In der 51. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert” ist Designer Jonas Stickann zu Gast. Er macht genderlose Mode, die nicht nur gut aussieht, sondern auch gesellschaftliche Grenzen sprengt.
Im Gespräch erzählt Jonas, wie er seine Leidenschaft für Mode entdeckt hat, was ihn antreibt und warum geschlechterlose Kleidung so viel mehr ist als nur ein Trend. Er spricht über seinen Weg – vom Modestudium bis zur Gründung seines eigenen Labels – und darüber, was ihn bei seiner Arbeit inspiriert.
Es geht aber auch um Themen wie Selbstbewusstsein, Stil jenseits von Klischees und die generelle Zukunft der Modewelt. Wenn ihr Lust habt, Mode mal aus einer ganz neuen Perspektive zu betrachten, dann hört unbedingt rein – es lohnt sich!
Die ganze Podcastfolge hörst du über einen Klick ins Titelbild oder eingebettet unten im Artikel und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Einen Ausschnitt aus dem Gespräch mit Jonas Stickann liest du hier.
Lieber Jonas, wann hat deine Faszination für Mode angefangen?
„Das ist immer noch eine schwierige Frage, obwohl man sie so oft gestellt bekommt. Ich glaube, das war schon in der Schulzeit, aber weil ich damals noch gar nicht wirklich mit mir selbst connected war, habe ich das nicht so richtig wahrgenommen. Ich hatte immer Lust, Kleidung zu kaufen, die anders war, aber ich habe mich nicht getraut, sie zu tragen. Irgendwann habe ich dann angefangen, die GQ Style zu kaufen, die alle drei Monate rauskam. Nach dem Abi habe ich mich dann entschieden, bei Breuninger zu arbeiten. Danach habe ich Mode-Management studiert und bin mittlerweile im Mode-Design gelandet.“
Würdest du sagen, du warst ein stylischer Jugendlicher?
„Auf gar keinen Fall! Ich würde gerne ein Foto zeigen, aber ich glaube, das will niemand sehen. Ich bin froh, dass es damals noch nicht so viel Social Media gab. Sagen wir es so: Es war ein Prozess, und mein Style hat sich definitiv verbessert.“
Wenn man sich die jungen Generationen heute anschaut, wirkt es so, als hätten sie ihren Stil schon früh gefunden. Woran liegt das?
„Sie haben einfach Zugriff auf alles. Trends sind sofort ersichtlich, und es gibt so viele Anlaufstellen für Fast Fashion. Das war früher anders. Früher konnte ich mir nicht so viel leisten, weil ich mir meine Sachen meistens selbst kaufen musste – zusätzlich zu den Basics, die ich brauchte. Heutzutage kannst du für 2,12 Euro irgendwie 83 Anzüge und 12 Kleider kaufen und durch Social Media siehst du auch viel genauer, wie sich andere stylen. Das gibt Orientierung.“
Wie würdest du den Blick auf die Modebranche beschreiben, der dir während des Studiums vermittelt wurde?
„Sehr binär. Was mich aber vor allem gestört hat: Es ging nur um die großen Luxusmarken. Ich habe gelernt, wie sie operieren, wie sie ihr Marketing machen, wie sie kommunizieren und wie sie ihre Preise halten. Das hatte für mich oft wenig mit richtiger Mode zu tun und hat den Horizont nicht wirklich erweitert. Genderlose Mode war absolut gar kein Thema. Wir haben schon ein paar Schritte vorher als Uni die Ausfahrt genommen.“
Was macht genderneutrale Mode für dich aus? Ist nicht theoretisch jedes Kleidungsstück geschlechtslos?
„Für mich ist nicht jedes Kleidungsstück genderneutral. Ich war zum Beispiel letztes Wochenende in Berlin bei einem Archive Sale von einer Brand, die ich cool finde, und habe mir einen Blazer gekauft, der aber für eine Person mit Brüsten geformt ist. Klar kann ich den tragen, aber es passt nicht zu meinem Körper. Ich schaue jetzt, wie ich den so ändern kann, dass er mir passt.
Wenn du genderneutral denkst, fallen einfach einige Sachen weg, die du vielleicht nicht machen kannst. Oder du musst dir Umwege suchen. Bei weiten Sachen, wie sie in Unisex-Kollektionen oft vorkommen, ist das natürlich einfacher. Aber wenn ich etwas für Menschen mit und ohne Brust machen will und es trotzdem körperbetont sein soll, brauche ich zum Beispiel elastische Materialien. Mir geht es auch nicht darum, dass jedes Kleidungsstück geschlechtslos sein muss, sondern dass es andere Körper nicht ausschließt.“
Hast du ein Beispiel für ein Kleidungsstück, das diese Idee gut repräsentiert?
„Ja, ein Strick-Oberteil. Das ist off-shoulder und relativ clean gehalten. Durch den Ripp-Strick ist es elastisch genug, dass es sich an den Körper zieht, bietet aber auch an Stellen, wo sich die Körper unterscheiden, genug Raum. Es ist jetzt kein krasses Design-Highlight, aber es gibt allen die Möglichkeit, sich darin wohlzufühlen.“
Denkst du, genderneutrale Mode ist für männlich gelesene Menschen besonders relevant?
„Ich glaube tatsächlich, dass das so ist. Anfangs dachte ich, es wäre nur eine intrinsische Sache – ich wollte Kleidung, die mir passt, die ich gerne trage und die einfach so feminin oder maskulin ist, wie sie eben ist. Aber ziemlich schnell habe ich gemerkt, dass das Ganze eine größere Dimension annimmt, allein schon daran, dass sich viele heterosexuelle Männer bei mir gemeldet haben. Damit hatte ich in dem Ausmaß überhaupt nicht gerechnet.
Aber das sind halt Leute, die mit der Mode, die dem Mann zugeschrieben wird, nicht happy sind, die sich anders ausdrücken wollen und die deswegen genauso Interesse an genderloser Mode zeigen, wie zum Beispiel Frauen oder generell queere Personen. Das finde ich voll spannend.“
Wie nimmst du die Entwicklung bei Mainstream-Marken wahr? Wird Unisex-Mode hier immer wichtiger?
„Nein. Für die großen Anbieter zählt am Ende nur, was gerade trendet. Ihr Ziel ist es, Geld zu verdienen – egal womit. Vor ein paar Jahren waren zum Beispiel dicke Menschen total im Trend, und es wurden viele Curvy Models gebucht. Seit ein, zwei Jahren ist das auf Social Media kein Thema mehr, und plötzlich bekommt auch niemand mehr Aufträge.
Also sobald ein Trend im Fokus steht, springen sie darauf auf, aber genauso schnell lassen sie ihn wieder fallen, wenn er vorbei ist. Da geschieht nichts aus Überzeugung, sondern einzig und allein, weil es sich wirtschaftlich lohnt.“
Wäre es für ein Unternehmen nicht nachhaltiger und auch wirtschaftlicher, Kleidungsstücke zu produzieren, die sich an alle Menschen richten?
„Absolut. Ich verstehe ehrlich gesagt gar nicht, warum es so ein Problem sein soll, Mode zu machen, die für alle funktioniert. Ich habe das Gefühl, viele denken, genderlose Mode bedeutet, dass Männer jetzt nur noch Röcke und Kleider tragen sollen – aber darum geht es überhaupt nicht.
Es geht vielmehr darum, dass jemand, zum Beispiel ein Mann, sagt: “Ich kaufe mir diese genderlose Hose, weil mir die Ästhetik gefällt.” Der Schnitt ist dabei so gestaltet, dass sie auch seiner Freundin oder wem auch immer passt. Es geht einfach darum, Kleidung zu schaffen, die für alle zugänglich ist.“
Hast du Menschen, die dich inspirieren? Woher holst du deine Inspiration?
„Ich glaube, es sind nicht unbedingt immer Menschen, die mich inspirieren, sondern oft auch Gegenstände. Zum Beispiel arbeiten wir gerade an einem Projekt, bei dem ich einen Look zu einem Parfüm entwerfe. Das finde ich super spannend, weil es dabei nicht nur um Gerüche geht, sondern auch um visuelle und haptische Aspekte. Daraus lassen sich Formen oder Materialien ableiten, und oft entsteht aus den kleinsten Dingen etwas Neues.
Mir ist dabei nicht wichtig, dass man am Ende erkennt, woher die Inspiration kommt. Solange es mir hilft, meinen Weg zu finden, ist das völlig in Ordnung. Kunden müssen nicht wissen, dass ein Design von Duft XY inspiriert wurde. Es ist einfach nur ein Mittel, um meine Ideen umzusetzen. Natürlich lasse ich mich auch von Designern oder Designerinnen inspirieren, die ich spannend finde – aber das ist für mich der einfache Weg.“
Hast du Tipps, wie man sein Selbstvertrauen stärken und seinen eigenen Stil finden kann?
„Das ist eine echt schwierige Frage. Ich glaube aber, das Wichtigste ist, einfach zu machen – immer wieder. Durch das Ausprobieren entsteht ein Gefühl dafür, was sich richtig anfühlt und was nicht. Oft merke ich bei Dingen, die ich designe, wenn sie mich nicht überzeugen. Dann weiß ich: Ich brauche das nicht weitermachen, weil es nicht das ist, womit ich mich am Ende wohlfühle. Aber dieses Gefühl hat sich bei mir erst durchs Machen und Experimentieren entwickelt.
Nur in eine Richtung zu arbeiten bringt einen nicht weiter. Man sollte sich fragen: Ist das wirklich mein Stil? Oder mache ich das einfach, weil ich mich irgendwann dafür entschieden habe? Ich finde es wichtig, auch mal andere Ansätze auszuprobieren und zu schauen, was man davon adaptieren kann. Das stärkt und festigt den eigenen Stil und das Selbstwertgefühl total.“
Du willst mehr über das Thema erfahren?
Noch mehr Einblicke und Impulse gibt uns Jonas Stickann in der 51. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“. Gemeinsam mit Host Tino Amaral spricht er über spannende Fragen wie: Warum gilt eine Hose gesellschaftlich als geschlechtsneutral, ein Rock oder ein Kleid jedoch nicht? Und wie können sich junge Designer gegen die übermächtige Konkurrenz großer Marken überhaupt behaupten? Reinhören lohnt sich!
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Bei „Echt & Unzensiert“ beleuchtet Host Tino Amaral gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen vermeintliche Tabuthemen, macht auf Missstände aufmerksam und gibt Denkanstöße, die deinen Blick auf die Welt für immer verändern werden. Auch einige Promis haben bei ihm schon private Einblicke gegeben und wichtige Erkenntnisse geteilt. Welches Thema würdest du gerne mal hören? Lass es uns bei Instagram wissen!
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