Eine BWL-Professorin erkennt in dem allgemeinen Wunsch, mehr Zeit für sich zu haben und nicht mehr nur für die Arbeit zu leben, ein großes gesellschaftliches Problem. Hat sie recht oder wird hier vielmehr aus einer sehr bequemen Bubble heraus argumentiert?
Alarmierende Zustände: Jüngere Mitarbeiter*innen wollen eine Work-Life-Balance
Wie viel sind wir heute noch bereit für die Arbeit zu leisten? Zu wenig, denn die Freizeit wird den meisten, gerade jüngeren Mitarbeiter*innen immer wichtiger – und diese zunehmende „Leistungsverweigerung“ ist gesellschaftlich und wirtschaftlich extrem bedenklich – so könnte man die Aussage eines Interviews mit der BWL-Professorin und Globalisierungskritikerin Evi Hartmann, das vor ein paar Tagen im Handelsblatt erschienen ist, beschreiben. Aber was genau stößt der Autorin des Buches „Ihr kriegt den Arsch nicht hoch“ an dem Wunsch nach einer Work-Life-Balance so extrem auf und wieso wird diese so launig mit einer Verweigerung von Leistung gleichgesetzt?
Frau Hartmann, die selbst mindestens einen 14-Stunden-Tag und vier Kinder hat, leistet und arbeitet gerne, wie sie sagt. Und sie müsse immer mehr mit ansehen, wie gerade die jüngere Generation sich diesem Leben, das auf Arbeit, auf quantitative Leistung ausgerichtet ist, verweigert. Sie, die ja gleich schon im Vorstellungsgespräch nach den Überstundenregelungen fragen würden, weil ihnen ihre Freizeit, ihr Leben neben der Arbeit so wichtig sei – das hätte es früher nicht gegeben! Ausgleich sei schon okay, aber nicht in einer Unverhältnismäßigkeit hin zum Spaß. Und noch viel schlimmer, mit der schieren Unersättlichkeit nach Privilegien, würden die Jüngeren auch noch die Älteren anstecken, die auf einmal auch weniger arbeiten wollen würden. Wo kommen wir da hin? China hat uns schließlich als Wirtschaftsmacht längst überholt! Aber statt das ernstzunehmen, würden immer mehr Menschen nur Dienst nach Vorschrift machen, mehr nicht. So kann es einfach nicht weitergehen.
„Statt dass es um Leistung geht, wird nur noch über Sabbaticals und Wohlfühlbelange schwadroniert. So kommen wir als Gesellschaft nicht weiter.“
Der Leistungsgedanke zwischen Romantisierung und Alarmismus
Es ist ein Interview, das wohl jedes neoliberale Herz sofort freudig höher schlagen lässt. Endlich sagt’s mal eine! In die deutschen Büros ist der Schlendrian eingezogen. Alles schön und gut, wer leisten will und unter Leistung einen extrem vollen sowie langen Arbeitstag versteht, der soll das bitte gerne tun. Und dennoch lohnt es sich, ihre Aussagen mal genauer anzusehen, denn in vielen Teilen schwankt die von ihre gemachte Definition von Leistung zwischen Alarmismus und Romantisierung. Aber auch ganz grundsätzlich lässt das Interview ein Geschmäckle zurück, da Evi Hartmann nun einmal zu einem kleinen Kreis an Menschen gehört, die sich diese Form der Leistungsbereitschaft oder auch Selbstdefinition durch den Job leisten können – denn, dass sie so viel weg ist, wird bei ihr durch ein Kindermädchen und eine Haushälterin abgefedert, sie selbst sieht ihre Kinder nur zum Essen. Schon das zeigt: Es ist nicht viel mehr als eine Rede aus dem Elfenbeinturm heraus. Wie viele Menschen machen aber den von ihr angeprangerten „Dienst nach Vorschrift“, was ja erstmal einfach einen Einsatz von 100 Prozent meint, weil bei ihnen zuhause eben keine Angestellten für die Kinder oder andere zu pflegende Familienmitglieder sorgen. Wie viele müssen pünktlich oder manchmal vielleicht sogar vor offiziellem Ende der Arbeitszeit nach Hause eilen, weil es einen Betreuungsengpass gibt? Wie viele sind wegen der schlechter Betreuungsituation oder auf Wunsch in Teilzeit, machen aber nach der Erwerbsarbeit mit der unbezahlten Care-Arbeit weiter – sind auch das Leistungsverweiger*innen?
Aber nicht nur finanziell, sondern auch was das Inhaltliche ihres Jobs betrifft, ist Frau Hartmann als Professorin und Autorin privilegierter als es viele andere Menschen sind – ja, sie kniet sich richtig tief rein in einen Job, den sie offensichtlich liebt. In dem sie sich verwirklichen, sich zeigen und etwas bewegen kann. Das ist wundervoll – es beschreibt aber wieder einmal nur die Realität von einem bestimmten Teil der arbeitenden Menschen. Wie viele andere haben einen Job, den sie einfach nur machen, um einen Job zu haben, um sich und die Familie versorgen zu können? Wie viele hatten, – warum auch immer – nicht die Wahl, sich den Job auszusuchen, der sie vollends erfüllt? Wie viele Menschen, haben Jobs, in denen sie nur eine gewisse Anzahl an Stunden arbeiten können, weil sie für sie körperlich oder mental so anstrengend sind, dass nicht mehr geht. Sind auch das Leistungsverweiger*innen, wenn sie dann Dienst nach Vorschrift machen?
Früher war alles besser – nach oben buckeln als Lebensprinzip
Und dann dieser Kampf der Generationen, der doch leicht künstlich wirkt. Ja, auch ich kann mich daran erinnern, als die ersten Praktikant*innen oder Jobeinsteiger*innen mit mehr Forderungen auf mich oder das Team zukamen, und mich das zunächst irritierte. Wir haben das tatsächlich früher nicht gemacht. Und das mag in meiner Altersklasse, ich bin Anfang 30, einerseits daran liegen, das auch wir nur diese eine Form von Leistung kannten, aber andererseits auch aus einer Angst heraus. Als ich meine Schule beendete, waren die Zeitungen voll mit Artikeln zur „Generation-Praktikum“ und dazu, dass Geisteswissenschaftler*innen zu Hauf arbeitslos sein würden – unsere unbedingte Bereitschaft, wirklich viel zu arbeiten, war neben einer Leidenschaft auch eine Art Panikreaktion. Ist das wirklich erstrebenswert? Ist es wirklich fatal, nicht mehr nur für die Arbeit leben zu wollen und sich auch schon als junger Mensch Privilegien, wie flexible Arbeitszeiten, reduzierte Stunden oder bezahlte Überstunden zu erkämpfen? Machen die es am Ende nicht schon viel früher sehr viel richtiger als wir? Oder sind sie nicht einfach Kinder ihrer Zeit? Ich kann darin keine Leistungsverweigerung, sondern eine Prioritätensetzung erkennen, die nun eben möglich ist.
Zudem: Wie wahr ist das überhaupt oder geht es hier nicht wieder um Einzelfälle? Denn wie geht denn die laxe, super entspannte Einstellung der neuen Arbeiter*innen damit einher, dass mentale Krankheiten insgesamt und Krankheitstage durch eine zu hohe Belastung zunehmen? Was ist mit dem Druck, der Überforderung, die aus einer sich immer schneller drehenden Welt entsteht? Mit dem Druck, eine Marke sein zu müssen, weil die Masse keinen Platz in der Arbeitswelt von morgen haben wird – denn damit hatten nicht nur wir, sondern haben auch die Berufsanfänger*innen von heute zu kämpfen. Was ist damit? Wie steht dieses Gefühl des Drucks, wie immer häufigere Burnouts im Verhältnis zu Menschen, denen Arbeit nicht mehr wichtig ist? Es hinkt.
Predigt aus der Privilegien-Kanzel
Auch ist die von der Professorin propagierte Definition von Leistung letztlich doch so unfassbar veraltet, weil heute nicht mehr alles händisch oder analog im Arbeitsleben funktioniert und zum großen Teil einst lange Prozesse heute mit einer rasanten Geschwindigkeit erledigt werden können. Die Digitalisierung hat uns doch längst die Räume dafür geschaffen, dass wir Leistung nicht mehr mit Präsenz, nicht mehr nur mit dem Zusatz der Quantität denken müssen. Dass wir flexibel und weniger arbeiten können oder sogar müssen, weil bestimmte Jobs wegfallen. Wer das aber freiwillig für sich nutzt, wird für Hartmann zur*m Anhänger*in einer Pseudo-Elite – für sie die schlimmste Kategorie von allen. Denn die schiebe die Arbeit weg und mache die wahre Leistungselite damit schlecht.
Nun, es herrscht also Unmut über die Arbeitswelt, und den könnte ich grundsätzlich sogar nachvollziehen. Statt aber weiter starke Thesen, die sich herrlich für einen Buchverkauf, aber nicht für eine echte gesellschaftliche Debatte zum Thema Leistung eignen, rauszuhauen, sollte Frau Hartmann vielleicht einmal den Blick aus ihrer sozialen Bubble herauswagen, wenn sie über tatsächliche Zustände und Probleme schreiben möchte. Denn ja, unsere Arbeitswelt hat Makel, aber die entfernen wir nicht durch einen jammernden Zwischenruf über eine ausufernde Work-Life-Balance – ganz im Gegenteil. Wer leistungsfähige, gesunde Mitarbeiter*innen will, der kommt ohne sie nicht aus. Aber was das überhaupt ist und ob sie das große Problem unserer Zeit ist, könnte man ja beispielsweise einfach mal Menschen fragen, die sich etwa in der Pflege im Schichtdienst für sehr wenig Geld den Buckel rund arbeiten. Ich wette, da kommen andere Sorgen auf den Tisch.
Titelbild: Depositphotos
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