Eva Placzek

Gewalt in der Geburtshilfe: Hebamme Eva Placzek im Interview

Schon als kleines Mädchen stand für Eva Placzek fest: Sie möchte Hebamme werden. Doch als sie mit 18 Jahren endlich ihre Ausbildung beginnt, lässt die Enttäuschung nicht lange auf sich warten. Ihr vermeintlicher Traumjob entwickelt sich zum Albtraum.

Eva begegnet nicht nur zahlreichen strukturellen Problemen, sondern erlebt auch viel Gewalt, sowohl unter den Mitarbeitenden als auch gegenüber den Gebärenden. Irgendwann wird sie sogar selbst zur Mittäterin.

In der neuen Podcastfolge von „Echt & Unzensiert“ berichtet Eva schonungslos offen von ihren Erfahrungen, leistet wichtige Aufklärungsarbeit und spricht darüber, wie unsere Geburtshilfe sicherer und zugleich menschlicher werden kann.

Liebe Eva, dir wurde schnell klar, dass die Praxis im Hebammenberuf oft stark von der Theorie abweicht. Welche Beobachtungen hast du gemacht?

„Man kam als Hebammenschüler*in mit ganz viel neuem Wissen an – und dann hieß es auf einmal: ,In der Praxis werdet ihr das so nicht umsetzen können.’ Es galt teilweise als schwach, wenn man eine schwangere Person emotional begleitete.

Frauen wurden oft allein gelassen, ihre Bedürfnisse wurden nicht gesehen oder sie wurden beleidigt. Ich stand in der Ecke und schaute zu, bis es irgendwann dazu kam, dass ich selbst angeleitet wurde, Praktiken durchzuführen, die weder wissenschaftlich noch aktuell sind.“

Du sagst von dir selbst, dass du zur „Mittäterin“ wurdest. Was wirfst du dir vor?

„Ich habe Frauen ohne Einverständnis vaginal untersucht, obwohl sie laut und deutlich gesagt haben, dass sie das nicht wollen, dass es ihnen weh tut oder sie versucht haben, mich wegzutreten. Wir reden hier nicht von Notfällen, wir reden von normalen vaginalen Untersuchungen. Ich habe auch Medikamente gegeben, ohne aufzuklären und bin nicht eingeschritten, wenn Gewalt am Bauch ausgeübt wurde. Ich habe es einfach passieren lassen, bis ich irgendwann gesagt habe: ,Ich kann das so nicht mehr.’“

Gibt es Zahlen dazu, wie viele Menschen von Gewalt in der Geburtshilfe betroffen sind?

„Manche Studien sprechen von 50 Prozent, andere kommen auf 15 bis 20 Prozent. Wir können davon ausgehen, dass es etwa jede dritte gebärende Person in irgendeiner Art und Weise betrifft. Die Dunkelziffer ist vermutlich sehr viel höher. Viele wissen gar nicht, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Viele denken: ,Ja, aber Geburt ist doch so. Das musste halt passieren.’ Das kann man auch niemandem übelnehmen. Wie soll man es auch besser wissen?

Wenn wir von körperlicher Gewalt sprechen, dann sprechen wir von Medikamentengabe ohne Aufklärung und Einverständnis, vom Schreiben unbegründeter Dauer-CTGs, vom Verweigern von Toilettengängen, ständigen vaginalen Untersuchungen, dem Zwang zu liegen, von Festhalten, Ohrfeigen, gewaltvollem Bauchdruck, Dammschnitten ohne Begründung und außerhalb der Wehe, vom Nähen der Geburtsverletzungen ohne Betäubung, vom gewaltvollen Herausziehen der Plazenta nach der Geburt und noch vielem mehr.“

Neben körperlicher Gewalt spielt auch psychische Gewalt eine große Rolle. Ab wann ist deiner Meinung nach eine Grenze überschritten?

„Ich persönlich finde, dass die Grenze schon sehr früh überschritten wird – gerade während der Schwangerschaft. Vielen Schwangeren wird gesagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Und wenn sie dem keine Folge leisten, gelten sie sofort als unverantwortlich. Wenn man eine Impfung nicht will oder vielleicht einen Test doch möchte, sollte einem hier niemand reinreden.

In der Medizin sollte es so sein, dass wir als Fachkräfte zwar aufklären und unser Wissen teilen, gleichzeitig aber auch objektiv bleiben, damit die schwangere Person die Entscheidung selbst treffen kann. Im Notfall wird natürlich eingeschritten, aber ansonsten sollte immer im Fokus stehen, was die schwangere Person gerade möchte und braucht.

Übergriffigkeiten von Fachpersonal ziehen sich teilweise bis zur Geburt. Das fängt dann schon damit an, dass einer Person gesagt wird, wie sie liegen müsse. Oder dass sie noch überhaupt keine richtigen Wehen habe. Das macht was mit einem Menschen. Da denkt man sich: ,Ich habe aber Schmerzen! Wieso sieht mich niemand? Wieso hört mich niemand?‘ Wir alle wollen doch ernst genommen werden.

Mit solchen Dingen nimmt das Übel seinen Lauf. Man fühlt sich immer schlechter, man macht sich immer kleiner, bis man irgendwann gar nichts mehr sagt und einfach akzeptiert, wenn die ganze Zeit dumme Kommentare oder Handlungen kommen, die man eigentlich gar nicht möchte.“

Machtmissbrauch passiert auch oft im Namen des Kindes, oder?

„Ja. Man liegt da total ausgeliefert und dann wird einem gesagt: ,Wenn Sie das jetzt nicht machen, dann stirbt Ihr Kind. Dann sind Sie selbst daran schuld.’ Das ist pure Erpressung!

Und jetzt muss man sich vorstellen: Im Wochenbett, also in der Zeit nach der Geburt – wie tief solche Sätze gehen. Also wie lange man noch über sowas nachdenkt und an sich zweifelt und sich fragt, ob man alles richtig gemacht hat. Dabei war das Verhalten des Fachpersonals einfach nur unprofessionell und machtmissbrauchend bis zum Gehtnichtmehr.“

Inwiefern leidet denn auch das ungeborene Kind unter der Gewalt?

„Man weiß heutzutage, dass Kinder durch die Hormone und die Emotionen der Mutter total viel mitkriegen. Deswegen muss man sich auch nicht wundern, dass das Kind irgendwann anfängt zu reagieren, wenn man immer wieder eingreift, der Mutter Angst macht, sie stresst und zu gewissen Handlungen oder Interventionen zwingt.

Klassisches Beispiel dafür sind die ganzen Einleitungen. Das kann mit Medikamenten teilweise drei, vier, fünf Tage dauern und man übt andauernd Stress auf die Mutter aus, indem sie immer wieder Wehen hat oder ständige CTG-Kontrollen über sich ergehen lassen muss. Irgendwann hat das Kind auch keine Lust mehr und dann geht die Geburt meistens in eine unschöne Richtung.

Genauso auch körperliche Interventionen, wie zum Beispiel Abwandlungen vom Kristeller-Handgriff. Man muss sich vorstellen: Ein schwangerer Mensch beschützt neun Monate, oder sagen wir mal 42 Wochen lang, seinen Bauch. Da darf niemand drankommen. Da darf nichts passieren. Und dann ist es okay, wenn man sich drauf wirft? Das macht gar keinen Sinn. Wie oft kommen Kinder raus, mit geplatzten Adern im Auge, weil der Druck zu groß war, mit Blutergüssen oder sonstigem? Das muss nicht sein.“

Wie kommt es dazu, dass sich einige Hebammen und Ärzt*innen gewaltvoll verhalten? Welche Gründe gibt es neben systemischen Problemen, wie Personal- und Zeitmangel, noch?

„Ich glaube, einige wissen es einfach nicht besser. Die machen das seit 30 Jahren so und wurden auch so angelernt. Kein Wunder: Wenn man in festgefahrenen, alten Systemen lernt, ist es super schwierig, sich dem Vorschritt anzupassen und neigt dazu, seine Augen zu verschließen.

Ich glaube, es passiert leider sehr, sehr oft, dass man sich anpasst und irgendwann wirklich davon überzeugt ist: ,Das ist das Richtige, was ich hier tue.’ Wer will sich schon eingestehen: ,Ich habe hier einem Menschen Gewalt angetan’? ,Ich bin Täter*in oder Mittäterin*in.’ Das ist eine Aussage, die wehtut. Und ich glaube, das wollen die wenigsten. Mittlerweile ist unser Beruf ein Studiengang, was ich persönlich sehr gut finde, weil man hier nochmal ganz anders hinterfragt. Ich glaube, das allein wird in der Zukunft schon viel verändern.“

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Noch mehr Einblicke gibt uns Eva Placzek in der 44. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“. Gemeinsam mit Host Tino Amaral beantwortet sie unter anderem die Frage, wie sich werdende Eltern vor Gewalt in der Geburtshilfe schützen können (ab 35:44), für wen eine Hausgeburt geeignet ist (ab 38:20) und wie man eine gute Hebamme finden kann (ab 40:15). Die Folge findet ihr über diesem Absatz, mit einem Klick in den Header und überall dort, wo es Podcasts gibt. Reinhören lohnt sich!

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Bei „Echt & Unzensiert“ beleuchtet Host Tino Amaral gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen vermeintliche Tabuthemen, macht auf Missstände aufmerksam und gibt wichtige Denkanstöße, die deinen Blick auf die Welt für immer verändern werden. Auch einige Promis haben bei ihm schon private Einblicke gegeben und wichtige Erkenntnisse geteilt. Welches Thema würdest du gerne mal hören? Lass es uns bei Instagram wissen!

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