Werden nur blonde, weiße Frauen belästigt? Nein. Nach Köln scheint es jedoch so.
Wenn Journalismus Vorurteile stärkt
Die Reaktionen auf die Geschehnisse in Köln zum
Jahreswechsel waren eindeutig. Gewalt gegen Frauen ist inakzeptabel. Weniger
geschmackvoll haben es „Focus“ und „Die Süddeutsche“ zum
Ausdruck gebracht. Eine schwarze Hand, die zwischen die Beine einer weißen Frau
greift und eine nackte blonde Frau, deren Körper übersäht ist mit schwarzen
Handabrücken. Das Bild scheint eindeutig: Männer mit dunkleren Hauttyp
vergreifen sich gerne an das weibliche Geschlecht mit Alabasterhaut und hellem
Haar.
Nun kommt aber eine zweite Komponente, die in der jetzigen
Debatte um Feminismus und Gewalt gegen Frauen, welche auch dringend nötig ist,
oftmals ignoriert wird. Eine kleine Anekdote: Meine Freundin feiert in der
berüchtigten Silvesternacht in Hamburg das Neujahrsende. Während sie sich
ausgelassen mit ihren Freundinnen unterhält, bemerkt sie eine fremde Hand an
ihrem Po. Sie dreht sich abrupt um, kann aber in der Dunkelheit nicht genau
erkennen, wer es gewesen ist. Sie tut es als übliche wenig elegante Anmache eines
jungen Mannes ab. Jedoch bekommt sie ein paar Tage später mit, dass sie nicht
die einzige war. Fernsehbeiträge und Artikel darüber, das junge Mädchen von
Männergruppen in Ecken gedrängt wurden oder sehr offensiv angemacht und forsch
begrapscht wurden.
All das ist
furchtbar. Genau so furchtbar ist aber eben auch die Dreistigkeit, mit der
Rechtspopulisten versuchen diesen Vorfall für ihr politisches Programm zu
instrumentalisieren. „Finger weg von unseren deutschen Frauen“ war einer der
harmloseren Kommentare. Auf Affenvergleiche will ich gar nicht zu sprechen
kommen. Das ist einfach nur widerlich.
Jetzt habe ich aber trotzdem eine Frage: Wenn Opfer denn
jetzt keine „Deutschen“ sind und genau so Migrationshintergrund haben, wie die
Täter, wie schaut es dann aus? Meine Freundin wäre auf dem Focus-Cover als
kleine, zierliche Brünette mit olivfarbener Haut zu erkennen. Oder wäre sie
sowieso nicht abgelichtet, weil sie nicht dem deutschen Stereotyp entspricht,
sondern ukrainischen Hintergrund hat?
Die neuste Welle des Feminismus in Deutschland musste schon viel Kritik
dieser Art ertragen. Als „White Feminism“ wurde er oft kritisiert und wegen fehlender
Diversität als rassistisch betitelt. Aber das führt doch nur auf ein größeres Problem zurück: die fehlende
Repräsentation von Frauen verschiedenster kultureller Ecken in öffentlichen
Debatten. Woher soll eine „Bio-Deutsche“ (wie ich dieses Wort verabscheue)
wissen, wie sich eine junge Türkin, Kongolesin oder Bosnierin bei der Arbeit
fühlt, wenn sie Diskriminierung erfährt? Fragen wie „Ist das jetzt gerade
passiert, weil ich eine Frau bin oder weil ich ausländische Wurzeln habe?“ gehen
einem da durch den Kopf. Es ist ein ständiger Kampf bestimmte
Konfliktsituationen in der Schule, im Studium oder bei der Arbeit nicht
persönlich zunehmen und sich als Diskriminierungsopfer zu sehen.
Wurden da nur blonde Frauen belästigt?
Ich denke aber
in dem jetzigen Fall ist es durchaus gerechtfertigt zu fragen, warum keine
Stimmen von Mädchen mit Migrationshintergrund herangezogen werden, die in der
Nacht sowohl in Köln als auch in Hamburg belästigt wurden. Als ob wir das von
Hause gewöhnt sind und es nicht anders kennen. Wir sind genauso schockiert und
angeekelt von den Vorkommnissen und begleiten unsere beängstigte Freundin genauso
zur Polizei. Natürlich verstehe ich, dass es aus Sicht der „Focus“- oder der „Süddeutschen“-Redaktion viel rentabler
ist, wenn man das Bild vom bösen schwarzen Mann und von der misshandelten
weißen Frau schürt. Trotzdem verletzt es mich. Erstens, weil ganze Ethnien
beschuldigt werden, Frauen zu belästigen und man als Schwester, Tochter
geschweige denn Mutter, die von der selben Region stammt, sich peinlich
berührt fühlt. Zweitens gibt die jetzige, vor allem mediale Handhabung, einem
das Gefühl geben, dass „biodeutsche“ Mädchen schützenswerter sind oder nur sie
sexuell belästigt werden. Von rechtsextremen Gruppen erwarte ich es nicht
anders. Von Qualitätsmedien wie der Süddeuschen Zeitung schon. Wir müssen die
Debatte von mehreren Blickpunkten sehen, sei es gesellschaftlich, sozioökonomisch
oder kulturell und Stimmen zu Wort kommen lassen, die genau so betroffen sind, jedoch selten eine Chance bekommen.
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