Modeblogs inspirierten unsere Autorin jahrelang. Doch mit ihnen kam auch der Konsum. Wie kommt man da wieder raus?
Ich mag sie. Mochte sie. Immer. Modeblogs. Also ihre Fotos. Da ist zum Beispiel eine Wand. Buntstiftblau. Daneben eine Frau in einem blassgelben Kleid. Auf einer Couch. Dick, grün. Eine Samtcouch. Natürlich. Alle haben jetzt Samtcouches. Die Textur ist wichtig. Der Samt so dick wie möglich. Die Wand dahinter glatt. Dicker Samt. Blassgelbes Kleid. Und etwas in meinem Gehirn schaltet auf Pläsier.
Ein Leben wie gemalt. Verspielt. Kindlich. Ewig jung. Schön, denke ich. Und meine damit wahrscheinlich: sorgenfrei. Angenehm. Ich bekomme Lust, eine meiner Wände buntstiftblau zu streichen. Oder meine Fingernägel. Das geht schneller. Günstiger. Blau wie Geschenkband. Ich gebe blauen Nagellack auf Google ein. Finde ihn in unterschiedlichen Shops und Tabs. Lege ihn in vier Warenkörbe. Obwohl ich nie Farbe auf den Nägeln trage. Ich bestelle nichts. Aber in meinem Hinterkopf ist Blau. Bunstiftblau. Und grüne Couches. Samt. Dick.
Ich arbeite. Immer, wenn ich mich entspannen will: neue Bilder. Ich scrolle. Merke nicht, wie ich damit anfange. Merke nicht, wann, warum ich aufhöre. Ich merke nur, dass sich etwas in mir entspannt, während ich gleichzeitig einen Mangel empfinde. Ich habe keine blauen Wände.
Mode als Überflussinteresse
Ich bin weiß. Westdeutsch. Anfang dreißig. Mein guilty pleasure war immer Mode. Oder besser: Kleidung. Fotos von Kleidung. Unterschwellig habe ich mich dafür geschämt. Schon immer. Wahrscheinlich aus misogynen Gründen. Denn Mode las ich als primär weibliches Überflussinteresse. Und weiblich – so hat mich das Patriarchat programmiert – als schwächer als männlich. Weich. Das Weibchen, das sich schmückt. Um dem Männchen zu gefallen. Oder sich so sehr schmückt, dass es die Männer verschreckt. Es schien mir wie ein niedriges Interesse. Weil ich es niedrig hielt. Denn ich habe nie – oder nur sehr selten – Texte über Designer*innen gelesen. In den Modezeitschriften. In den sogenannten Frauenzeitschriften.
Ungefähr 2006 begann die Blog Culture. Das Jahr, ab dem ich keine Modezeitschriften mehr kaufte, um sie hinter Musikzeitschriften versteckt zu lesen. Anzugucken. Das Internet lieferte mir die Bilder diskreter. Passgenauer. Denn ich wollte keine hinteren 20 Heftseiten über Cremes. Keine Editorials mit großen Models, die vor Leinwänden Verrenkungen in unerreichbarer Kleidung machten. Das interessierte mich nicht. Zu steril. Ich wollte Hosen, Kleider, Pullover, Farben, aber doch nicht losgelöst von der Frau, die in ihnen lebt. Ich wollte mir die Hosen, Kleider, Pullover, Farben zu einer Geschichte zusammenfügen. Zu ihrer Geschichte. Eine Geschichte vom Interessant-sein. Anderssein. Anders als der Durchschnitt.
2006 war das Jahr, ab dem ich keine Modezeitschriften mehr kaufte, um sie hinter Musikzeitschriften versteckt zu lesen. Das Internet lieferte mir die Bilder diskreter.
Ich wollte Fotos von Frauen derart gekleidet, dass es mir möglich war, ein Leben in sie hinein zu assoziieren, das ich als erstrebenswert befand. Ohne genau benennen zu können, was in diesem Leben passieren sollte. Ich begriff Kleidung als eine Abkürzung, die Person zu werden, die ich gerne sein wollte. Jetzt schon wahrgenommen werden, als die, die ich einmal werden wollte. Unbewusst. Ich wollte, dass mein Leben anders ist. Anders als ich aufgewachsen war. Ich hatte keinen konkreten Plan davon, wie mein Leben sein sollte. Aber ich hatte Bilder davon, wie es aussehen sollte.
Darüber gesprochen habe ich selten. Wenn ich an anderen Leuten Schuhe, Shorts und Shirts entdeckte, von denen ich wusste, dass sie gerade in der Blogosphäre beliebt waren, war immer etwas Ertapptes dabei. Am Handy, vor dem Computer, in meiner Wohnung – allein – ergab das Kaufen und Nachkaufen Sinn. Es war Regulation einer Laune. Ein easy Fix. Wie der Gang zum Kühlschrank.
Draußen auf der Straße war mir meine Kleidung manchmal unangenehm. Weil draußen das Gebiet der Fantasie endet. Und weil da entweder niemand war, der es mir gleich tat, oder zu viele waren, die es mir gleich taten. Über Codes kommunizierten, was sie zwischen zwei Emails taten. Textil erzählten, dass sie besonders sein wollten. Und nicht wussten wie – und deswegen kauften, was ihnen besonders erschien.
Nach den Blogs kam Instagram
Wie oft gefielen mir Dinge, nur weil ich sie oft gesehen hatte. Ich wusste das. Aber es gibt kein antikapitalistisches Leben in einem kapitalistischen System. Um Konsum kommst du nicht herum. Dachte ich. Wenigstens isst du deine Kleidung nicht auf. Sie bleibt dir. Auch wenn ihre Codes – und damit ihr Wert – so schnell altern, wie die Industrie das will.
Nach den Blogs kamen die Mikroblogs. Instagram. Aus Bloggerinnen wurden Influencerinnen. Blogs starben oder wurden zu Blogazinen. Zu Firmen. Sie wurden Frauenzeitschriften ähnlicher. Waren nur jünger. Persönlicher. Die, die ich las, wurden politisch. Politischer. Wo es früher um Kaufräusche ging, ernüchterte man in Nachhaltigkeit. Baumwolle statt Synthetik. Label statt Discounter. Es war ein Erwachen und Erwachsenwerden. Ich las es wie ein schlechtes Gewissen.
Hashtag Bodypositivty. Da, wo jahrelang fast ausschließlich dünne Frauen waren, sollten nun auch kurvigere Frauen sein. Öfter. Aber eben seltener als auf der Straße. Denn es ging doch um Sehnsüchte. Nicht Ist-Zustände. Und ein Ideal löst sich nicht auf, nur weil man erkennt, dass es idealerweise kein Ideal geben sollte. Oder?
Der große Zwiespalt
Zunehmend wurden die Blogs feministischer. Die Orte, an die ich floh, um ins Träumen zu geraten, sagten mir, dass ich aufwachen sollte. Sparen sollte. Um unabhängig zu sein. Und einen Post weiter empfahlen sie mir eine Fendi-Tasche. Dissonanz. Muss man aushalten. Denn alles, was sich nicht auszahlt, muss querfinanziert werden. Mit Werbung. Noch mehr Werbung.
Von Bild zu Bild nahm ich den Zwiespalt stärker war. Meinen Zwiespalt. Die Bilder wurden mir zu Zigarettenpäckchen: „Wir können deine Gesundheit gefährden“, schienen sie zu sagen. Deinen Kontostand. Deine Ideen davon, was normal ist. Schön ist. Sie verdrehen dir den Kopf. Sagen: Akzeptier dich selbst. Und meinen: Wenn du diese teure Inneneinrichtung kaufst, akzeptieren dich andere. Als cool. Dein Hobby ist Werbung. Für weiße, reiche Frauen.
Wenn du diese teure Inneneinrichtung kaufst, akzeptieren dich andere.
Hashtag Black Lives Matter. Hinterließ auf ManRepeller – eines der größten, bekanntesten einstigen reinen Mode-Blogs – hunderte Kommentare. Das Blog hatte sich solidarisch erklärt mit der Bewegung, aber in der Corona-Krise Schwarze Mitarbeiterinnen entlassen. Geblieben waren Weiße. Vermögende. In den Kommentarspalten las sich jahrelang aufgestaute Wut. Schwarze Wut. Auf das System in dem wir leben, das rassistische, das sich in Mode nur allzu hässlich spiegelt.
Die Handtasche, die deine Privilegien zeigt
Die Bilder. Da ist eine dicke Wand. Daneben eine weiße Frau in einem Kleid. Ihre Figur ist wichtig. So dünn wie möglich. Das Gesicht so symmetrisch wie möglich. Die Textur ihrer Haut ist wichtig: So glatt wie möglich. Das Kleid, das Setting, alles so exklusiv wie möglich. Du kannst das haben. Wenn du maximal privilegiert bist. Glück hast. Geld hast.
Und vergisst: Damit es dir gut geht, geht es anderen schlechter. Bedeutend schlechter. Hier sind zehn Handtaschen. Die du noch nicht hast. Aber haben solltest. Wenn du cool aussehen willst. Dieses Jahr. Und wenn du blasé aussehen willst. Immer. Dann häng es dir um. Das Label, das deine Privilegien zeigt: Ich kann 1000 Euro für eine Handtasche ausgeben.
Ich frage mich, ob ich endlich alt und arm genug bin, um aufzuhören. Mit den Bildern. Der ständigen Verleitung zu mehr von dem, was ich eigentlich nicht brauche. Ein großer Teil meines Kleiderschanks kommt mir lächerlich vor. Jetzt. In der Corona-Krise. In der es Mode ist, den eigenen Konsum zu hinterfragen.
Ich frage mich, ob ich endlich alt und arm genug bin, um aufzuhören. Mit den Bildern. Der ständigen Verleitung zu Mehr von dem, was ich eigentlich nicht brauche.
Ich entfolge Modefirmen und Modeinfluencerinnen. Auf Instagram. Facebook. Ich entfolge Werbung, die mich emotional packt. Werbung, von der ich glaubte, dass sie schön ist. Werbung, von der ich glaube, dass sie mir Spaß macht. Machte.
Ich weiß, eine Vorliebe löst sich nicht auf, nur weil ich es möchte. Aber ich will nicht mehr anders aussehen. Ich will etwas anders machen.
Die Stimmung einer neuen Kleidung hält 24 Stunden. Wie lange hält die eines besseren Gewissens? Wie viel stärker stimuliert eigenes Schaffen, statt von anderen Geschafftes zu kaufen? Wie viel Zeit gewinne ich vom Tag zurück? Ich weiß es nicht. Aber ich ahne: Eskapismus is over. Bye bye.