Heute hat das Bundeskabinett die Digitale Agenda verabschiedet. Wenig überraschend: Das Papier verliert sich in Prosa und verspricht kaum Konkretes.
Arbeits-programm für drei Jahre
Am heutigen Mittwoch hat die Bundesregierung die Digitale Agenda vorgestellt, die nicht nur von der Wirtschaft gespannt erwartet wurde. „Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik“ – mit diesem Spruch machen vor allem immer wieder Aktivisten darauf aufmerksam, dass Themen der digitalen Gesellschaft in allen Ressorts zuhause sind. Zuständig für das politische Programm der nächsten Jahre sind für die Große Koalition gleich drei Minister: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).
„Digitale Agenda 2014 – 2017“ prangt auf dem Deckblatt des Dokument – nur drei Jahre für ein ambitioniertes Programm, das sich in sieben große Themenfelder aufteilt. Doch dementsprechend vage bleiben die Pläne der Bundesregierung. Auch die Digitale Agenda, die laut Gabriel neben der Energiewende und dem Fachkräftemangel das wirtschaftspolitische Thema dieser Legislatur bildet, muss sich dem Ziel des ausgeglichenen Haushalts unterordnen. Zu konkreten Ausgaben für den Breitbandausbau, dem zentralen wirtschaftspolitischen Instrument, findet man in dem Papier der Koalition daher wenig. Laut einer Kostenstudie, die das Bundeswirtschaftsministerium selbst in Auftrag gegeben hat, werden die Kosten für einen Breitbandausbau für 100 Prozent der Haushalte mit mindestens 50 Mbit/s bei ca. 20 Milliarden Euro liegen. Telekom-Deutschland-Chef Niek Jan van Damme forderte im Focus 25 Milliarden Euro Unterstützung vom Bund: „65 Prozent der Haushalte erreichen wir in den kommenden zwei Jahren, danach entscheiden die politischen Rahmenbedingungen.“ Mehr Informationen vom Bund soll es dazu jedoch erst Ende September geben. Das Themenfeld Breitband liegt bei Alexander Dobrindt, der zu diesem Zweck die „Netzallianz Digitales Deutschland“ ins Leben gerufen hat.
Viel Prosa, wenig Konkretes
Stellenweise liest sich das Papier zur Digitalen Agenda wie ein Schulaufsatz, der das Thema digitale Zukunft knapp verpasst hat, und stattdessen eine banale Bestandsaufnahme der jüngeren Vergangenheit ist: „Die Mobilität der Menschen wird zunehmend durch digitale Infrastruktur unterstützt: Wir erhalten Zugriff auf Apps, ermitteln vor Ort die beste Verkehrsverbindung mit Bus und Bahn oder den kürzesten Weg zur nächsten Bank. Autofahrer werden digital an Staus vorbeigeleitet. In den nächsten Flug können die Passagiere schon heute per Smartphone einchecken.“
Dass ein Vertreter der Bundesregierung tief stapelt, ist angemessen, zeigt aber auch, dass die Diskurskultur rund um digitale Themen ein Stück weit verstanden worden ist: „Es ist nicht unser Anspruch, bereits alle Antworten zu haben und dass sie alle richtig sind“, räumt Gabriel in der Pressekonferenz am Mittwochvormittag ein. Er möchte „alle zur Debatte einladen“ – doch wo? Über geplante Veranstaltungsreihen oder gar eine Online-Beteiligungsplattform ist bislang nichts bekannt. Wie man sich als normaler Netzbürger einbringen kann, bleibt ein Geheimnis.
Als Instrument betont der Minister insbesondere den IT-Gipfel, der fortgeführt werden soll, doch diese Veranstaltung ist in den letzten Jahren stets Treff „hochrangiger Vertreter“ aus Wirtschaft und Forschung gewesen – die Themen Bildung und Inklusion können hier kaum abgedeckt werden. Gerade hier wäre es jedoch spannend zu erfahren, was die Bundesregierung plant, um die Wirtschaft mit mehr zu beleben als mit Buzzwords wie der „Industrie 4.0“. Die Fachkräfte, die im IT-Bereich jetzt schon fehlen, werden zuwandern und ausgebildet werden müssen. Zwar findet sich in der Agenda ein Satz zur besseren Anerkennung ausländischer Hochschulabschlüsse, dass das jedoch nicht ausreichen wird, damit Deutschland für internationale Arbeitnehmer attraktiver wird, liegt auf der Hand.
Gründergeist wecken
Ähnlich schwammig bleibt der Punkt des Papiers zur Gründungsförderung. Man merkt Gabriel an, dass er gerade auf Startup-Tour war und bemüht ist, den deutschen Jungunternehmern Honig um den Mund zu schmieren: „Wie schaffen wir eine Startup-Kultur, die noch erfolgreicher ist als derzeit?“, fragte der Wirtschaftsminister heute morgen. Der „Gründergeist“ in Deutschland solle „durch die Weiterentwicklung der Informations- und Beratungsangebote“ gefördert werden, liest man in dem Dokument. Der Bundesverband Deutsche Startups e.V. hat als Reaktion auf die Agenda ein Positionspapier vorgelegt, das konkreter wird. Er fordert unter anderem die Integration von „unternehmerischem Lernen“ bereits in Schulen und Hochschulen und nimmt verschiedene Maßnahmen für das Bildungssystem in den Blick.
Auch bleibt zunächst offen, was sich hinter dem Punkt „die gezielte Unterstützung von Gründerinnen“ versteckt. Ein paar Klicks weiter wird man auf den Seiten des Familienministeriums fündig. Gemeinsam mit dem BMWi gibt es hier ein Papier zum Thema „Frauen gründen – Gründerinnen und Unternehmerinnen in Deutschland stärken“. Eine der Ideen dieses Papiers: Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe soll Lösungen erarbeiten, wie selbstständige Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit besser abgesichert werden können. Denn momentan klaffen hier große Lücken im Mutterschutz. Auch den Fall der Schwangeren, die gründet, kennt die Rechtslage aktuell nicht.
Umgesetzt wird anderswo
Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nennt die Digitale Agenda „Start eines offenen Umsetzungsprozesses“, Arbeitsgruppenprozess trifft es wohl eher. Zwar hat die Bundesregierung endlich erkannt, dass das Internet kein Neuland ist, und auch Deutschland nicht erst am Beginn der digitalen Revolution steht, sondern sich mittendrin befindet, der Text der Digitalen Agenda liest sich jedoch eher wie eine Zurkenntnisnahme des Umbruchs, der bevor gestaltet werden kann, zunächst einmal kognitiv verarbeitet werden muss. Während die Bundesregierung noch über die „Chancen und Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt“ sinniert, die sie „fundiert und umfassend beurteilen und erforderlichenfalls angehen“ will, nutzt die Mehrheit der Unternehmen bereits die neue Flexibilität, die durch mobiles Arbeiten entsteht, und versucht Arbeitsbelastungen einzugrenzen, indem beispielsweise E-Mail-Konten außerhalb der Kernzeiten nicht zugänglich sind oder Mails im Urlaub gelöscht werden.
Wichtigster Kritikpunkt der Digitalen Agenda bleibt, dass Bürgerrechte im digitalen Zeitalter in dem Papier vergessen worden sind, und das obwohl die Berichterstattung um den NSA-Skandal, den Whistleblower Edward Snowden und Wikileaks Gründer Julian Assange sowie Proteste gegen Überwachung aktuell eher lauter als leiser werden. Auf Nachfrage konterte Gabriel heute morgen wenig überzeugend: „Überwachung taucht nicht auf, weil es nicht Auftrag der Digitalen Agenda ist.“ Klar ist hingegen: Wird es den offenen Dialogprozess, den die Minister heute morgen ankündigten, auch mit der Zivilgesellschaft geben, wird Überwachung eines der Themen sein, dass an vorderster Stelle genannt wird.