Brigitte Zypries hatte heute ihren letzten Tag als erste Bundeswirtschaftsministerin der Republik. Einem Journalisten hat die Politikerin nun ein aufregendes persönliches Detail verraten: Sie ist heterosexuell.
Is it you, 2018?
Tief durchatmen. In dieser März-Woche mehren sich wieder einmal die Hinweise, dass wir nicht im Jahr 2018 leben, sondern irgendwo zwischen Mittelalter und den 50er-Jahren. Der Bundesgerichtshof beruft sich auf 2000 Jahre alte Traditionen statt sich gesellschaftlichem Wandel verpflichtet zu fühlen, Paragraf §219a StGB („Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche) wird wohl in dieser Legislaturperiode doch nicht gestrichen und ein Journalist fragt Brigitte Zypries, die am heutigen Mittwoch ihren letzten Tag als Bundeswirtschaftsministerin hatte (übrigens die erste Frau in diesem Amt), ob es sie ärgere, dass es über sie Gerüchte gebe, sie sei lesbisch.
Woher Dieter Wonka vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) dieses Gerücht hat, ist dabei nur die erste Frage, denn, so merkt die Plattform queer.de, die sich selbst „Zentralorgan der Homo-Lobby“ nennt und Expertenwissen zu allen LGBTIQ-Fragen besitzt, süffisant an, dieses Gerücht sei „selbst der queer.de-Redaktion nicht bekannt“. Anders formuliert: Das Ganze klingt, als sei es an den Haaren herbeigezogen und diene nur dem Zweck, im Interview mit einer scheidenden Bundesministerin mal „eine provokante Frage“ zu stellen. Und ich frage mich auch, ob Dieter Wonka entgangen ist, dass homosexuelle Spitzenpolitiker_innen mittlerweile nun wirklich nichts Besonderes mehr sind und in der letzten Legislatur eine andere Bundesministerin, Barbara Hendricks, offen lesbisch gelebt und sogar ihre langjährige Lebenspartnerin geheiratet hat, nachdem die Ehe endlich auch gleichgeschlechtlichen Paare offen steht? Welche provokante Frage hätte er Barbara Hendricks gestellt?
Ja, es ist wirklich eine Woche, in der alle, die sich ein wenig für Geschlechtergerechtigkeit und gesellschaftlichen Fortschritt interessieren, überall Schnaps umsonst kriegen sollten.
Lesbisch – na und?
Brigitte Zypries reagierte auf die Frage, die wörtlich lautete: „Der Tratsch lautet: Eine ledige und kinderlose Frau, die ist natürlich lesbisch. Ärgert Sie das?“ jedoch schlagfertig und unbeeindruckt:
„Es ist nichts dabei, lesbisch zu sein.“
Welche Antwort hätte der Journalist auch erwartet? Dass eine Politikerin, die sich in ihrer Laufbahn immer wieder für LGBT-Rechte eingesetzt hat, darüber entrüstet sein sollte, wenn jemand denkt, sie würde Frauen lieben? Die SPD-Politikerin hatte ganz besonders in ihrer Rolle als Bundesjustizministerin Gesetze mit vorangebracht, von denen die LGBT-Community profitiert hat. Zypries hat 2009 für ihr politisches Engagement sogar den Zivilcouragepreis des CSD Berlin erhalten.
Ihren aktuellen Beziehungsstatus (Single) kommentierte Brigitte Zypries trotz der ungelenken Frage immer noch humorvoll: „Als Ministerin kann man ja nicht einfach parshippen. Bei diesem öffentlichen Job ist es nicht so leicht, jemanden kennen zu lernen. Aber das ändert sich ja jetzt und dann werden wir sehen.“
Fasziniert vom Privatleben einer Spitzenpolitikerin bohrt Wonka jedoch weiter:
„Wie soll eine starke politische Frau zu einem Mann kommen?“
Was Brigitte Zypries dann antwortet, interpretiere ich dann zumindest auch als Wink mit dem Zaunpfahl an den Mann, der sie gerade interviewt: „Ja. Männer tun sich oft schwer mit starken Frauen.“
Im Journalismus bleibt 2018 jedenfalls auch noch genug zu tun.
Titelbild: Flickr | NEXTConf | CC BY 2.0
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