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Feminismus-Check zur Bundestagswahl: Schutz vor Gewalt

Wie viel Feminismus steckt eigentlich in den Parteiprogrammen? Das haben wir für euch gecheckt. Teil 5: Schutz vor Gewalt.

Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Das sind 14 Millionen Menschen. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten. Die Zahlen zeigen klar: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig. Und auch die Anzahl von Gewalttaten gegen Personen aus der LGBTQIA+-Community steigt Jahr für Jahr. Dieser Gewalt kann man nur mit feministischer Politik begegnen, also: Was tut die Politik dagegen? Wir haben die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, AFD, FDP, DIE LINKE und Bündnis 90/ Die Grünen für die diesjährige Bundestagswahl durchforstet und für euch geprüft: Wie wollen sie die Gewalt bekämpfen und wie gefährdete FLINTA* Personen besser unterstützen?

*Der Begriff FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen – also Personen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität patriarchal diskriminiert werden.

CDU/CSU:  

„Wir stehen dafür, dass sich kein Täter sicher fühlen darf, und stellen Opferschutz vor Täterschutz.“ 

  • Mehr Transparenz: Frauenfeindliche Straftaten sollen eigens in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst werden. Daraus sollen Lagebilder erstellt und Handlungsansätze für die Polizei abgeleitet werden. 
  • Spuren sichern: Den Opfern von sexualisierter oder häuslicher Gewalt soll flächendeckend angeboten werden, die Spuren vertraulich und gerichtsfest dokumentieren zu lassen, ohne dass ein Ermittlungsverfahren von Amts wegen eingeleitet werden muss.
  • Sexarbeiter*innen schützen: Die CDU/CSU will Prostitution von Schwangeren sowie Heranwachsenden unter 21 Jahren verbieten – mit einer entsprechenden Bestrafung der Freier und außerdem den Straßenstrich stärker regulieren. Dafür fordern sie eine deutlich schärfere Kontrolle des Prostitutionsgewerbes und intensivere Ermittlungen beim Menschenhandel. Wer Prostituierte ausbeutet oder sich der Zuhälterei schuldig macht, soll härter bestraft werden können. Den Ausstieg aus der Prostitution will die Union stärker unterstützen.  

SPD:

„Um Gewalt gegen Frauen wirksam zu bekämpfen, werden wir die rechtlichen Grundlagen für eine wirksame Strafverfolgung und die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen verbessern.“

  • Gewalt bekämpfen: Die SPD will die rechtlichen Grundlagen für eine wirksame Strafverfolgung und die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen verbessern.
  • Schutzeinrichtungen fördern: Entsprechend der Verpflichtungen aus der „Istanbul-Konvention“ wollen sie das Hilfesystem aus Beratungsstellen, Frauenhäusern und anderen Schutzeinrichtungen weiterentwickeln.
  • Gewalt am Arbeitsplatz: Die SPD will außerdem die internationalen Vereinbarungen zum Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz (ILO Konvention 190) umsetzen.
  • Rechtsanspruch und Beratung: Für von Gewalt betroffene Frauen wollen sie einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz einführen und Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Femizide einrichten – also zur Verfolgung von Morden an Frauen, die begangen wurden, weil sie Frauen sind.
  • Durch Sprache sensibilisieren: Die SPD will sich gesellschaftlich dafür einsetzen, dass Femizide auch als solche benannt werden und nicht als „Verbrechen aus Leidenschaft“ oder „Familientragödie“. 
  • Schutz von LGBTQIA+ Personen: Die SPD will einen nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie und Gewalt gegen LGBTQIA+ Personen einführen und sich auf europäischer Ebene für die Ächtung solcher Diskriminierung einsetzen.
  • Istanbul-Konvention: Die SPD will sich für eine EU-weite Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarats als verbindliche Rechtsnorm gegen Gewalt an Frauen einsetzen. 

Nur 20 Prozent der Frauen, die Gewalt erfahren, nutzen bisher die bestehenden Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen. Die Finanzierung von Frauenhäusern erfolgt durch Landesmittel, einen Eigenanteil der Landkreise beziehungsweise der kreisfreien Städte, Eigenmittel der Trägervereine, Nutzungsentgelte der Bewohnerinnen, SGB II-Mittel, die die Grundsicherung für Arbeitsuchende regelt und aus Spenden. Die Frauenhauskoordinierung schätzt, dass mindestens 125 Kreise in Deutschland noch kein eigenes Frauenhaus haben. Außerdem geht aus einem Bericht der Bundesregierung hervor, dass die Einrichtungen Frauen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen Umfragen zufolge häufig nicht gerecht werden.  

AFD: Das Parteiprogramm der AFD enthält keine politischen Maßnahmen, um gegen die Gewalt an FLINTA* Personen vorzugehen.

FDP:  

„Wir wollen Betroffenen anzeigeunabhängig, kostenlos und anonym die Spurensicherung bei sexueller oder sexualisierter Gewalt ermöglichen.“

  • Schutz von LGBTQIA+ Personen: Die FDP will sich für einen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit einsetzen, der Diskriminierungen, Beleidigungen und Gewalt wirksam entgegentreten soll. Bundes- und Länderpolizeien sollen LGBTQIA+-feindliche Straftaten bundesweit einheitlich erfassen, sie in ihrer Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit berücksichtigen, die Ermittlungsdienste entsprechend schulen und LGBTQIA+-Ansprechpersonen benennen. Homo- und transfeindliche Gewalt soll im Strafgesetzbuch genauso behandelt werden wie rassistische Gewalt.
  • Istanbul-Konvention: Die FDP fordert, dass die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt schnell, umfassend und wirksam umgesetzt wird.
  • Spuren sichern: Betroffenen soll anzeigeunabhängig, kostenlos und anonym die Spurensicherung bei sexueller oder sexualisierter Gewalt ermöglicht werden. Ansprechpartner*innen bei Polizei und Justiz wollen sie nach gemeinsamen Standards aus- und weiterbilden lassen.
  • Schutzeinrichtungen fördern: Die FDP will sich für einen bedarfsgerechten Ausbau von Frauenhausplätzen, eine bundesweit einheitliche Finanzierung sowie ein nationales Online-Register einsetzen.
  • Beratung: Informationen über Hilfsangebote zu häuslicher Gewalt sollen standardmäßig beim Besuch des*r Frauenärzt*in zur Verfügung gestellt werden.
  • Prävention: Die FDP will die präventive und repressive Täter*innenarbeit ausbauen und institutionalisieren.
  • Außenpolitische Maßnahmen: Die FDP will sich dafür einsetzen, dass sexualisierte Gewalt als Form der Kriegsführung geächtet wird und Vertragsstaaten sowohl die VN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) als auch die Istanbul-Konvention einhalten und umsetzen. 

Nur in 14 Prozent der Fälle wird häusliche Gewalt angezeigt.

DIE LINKE:

„Wir wollen, dass jeder Mensch – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Lebensentwurf – ohne Angst vor Gewalt leben kann.“ 

  • Durch Sprache sensibilisieren: DIE LINKE will den Mord an Frauen, weil sie Frauen sind, klar als Femizid bezeichnen. 
  • Schutzeinrichtungen fördern: DIE LINKE fordert Beratungsstellen, die leicht zugänglich sind – unabhängig von körperlichen Beeinträchtigungen, dem Aufenthaltsstatus oder der Lebenssituation der Betroffenen.
  • Wohnraum als Schutz schaffen: Für alleinstehende Frauendie in (Alters-)Armut leben, für alleinerziehende Frauen und für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, will Die Linke preiswerten und sicheren Wohnraum schaffen.
  • Mehr Transparenz: Die Partei fordert eine unabhängige Beobachtungsstelle, die jeden potenziellen Femizid erfasst, die Daten tagesaktuell sowie in einem jährlichen Lagebericht veröffentlicht und Forschung zu Femiziden, den Ursachen und der Bedeutung von Risikofaktoren betreibt. 
  • Mehr Forschungsarbeit: Die Linke will mehr Studien zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt gegen LGBTQIA+ öffentlich beauftragen und finanzieren.
  • Istanbul-Konvention: DIE LINKE will die durch die Bundesregierung bei der Ratifizierung der Istanbul-Konvention vorgenommen Einschränkungen zurücknehmen, damit zahlreichen geflüchteten oder migrierten Frauen nicht der Zugang zu Schutz verweigert wird. 
  • Schutzeinrichtungen fördern: Strukturen des Gewaltschutzes und Hilfesysteme sollen ausgebaut und mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Die Finanzierung von Frauenhäusern soll nicht länger eine freiwillige Leistung sein und durch eine bundeseinheitliche Finanzierung gefördert werden, an der sich der Bund beteiligt. 
  • Sensibilisierung der Behörden: Staatliche Behörden wie Polizei, Gerichte und Ämter sowie medizinisches Personal sollen für das Thema Gewalt gegen Frauen – auch in digitaler Form – sensibilisiert werden. 
  • Flucht und Gewalt: Im Fall von Partnerschaftsgewalt bei geflüchteten Frauen muss das bisher vom Ehemann abhängige Aufenthaltsrecht aufgehoben und in einen eigenständigen Aufenthaltstitel umgewandelt werden. Die Linke fordet eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik als Maßnahme gegen die systematische Gewalt gegen Frauen an der europäischen Grenze und in den Lagern.
  • Menschenhandel: Die Linke will sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel bekämpfen, ohne die Betroffenen zu kriminalisieren und zu stigmatisieren. Aufenthaltstitel, Schutz und Entschädigung sollen unabhängig von der Bereitschaft der Opfer, als Zeug*in einem Strafverfahren auszusagen, gewährt werden. Für die Betroffenen fordert sie Therapiemittel, medizinische sowie psychologische Betreuung, Rechtsbeistand und Rechtshilfe, Zugang zu sozialen Leistungen und Bildungsangeboten. 
  • Prävention: Die Partei will sich für eine umfassende Unterstützung von Präventionsprojekten und Organisationen einsetzen, die sich mit der Hilfe für Gewaltopfer beschäftigen.
  • Schutz von LGBTQIA+ Personen: Die Linke will, dass die Strafverfolgung von queerfeindlicher Gewalt stärker verfolgt und geahndet wird als bisher. Die Linke setzt sich für die umfassende Unterstützung von Präventionsprojekten und Organisationen ein, die sich mit der Hilfe für Gewaltopfer beschäftigen.

25 Prozent aller Frauen erleben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt in ihrer Partnerschaft.

Bündnis 90/ Die Grünen:

„Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, die vor allem Frauen betrifft, ist eine gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe.“

  • Muslim*innen schützen: Die Ursachen der Muslim*innenfeindlichkeit soll verstärkt in den Blick genommen werden und Opfer sollen geschützt, beraten und gestärkt werden.
  • Transparenz: Die Grünen fordern eine Reform der Kriminalstatistik, damit das Ausmaß der in Deutschland verübten Verbrechen, die aus Frauenhass begangen werden, differenziert erfasst wird und diese Taten systematisch als Hassverbrechen eingestuft werden.
  • Flucht und Gewalt: Gewaltbetroffene Frauen, deren Aufenthaltsstatus von dem Aufenthaltsstatus ihres Ehemanns oder Partners abhängt, sollen einen eigenständigen Aufenthaltstitel erhalten können.
  • Sensibilisierung der Behörden: Polizei und Justiz müssen im Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt umfassend geschult und sensibilisiert sein.
  • Umgang mit Opfern: Für Opfer von Vergewaltigungen soll eine qualifizierte Notfallversorgung einschließlich anonymer Spurensicherung und der Pille danach gewährleistet werden. Außerdem sollen Angebote für psychosoziale Prozessbegleitung gestärkt werden.
  • Schutzeinrichtungen fördern: Mit einem gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt wollen sie die Betroffenen über eine Geldleistung des Bundes absichern und den Zugang zu Schutzeinrichtungen und deren Angeboten für alle Frauen verbessern. Für die Aufenthaltszeit in einem Frauenhaus sollen Betroffene, die Sozialleistungen erhalten, nicht schlechter gestellt werden. Außerdem fordern die Grünen Frauenhäuser, in denen Kinder, auch wenn sie älter sind, mit aufgenommen werden können.
  • Schutz von LGBTQIA+ Personen: Sie wollen intersektionale Schutzkonzepte und Zufluchtsräume, insbesondere auch für queere, trans- und intergeschlechtliche Menschen, entwickeln und bereitstellen. Außerdem sollen queerfeindliche Straftaten statistisch gesondert erfasst werden.
  • Sexarbeiter*innen schützen: Prostitutionsstätten sollen strenger kontrolliert werden und in Zukunft einer Erlaubnispflicht unterliegen. Außerdem wollen die Grünen Beratungsangebote ausbauen und finanziell unterstützen.
  • Menschenhandel: Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung soll mit den Mitteln des Strafrechts, durch ein gemeinsames europäisches Vorgehen, Information sowie Schutz und Hilfe für die Opfer konsequent bekämpfen werden. Die Anzeige- und Aussagebereitschaft von Betroffenen will die Partei durch ein dauerhaftes Bleiberecht erhöhen und damit die Strafverfolgung der Täter*innen erleichtern.
  • Außenpolitische Maßnahmen: Die Grünen fordern Kriegsverbrecher*innen zur Rechenschaft zu ziehen und die Ermittlungen in Fällen sexualisierter Gewalt zu verbessern und die Strafprozessordnung zu reformieren.

Hilfsangebote:
Solltest du betroffen sein, oder Personen in deinem Umfeld haben, die betroffen sind, dann findest du beim Hilfetelefon rund um die Uhr Hilfe: 08000 116 016. Zögere nicht, den Rettungsdienst unter 112 zu rufen, oder dich an die Frauenhauskoordinierung zu wenden.

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