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Lean back! Wie dieser neue Führungsstil Frauen erfolgreich macht

Im Buch „Die LEAN BACK Perspektive” teilen 42 Frauen in Führungspositionen ihre Erfahrungen und Erlebnisse. Dabei erzählt jede eine spannende Geschichte aus einer anderen Perspektive.

 

Lean back

„Lean back“ bedeutet, dass man sich zurück lehnt und eine Perspektive einnimmt, in der man erkennt, was man braucht um seine Ziele zu erreichen. Es geht insbesondere darum, sich selbst den nötigen Raum zu geben, um Kraft zu schöpfen und zu erkennen, was einen selbst und seine Arbeit ausmacht. Für das Buch von Stefanie Hoffmann-Palomino, Christine Kirbach und Bianca Praetorius haben 42 inspirierende Frauen genau diese Perspektive eingenommen und ihre Lebens- und Berufsgeschichten aufgeschrieben. Eine davon war unsere Gründerin Susann Hoffmann, deren Kapitel wir hier als Auszug veröffentlichen.

Der Sprung ins kalte Wasser fühlt sich nicht wärmer an, wenn man später springt

Seit meiner Kindheit trage ich einen Satz in mir: „Der Sprung ins kalte Wasser fühlt sich nicht wärmer an, wenn man später springt.“ Ein Gedanke, der mich bis heute leitet und der mir selbst immer wieder zeigt, sei die Angst auch noch so groß – und ohne Frage, als schüchternes Kind, als aufmüpfiger Teenager, als neugierige Studentin, als Gründerin mit Weltverbesserer-Ambitionen, ich hatte und habe viele Ängste, kleine und auch große – der Sprung lohnt sich. Denn die Idee davon, wie etwas sein wird, ohne es erlebt zu haben, kann der Realität niemals das Wasser reichen, im Positiven wie im Negativen. Der Sprung ist der entscheidende Moment. Der Moment, in dem die Magie entsteht. In dem man über sich hinauswächst und ein Abenteuer wagt. 

Einen Gedanken aber habe ich diesem Lebensmotto meiner Kindheit hinzugefügt. Die Entscheidung, in welches Gewässer ich wie springe – ob direkt vom Ufer, mit Anlauf oder vom Zehn-Meter-Turm – liegt bei mir. Es gibt keinen perfekten Sprung. Worauf es ankommt, ist, im Wasser zu schwimmen und das kann immer weiter und schneller sein oder aber auch zurück ans Ufer. Der Sprung ins Start-up-Haifischbecken war in meinem Leben bisher einer der aufregendsten. Denn die Qualitäten, die in diesem Wasser gefragt sind, sind vielfältig. Und müssen oft erlernt werden, während man schon unterwegs ist. Umso besser, dass ich nicht alleine gesprungen bin, sondern zusammen mit meiner Mitgründerin Nora-Vanessa Wohlert. Drei Fähigkeiten, die wir beim Schwimmen gelernt haben: 

Goodbye, Ego 

Kaum eingetaucht ins Gründergewässer, findet man sich umgeben von vielen starken Persönlichkeiten, Mitschwimmern und auch großen Egos. Gründer brauchen Selbstvertrauen. Sie müssen den Drang haben, etwas zu bewegen, bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen und Teams anzuführen. Und dennoch ist das Ego allzu oft im Weg, wenn es darum geht, gute Entscheidungen zu treffen und zu verstehen, dass das Team genauso wichtig ist wie man selbst. 

Eine Erfahrung, die mir dies bewusst gemacht hat, war die Gründung eines Betriebsrats während meiner Zeit als PR- und Strategieberaterin in einer großen Kreativagentur. 

Unternehmen verändern sich. Egal, ob ganz jung und noch im Findungsprozess oder schon etabliert und immer wieder im Wandel der neuen Technologien, eines Unternehmensverkaufs oder aufgrund von Umsatzeinbrüchen. In einer solchen Zeit des Wandels befand sich auch meine Agentur. Wir waren allein in Berlin 500 Leute. Und wurden gerade erst an eine große internationale Agenturgruppe verkauft. Es gab Entlassungen. Es gab strukturelle Veränderungen. Und immer mehr freiwillige Kündigungen. Aber es gab wenig Kommunikation. Stattdessen: Schweigen vonseiten der Geschäftsführung und eine immer größer werdende Kluft. Denn die unternehmerischen Interessen entfernten sich mehr von denen der Mitarbeiter und die strategische Ausrichtung schien nur noch die oberste Management-Riege glücklich zu machen. 

Das Gefühl der Mitarbeiter: Die eigenen Bedürfnisse spielen keine Rolle mehr. Der Wunsch: eine bessere Kommunikation. Mehr Nähe. Der Plan: Wir wollten ein Sprachrohr für alle Mitarbeiter schaffen, um das, was das Unternehmen einmal ausmachte, wieder zu bekommen. Die Lösung: die Gründung eines Betriebsrats. 

Es ist wohl kaum eine Überraschung, dass der Weg bis zur Gründung des Betriebsrats steinig war. Denn der Unmut darüber aufseiten der Geschäftsführung war groß. Das ist ein Phänomen, das in der Vergangenheit große Konzerne betraf, das die etablierte Agenturszene kennt und das selbst bei Startups zu beobachten ist. Ein Betriebsrat schürt Angst bei denen, die ein Unternehmen lenken, weil sie sich in ihrer Macht beschnitten und ihrem Führungsstil angegriffen fühlen. Weil ihr Ego gekränkt ist. Letztens erst sagte ein Start-up-Gründer zu mir: „Wenn ein Betriebsrat kommt, bin ich weg“. Wieso? Auch Führungskräfte machen Fehler, brauchen ein Korrektiv, Austausch. Warum also nicht auch mit dem eigenen Team, mit Rahmenbedingungen, die das Persönliche außen vor lassen? 

Für mich bedeutet Unternehmer sein, offen zu bleiben: Die Augenhöhe nicht zu verlieren und die Wege für konstruktive Gespräche nicht zu versperren, ist das A und O. Gerade, wenn es um kritische Punkte geht. Dass heißt, sich gerade dann auch zu trauen, den Perspektivwechsel vorzunehmen. Denn wenn ein Teammitglied sich dazu entschließt, das Gespräch zu suchen, sind dem viele Gedanken und womöglich auch Sorgen vorausgegangen. Diese nicht ernst zu nehmen und nicht den Versuch zu wagen, die andere Seite einzunehmen, ist wohl eine der größten verpassten Chancen, um zu verstehen, was ein Unternehmen, ein Kollege oder ein Projekt braucht. Alle Start-up Gründer streben ja bekanntlich die Weltherrschaft an, wollen die alten Märkte aufbrechen und erneuern. Super. Nur, wer all das gemeinsam mit anderen erreichen will, lässt sich auf dem Weg dahin besser nicht nur von seinem Ego beraten. 

Team, ahoi 

Eines meiner größten Learnings als Gründerin war das Loslassen, Verantwortung abgeben und verstehen, dass nicht alles nur auf meinen Schultern lasten muss. Gründer haben meist ganz konkrete Vorstellungen davon, wie etwas sein soll, was die nächsten Schritte sind, welche Partner für ein Projekt nötig sind. Gründer sind Allrounder. Das große Ganze immer im Blick, in allen Bereichen gut oder motiviert sich einzuarbeiten, damit der Laden läuft. Denn als Gründer ist man Motor und Antrieb, Stratege und Umsetzer. Und wenn der Plan aufgeht, steht man schnell mit mehr Teammitgliedern da und versucht auf einmal, nicht mehr nur sich selbst und das Unternehmen über Wasser zu halten, sondern viele andere mit. Falsch. Denn was ich lernen durfte, ist, dass wir uns alle gemeinsam tragen und jeder auf der Wegstrecke mal zur rettenden Boje wird oder kurz vorm Untergehen ist, weil die Kräfte nachlassen. Die Frage ist also: Wie schaffe ich es, Teammitglieder, die gerade dabei sind unterzugehen – weil es zu viel ist, weil die Aufgabe zu herausfordernd ist oder weil persönliche Themen dazukommen – nicht zu verlieren und so stark zu machen, dass sie auch wieder zur Boje werden können? Wie schaffe ich es, dass die Leidenschaft und Motivation, mit der jemand zu EDITION F gekommen ist, nicht versiegt? 

Die beste Antwort auf meine Fragen las ich in einem Interview. Pascal Finette, Coach und Dozent an der Singularity University, sagt sinngemäß: Die Sache mit der Motivation ist einfach. Denn hat man als Chef bei der Einstellung die richtige Wahl getroffen und Menschen in sein Team geholt, denen ihre Arbeit mehr bedeutet als ein Gehaltsscheck am Ende des Monats – weil sie lieben, was sie tun, weil sie sich damit identifizieren und Teil einer Idee, einer Bewegung oder einer Kultur sein wollen – dann hat man die halbe Miete drin. Denn Motivation lässt sich nicht erzeugen. Sie lässt sich nur aufrechterhalten. Nur wie? Die Antwort des Coachs lautet: Werden Sie als Chef interner Dienstleister für Ihre Mitarbeiter. Das klingt erst einmal frustrierend – denn das Modell „Chef “ scheint im Grunde weit weg vom Modell „Dienstleister“. Aber um die Motivation nicht abreißen zu lassen, gilt es eben, die Hürden, die jeder Job mit sich bringt, möglichst klein zu halten – egal, ob es um gute Software geht, um Unterstützung bei schwierigen Kunden, um Brainstormings oder um drei kürzere Tage pro Woche, weil die Kita schon 16 Uhr schließt. Mit den Mitarbeitern sprechen, ihre Themen und Probleme registrieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem diese weniger werden, ist essenziell, um die Anfangsmotivation auf der Strecke nicht zu verlieren. Und dazu gehört Vertrauen, in die Mitarbeiter und darauf, dass diese richtige Entscheidungen treffen. Und sich reinhängen. Mitziehen. Selbst in schwierigen Zeiten. 

Dass diese Strategie aufgeht, hat mir nicht zuletzt die Phase gezeigt, in der wir mit EDITION F noch Startschwierigkeiten hatten, als das Geldverdienen noch nicht so klappte wie gedacht oder als die Entwicklung der Plattform länger dauerte als geplant. Das scheinen Kleinigkeiten zu sein, aber junge Unternehmen geraten durch ebendiese kleinen Stolpersteine schnell ins Wanken  – und es war toll zu sehen, dass auch in dieser Zeit jeder unserer Mitarbeiter da war, dass sie verstanden haben, worauf es jetzt ankommt und mit uns alles gemacht haben, um das Tal zu durchschreiten. Da nützt es als Chef nicht, die Ziele und den Druck zu erhöhen, sondern transparent zu sein. Schwächen zu zeigen. Aber auch den Willen zu zeigen, dass man weiter an die Vision glaubt. Daran, dass es einen Weg gibt. Nora und ich haben gezeigt, dass wir gerade viele kleine zusätzliche Bojen brauchen, an denen auch wir uns festhalten können, denn alleine werden wir vielleicht untergehen. Die gleichen Mitarbeiter, die damals mit uns geschwommen sind, die in vielen Momenten Halt gegeben und die wir in anderen Momenten mitgezogen haben, sind heute noch da. In den guten Zeiten. Mit der gleichen Motivation. Mit noch mehr Ideen. Und einer Kultur, die mich glücklich auf alles schauen lässt, was wir zusammen erreichen. 

Hello, me 

Das Ego hinter sich zu lassen, ist eine große Sache, vor allem, weil es eben nicht nur im Weg steht und sich als Hürde zeigt, sondern oft auch schützt. Denn jeder von uns hat Grenzen – auch, wenn wir stetig bemüht sind, diese zu verschieben, neu zu definieren und zu überschreiten. 

Denn wir sind Unternehmer und Chefs, Studenten oder Angestellte. Wir sind Menschen mit Stärken und Schwächen. Wir sind die Person, die auf Bühnen selbstbewusst und intellektuell klingt und die den direkten Small Talk mit Fremden danach aus Unsicherheit scheut. Wir sind die einfühlsame Freundin in schweren und die ausgelassene in guten Zeiten, wir sind leidenschaftlich und neugierig auf das Leben und die Welt und dann wieder vorsichtig und ängstlich. Wir wollen vieles sein. Die sexy Frau auf Instagram, die schlaue Akademikerin auf Twitter. Nur eines sind wir selten, ganz bei uns und vor allem ganz authentisch in jeder Situation. Genau das meine ich mit „Hello, me“: erkennen, was einen ausmacht, versuchen, nicht jedem Bild zu entsprechen, das andere von einem haben, oder sehen wollen und offen zeigen, wo auch die eigenen Grenzen sind. 

Für mich heißt das, manchmal auch von einer Bühne zu kommen und das Netzwerken direkt auszulassen, wenn mir nicht danach ist. Manchmal bedeutet es, auf einem Event auch die Erste auf der Tanzfläche zu sein. Näher bei mir zu sein, Menschen zu zeigen, wer hinter dem Bild steckt, das sie von mir haben, ist eine Befreiung, die mehr Kräfte freisetzt – anstatt mit Ängsten durchs Leben zu gehen, einem Bild zu entsprechen, das mir selbst so schwerfällt zu erfüllen, oder aber einfach angepasst zu sein. Es kostet Mut. Es ist ein Sprung für sich. Zu zeigen, wer man ist, ist das Gegenteil der vielfach gepriesenen Lean in Strategie. Sich reinzuhängen ist toll, aber wer erkennt, dass viele Projekte oft keine Sprints, sondern eher Langstrecken sind, teilt sich seine Kräfte ein, macht Pause. Also, lean back. Zumindest ab und zu. 

Immer im Wasser 

Die größte Herausforderung beim Schwimmen in neuen Gewässern ist, dass man nicht weiß, was kommt. Das Einzige, worauf man sich verlassen kann, sind die Fähigkeiten, die man bereits besitzt, mit denen man losschwimmt und die einen tragen und treiben. Sich bewusst zu machen, was man bereits geleistet hat, welche Fähigkeiten man in all den Lebens-Abenteuern schon gelernt hat, ist essenziell, um bei sich anzukommen, um Stärken und Schwächen anzunehmen, daran zu arbeiten. 

Ich möchte nichts anderes tun, als in diesem Gewässer zu schwimmen , weil ich vom richtigen Ufer ins richtige Gewässer gesprungen bin. Weil ich schon beim Absprung Nora an meiner Seite hatte und auf dem Weg immer mehr Mitschwimmer dazukommen. Immer wieder heißt es: Nehmen wir auch die nächste Klippe? Und das muss jeder für sich entscheiden. Mein Rat ist nur: Wenn du neugierig genug bist, die Leidenschaft beim Gedanken an das Neue wächst, dann lass die Angst nicht alles überschatten. Und spring.

Coverbild: Springer Verlag

Stefanie Hoffmann-Palomino, Christine Kirbach, Bianca Praetorius: „Die LEAN BACK Perspektive: Leadership heute – 42 inspirierende Wege erfolgreicher Frauen”, Springer, Oktober 2016, 470 Seiten, 19,99 Euro.

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