Produktivität und Performance, Optimierung und Output über alles? Nein, wir müssen auch mal Pause machen. Eine Stress-Expertin erklärt, wie es richtig geht.
Wir hetzen durch den Tag, angetrieben von der nie enden wollenden To-do-Liste. Am Ende fallen wir vollkommen fertig ins Bett und wundern uns, warum wir vor lauter Erschöpfung nicht einschlafen können. Am nächsten Tag geht alles wieder von vorn los. Dabei brauchen Menschen, anders als Maschinen, zwischendurch Pausen. Besonders in Zeiten von Pandemie, Homeoffice und Homeschooling sind Mini-Auszeiten extrem wichtig für die seelische, geistige und körperliche Gesundheit. Und auch einfach insgesamt.
Nur: Wie machen wir richtig Pause – und was genau heißt in dem Zusammenhang eigentlich richtig? Die Wiener Psychologin und systemische Coachin Sigrun Frohner befasst sich ausführlich mit den Themen Stress- und Selbstmanagement sowie Burnout-Prävention und erklärt, wie wir bei der Arbeit und im Alltag Ruhe finden und Kraft schöpfen können.
Frau Frohner, wofür genau brauchen wir Pausen?
„Pausen sind dazu da, dem Gehirn die notwendige Ruhe zu gönnen – ähnlich wie beim Sport, wo die Muskeln sich zwischendurch regenerieren müssen. Pausen helfen zum Beispiel auch dabei, kreativ zu werden. Wenn wir absichtlich an nichts denken, wird irgendwann das Unterbewusstsein aktiv. Es befördert dann Dinge ins Bewusstsein, die vorher geschlummert haben. So kann es passieren, dass die Lösung plötzlich kommt, wenn wir eine Pause machen.“
Wie oft und wie lang sollten Pausen so sein?
„Im Allgemeinen sollten Menschen, die einer konzentrierten geistigen oder körperlichen Tätigkeit nachgehen, ungefähr alle zwei Stunden eine kleine Pause einlegen. Die muss dann aber nicht länger als zehn bis fünfzehn Minuten dauern.“
Was ist die Voraussetzung für eine erholsame Pause?
„Wichtig ist: Die Tätigkeit, an der wir gerade arbeiten – oder ein Teil davon – sollte abgeschlossen sein. Einerseits können wir sonst nicht richtig entspannen. Andererseits tritt der sogenannte Sägeblatteffekt ein: Es kostet bis zu 75 Prozent Energie, wenn wir aus einer Arbeit herausgerissen werden und dann wieder neu beginnen müssen. Das ist ein Grund, warum wir oft das Gefühl haben, viel zu arbeiten aber wenig weiterzubringen.“
Und was steht uns beim Pause machen am meisten im Weg?
„Dass viele von uns nicht richtig abschalten, die kleine Auszeit genießen und Energie tanken können, liegt meist an eingefahrenen Mustern. Innere Antreiber wie ,Sei perfekt‘, ,Mach schnell‘ oder ,Mach es allen recht‘ können dazu beitragen, dass ein Loslassen schwer möglich ist. Außerdem ist unser ständiger Begleiter – das Handy – daran schuld, dass wir oft nicht zur Ruhe kommen; in einer echten Pause ist also ,digitales Fasten‘ angesagt. Auch ein schlechtes Gewissen kann ein Grund sein, warum wir uns selbst nicht gönnen, mal zu entspannen.“
Woher kommt dieses schlechte Gewissen und was hilft dagegen?
„Ein schlechtes Gewissen hat mit Schuldgefühlen zu tun. Als erstes sollten wir uns also fragen, warum wir Schuldgefühle haben. In den meisten Fällen meldet sich der innere Antreiber ,Mach es allen recht‘. Vieles ist auch selbst konstruiert oder geschieht aus Perfektionismus. Es stellt sich oft heraus, dass die eigenen Ansprüche zu hoch sind. Eine wichtige Frage, die wir uns deshalb immer wieder stellen sollten: Was habe ich heute/ gestern/ dieses Jahr schon alles getan? Oft sind es nämlich diejenigen, die sich ohnehin dauernd aufopfern und zu wenig an sich denken, die wegen einer kurzen Auszeit Schuldgefühle haben.“
Was macht eine richtig gute Pause aus?
„Wir sollten bewusst Pause machen und diese kleine Auszeit genießen. Und dabei das Gegenteil von dem tun, was wir vorher getan haben: Wer länger mit Menschen zusammen war, geht in die Einsamkeit; wer viel gesessen hat, bewegt oder dehnt sich; wer sich stark auf ein Thema konzentriert hat, versucht, an nichts zu denken. Am besten geht man an einen anderen Ort – und wenn es nur in ein anderes Zimmer, auf den Balkon oder vor die Haustüre ist. Eine effektive Art, den Kopf leer zu bekommen und wieder aufzutanken ist, an nichts zu denken. Sozusagen ein Reset für das Gehirn. Das klappt zwar erst nach einiger Übung, aber wenn es einmal funktioniert, ist es toll.“
An nichts zu denken fällt vielen Menschen schwer. Wie lässt sich das lernen?
„Die Übung beginnt am besten mit Musik: Kopfhörer auf – Hinlegen – Augen zu – Musik an. Aber ohne Text, irgendeine Instrumentalmusik, kann auch nur ein Instrument wie Trommeln sein. Zunächst konzentrieren wir uns ganz auf die Musik, also ein Instrument, den Rhythmus… Das gelingt für ein bis zwei Minuten meist ganz gut. Wenn wir abgelenkt werden, sofort wieder dem Instrument zuhören und nur daran denken. Mit der Zeit lernen wir dann auch, das Instrument zu vergessen und gar nicht zu denken. Das ist zugegeben eine Praktik, die etwas Selbstdisziplin erfordert, aber das zahlt sich aus.“
Und was ist mit Leuten, die nicht so gern rumliegen?
„Es gibt Menschen, die brauchen viel Bewegung, weil sie Freude daran haben, und dann machen sie das auch regelmäßig, selbst, wenn sie unter Stress und Druck stehen. Weil ihnen dieses Entspannungsmuster hilft. Andere werden immer eine Ausrede finden, warum sie die 20 Minuten Sport pro Tag nicht unterbringen. Weil Bewegung und Sport eben nicht in ihrem Fokus bei der Stressbewältigung liegen. Wie wir uns am besten entspannen können, wissen wir ohnehin intuitiv selbst. Einfach in sich hinein hören: Was möchte ich gerne tun? Was tut mir gut? Was hat mir früher gut getan?“
Das klingt alles schön und gut – aber wie finden wir im Alltag dafür Zeit ?
„Auch in zehn Minuten können wir uns entspannen. Voraussetzung ist, dass wir die Auszeit auch wirklich zulassen. Im Grunde entspannen wir immer dann, wenn wir etwas gerne tun. Auch Kochen kann entspannen, manche entspannen sogar beim Bügeln, wenn das Setting passt. Und wenn die innere Stimme sagt: Ich möchte mich jetzt eine halbe Stunde hinlegen und schlummern, dann ist das keine Zeitverschwendung, sondern Entspannung.“
Wie bleiben wir auch langfristig entspannt?
„Die kleinen Entspannungsmomente sollten regelmäßig stattfinden. Das können zehn Minuten Pause oder eine stille Stunde sein – je nachdem, wie es die momentane Lebenssituation eben erlaubt. Nützlich ist die 1x9x7 Regel: 1x täglich für 9 Minuten etwas machen, das entspannt – und zwar 7x Woche. Das Wichtigste ist, ein Ritual daraus zu machen. Wer ein bis zwei Kurz-Entspannungsrituale einführt, hat damit quasi ein Tool, auf das er*sie immer wieder zurückgreifen kann. Dabei aber nicht unrealistisch sein: Bei einer Familie, die shutdown-bedingt viel zu Hause ist, haben die einzelnen Mitglieder weniger Rückzugsmöglichkeiten, als das in einem Singlehaushalt möglich ist. Doch gerade in solchen schwierigen Situationen ist es wichtig, kleine Rituale leben zu können und diese auch gegenseitig zu respektieren. Wie wir uns am besten entspannen, bestimmen wir letztlich selbst. Kein Hinterfragen, keine Rechtfertigung, kein schlechtes Gewissen.“
Dieses Interview erschien erstmal bei EDITION F Plus im Dezember 2020.