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Digitalisierung – meine Chance als psychisch Erkrankte

Die medizinische Reha brachte mich wieder mit Computern und ihrer “Nützlichkeit” für verschiedene Dinge des Lebens zusammen. Nicht nur, weil ich meinen Lebenslauf erstellen musste und im Zuge dessen mir vor Augen führte, wieviel Kenntnisse und Fähigkeiten ich besitze.

 

Ein guter Freund von mir brauchte zu diesem Zeitpunkt eine neue Webseite, er hatte sich gerade als Reiseveranstalter selbständig gemacht. Ich konnte gut texten, war internet- und digitalaffin und hatte ja viel Zeit. So kam es, dass ich seine Webseite zu meinem Projekt in der Reha machte. Dazu brauchte es zusätzlich Leitfäden und Tutorials, wie das am besten zu bewerkstelligen und was zu beachten ist oder wie es besser geht. Mein Wissen wuchs.

Exkurs: Mein Verständnis von Digitalisierung

Der Begriff Digitalisierung hat mehrere Ebenen, für mich zählt im Rahmen unseres Projekts vor allem die transformative.  Die Umwandlung von analogen Information und Kommunikation auf die digitale Ebene.  

Vieles wird klarer – auch durch die Hilfe von außen

Das alles fiel in den Dezember. Ich liebe die Weihnachtszeit und ein schöner Jahreswechsel zog diese positive Grundstimmung mit ins neue Jahr. Ich erinnerte mich an eine Kartenlegerin aus einem Frauennetzwerk und ließ mir zum Spaß die Karten legen für 2015. Mir wurde Selbständigkeit vorausgesagt. “Toll!” dachte ich, beruflich wollte ich es nie sein.

Die Astrologin empfahl mir in eine Art Akquise-Sprechstunde für Selbständige zu gehen. Zusammen in der Gruppe diskutierten hier Selbständige in spe und holten sich Ideen sowie Anregungen. Die Anbieterin sei daneben auch Gründercoach, sie hätte immer gute Ideen. Wohl auch für mich. Gesagt, getan und eine Woche später fand die nächste Sprechstunde mit mir statt.


Die Leiterin, Präsidentin und Gründerin eines Frauennetzwerkes, erkannte meine Qualitäten als Betriebswirtin in Kombination mit den sozialen Medien. Schnell merkte ich, dass Begrifflichkeiten, die für mich ganz selbstverständlich waren, für andere ein Buch mit sieben Siegeln darstellen. Warum also nicht Social Media Managerin werden, wurde ich gefragt.

Der Anfang von meinem Business war geboren.

Endlich wieder ein Lebenssinn!


Eine Bezeichnung war für mich also gefunden, die ich nun mit Leben und Inhalten füllen konnte. Doch zugleich türmten sich Fragen ganz anderer Art auf:

  • Wie geht Selbständigkeit, wenn man doch eigentlich erwerbsunfähig ist?

  • Was muss ich wie wo (an)melden und wann?

  • Was passiert, wenn man wieder in eine depressive Phase rutscht? Ist dann noch eine “Rolle rückwärts” möglich, um die eigene Existenz zu sichern? Und falls ja: wie sind die Kriterien dafür und wer bestimmt diese?

  • Ist dieser Weg wieder mit Ämtern, Gutachtern und zig Formularen verbunden, die ich nur dann in der Lage bin auszufüllen, wenn es mir gut geht?

Auf all diese Fragen gab mir niemand eine verlässliche, rechtssichere, verbindliche Antwort. Das ging und geht auch deshalb nicht, weil

  • es diese “Rolle rückwärts”, die deine Existenz sichert, nicht gibt

  • Rentenzuständigkeiten von einer anderen Behörde geklärt werden als Grundsicherung, Hartz IV oder Arbeitslosengeld

Die Antworten, die ich zu diesem Zeitpunkt von einer Rechtsanwältin mit Fachrichtung Sozialrecht erhielt waren mündlich, nicht wirklich legal und zudem ohne Gewähr.

Doch es war meine Chance auf einen beruflichen Neubeginn – und ich habe sie genutzt.

Bei meinen digitalen Streifzügen entdecke ich immer mehr Chancen für psychisch Erkrankte.

  • Massive Open Online Courses und Online-Universitäten mit exzellenten Inhalten zur Weiterbildung – zumeist kostenlos

  • VPAs – virtuelle persönliche Assistenten, die gängige Bürotätigkeiten übernehmen

  • Plattformen für Freelancer wie Programmierer, Webdesigner, Texter, Grafiker etc.

  • StartUps, die Rechtsberatungen anbieten. Unter anderem auch zu falschen Sozialbescheiden

  • Hebammen, die ihre Mütter via Skype auch digital betreuen

  • Niedergelassene Therapeuten, die für Erstkontakte zur Verfügung stehen

Wer weiß, was mir alles entgangen ist.

Und noch ausprobiert werden will.

Zum Neuanfang gehört ebenso Mut, wie den alten Weg hinter sich zu lassen und neue Möglichkeiten anzunehmen. Nicht nur für psychisch Erkrankte selber, sonder auch seitens des sozial-medizinischen Personals. Denn: Digitalisierung ist eine riesige Chance! Vielleicht nicht für die Helfer direkt, aber sicher und vor allem für die Patienten.

Leider gehört Digitalisierung nicht zu den Kernkompetenzen dieser Berufsgruppe. Sie begleitet jedoch psychisch Erkrankte und sind angehalten, diesen beratend zur Seite zu stehen. Viel zu oft wird nur der “Weg zurück” ins alte (Berufs-)Leben gesehen. Oder völlig an den Erfordernissen der Menschen und auch des Marktes vorbei. Denn auch die Wirtschaft kann von psychisch Erkrankten profitieren, wenn deren Potentiale gesehen und gefördert werden können. Diese veränderte Sichtweise zu forcieren ist ein Grund für dieses Projekt!

Viele neue Chancen warten darauf, gesehen, entdeckt und ausprobiert zu werden

Der Weg in ein neues Leben mit einer Mischung aus alten Kompetenzen und Ressourcen, die der Patient schon mitbringt. Zu den neuen Fähigkeiten, die während der Reha erlernt werden. Integriert in ein flexibles Modell, welches die Menschen wieder zurück in ein individuell flexibles Berufsleben führt, in dem er sich wohlfühlt und als einen sinnstiftenden Teil einer Gemeinschaft.

Über uns

Julia Albrecht heißt in Wirklichkeit anders. In diesen Artikeln berichten wir regelmäßig von ihrem Weg. Sie möchte nicht nur anderen Betroffenen helfen, wieder zu sich selbst zu finden und psychischen Erkrankungen nicht die gesamte Kontrolle über das Leben zu geben. Ausgangspunkt dabei ist die Frage, wie Digitalisierung einen Beitrag vor allem bei der (Re)Integration in den Arbeitsmarkt leisten kann.

Diese Artikel sollen Mut machen und aufklären. Sie stehen am Beginn eines Netzwerks, aus dem heraus Angehörige, Kollegen und Vorgesetzte gemeinsam mit den Betroffenen Antworten auf Fragen der Integration erhalten. Damit psychisch Erkrankte ihr kreatives Potential und das Recht auf ein erfülltes Leben verwirklichen können.

Das Projekt soll darüber hinaus Diskussionen und Veränderungen im Gesundheits- sowie Arbeitssystem anstoßen. Julia haben sie im Stich gelassen.

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