?

„Ich kann ohne den Aktivismus nicht leben, also ja. Es ist mein Lebensinhalt. Ich liebe es und ich fühle immer wieder, dass unsere Community das braucht. Ich bin seit 1996 dabei. Angefangen habe ich in einem ukrainischen Gay Magazin. Seit dem hat sich zwar die Anzahl der Mitstreiter verdoppelt, aber es gibt leider viel zu wenige Aktivistinnen in der Ukraine.”

Warum?

„Ich organisiere jedes Jahr den Kiew-Pride und viele andere Community Projekte. Die Frauenbewegung ist in Kiew viel schlechter finanziert als die Schwulenbewegung. Die lesbische Szene ist in Kiew so gut wie nicht existent. Wir hatten z.B. keine feministische Bewegung so wie in Deutschland. Hier gab es die Feministen und dann die Lesben, getrennt voneinander. In der Ukraine gab und gibt es das nicht. Das macht es ziemlich schwierig. Aber ich versuche aus der ganzen Ukraine Frauen zusammen zu bekommen. Zum Beispiel auf einem großen Festival. Und wenn mir das gelingt, ziehe ich daraus sehr viel positive Energie. Denn die Frauen gehen nach Hause in ihre Region, in ihre kleine Community und verbreiten das, was sie bei dem Festival gesehen und gelernt haben. Stück für Stück. 

Wo wohnst du eigentlich? In München oder Kiew?

„Eigentlich in Kiew. Momentan bin ich aber in München.”

Wie willst du mehr Menschen zum Aktivismus bewegen?

„Meine Idee ist es, die Leute durch Sport zum politischen Kampf zu aktivieren. Eigentlich ist das ein Widerspruch, ich weiß. Die, die sich für Politik interessieren tun das selten auch für Sport und andersrum. Aber ich habe es anders erlebt hier in München. Ich habe angefangen eine Kettlebell-Gruppe zu trainieren und nach dem Training haben die Leute angefangen sich mit mir zu unterhalten. Und darüber haben sie angefangen sich für meine politischen Themen zu interessieren. Viele haben dann angefangen in der Community aktiv mitzuarbeiten. Da das Projekt in München funktioniert, soll es auch in Kiew umgesetzt werden. Außerdem kann ich so meine beiden Leidenschaften miteinander verbinden. Das ist mein Traum. Ich kann Sport machen und politisch aktiv sein.”

Du hast gesagt, das Aktivistenleben ist nicht ungefährlich in Kiew. Wie schützt du dich?

„Auch durch den Sport. Ich bin stärker und bin schneller. In Situationen, bei denen ich körperlicher Gewalt ausgesetzt bin, kann ich mich besser schützen. Aber ich merke vor allem, dass es mir im Kopf hilft. Er macht mich geduldiger und mich psychisch stärker. Man sieht die Welt ein bisschen anders mit Sport und das hilft mir sehr als Aktivistin.”

Was wünscht du dir?

„Ich wünsche mir, dass viel mehr Leute uns in der Ukraine unterstützen. Wir brauchen nämlich unbedingt Hilfe aus dem Ausland. Vor allem auch durch die Parteien. Wenn die nämlich auf die Probleme bei uns aufmerksam machen, dann wird der Druck auch auf die Parteien in der Ukraine erhöht und sie müssen reagieren. Und es ist so, dass die eine Community die andere unterstützt. So wie die Community in München uns hilft, helfen wir ihr und da kommt der Sport wieder ins Spiel. Dadurch werden die Ideen gut verteilt. Für die lesbischen Frauen in der Ukraine ist es wiederum wichtig zu sehen, was alles möglich ist und wie frei man sein kann. Hier in München gibt es eine Stelle im Rathaus, die für Schwule und Lesben da ist – das ist unglaublich. Wir haben nicht mal ein Versammlungsrecht in der Ukraine.”

Dürft ihr nicht auf die Straße gehen?

„Doch, das dürfen wir schon – theoretisch haben wir das Recht, aber nicht praktisch. Wird die Versammlung über einen LGBT-Verband angemeldet, bekommen wir keinen Polizeischutz. Man sagt uns dann: ,Geht doch einfach nicht auf die Straße und alles ist gut.’ Aber das geht nicht. Wir müssen sichtbar sein für die Regierung, damit sich die Dinge endlich ändern.”

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