Fast wäre Gesche Joost die erste Internetministerin in Deutschland geworden. Zur Botschafterin hat es gereicht. Ein Besuch an ihrem Arbeitsplatz.
Mehr Startup als Uni
Ein bisschen nach coolem Startup sieht ihr Arbeitsplatz aus. Irgendwie so gar nicht nach Universität. Großer hölzerner Esstisch, Kaffeemaschine wie im Café unseres Vertrauens, Ikea-Küche und eine Schaukel mitten im Raum. Gesche Joost sitzt mit einem Strahlen vor mir, ihre Beine hat sie angewinkelt, die Schuhe stützt sie auf dem Stuhl ab. Wir reden erst einmal übers Gründen. Und sie denkt sich ein in die Welt des Gegenübers, hört mir aufmerksam zu. Wirkt unglaublich symphatisch. Und ziemlich klug.
Gesche Joost ist seit 2011 Professorin an der Universität der Künste Berlin, seit 2005 leitet sie das Design Research Lab. Immer wieder kommen Studierende rein, fragen nach Personen und Räumen und Gesche Joost antwortet geduldig, hält hier und da einen Plausch. Sie wirkt in ihrem Element und der Unitrakt, den sie mit ihrem Lab am Einsteinufer in Berlin-Charlottenburg an der Universität der Künste nutzt, wirkt mehr wie ein Zuhause, zumindest aber wie ein Büro mit Charakter.
Fast ist man froh darüber, dass den Studierenden eine Professorin wie Gesche Joost geblieben ist und sie nach der letzten Bundestagswahl nicht die erste Internetministerin Deutschlands geworden ist. „Das hier ist meine Heimat“, sagt Gesche Joost.
Wahlkampf in Peer Steinbrücks Team
Fast wäre die gebürtige Kielerin, die im Wahlkampf in Peer Steinbrücks Team beraten hat, tatsächlich die erste Internetministerin in Deutschland geworden, doch für ein eigenes Ministerium fehlte der Großen Koalition dann doch der Mut. Das Ressort teilen sich nun drei Ministerien, obgleich die Design-Professorin, wenn sie mit leuchtenden Augen über die Chancen des Internets spricht, die Politikerin schlechthin gewesen wäre, um Deutschland in die digitale Zukunft zu führen.
Sie ist nun Internetbotschafterin, ein Ehrenamt ohne Ressourcen, ohne Macht und feste Kompetenzen. Als Digital Champion berät sie für Deutschland die EU-Kommission zum Thema digitaler Wandel. Ein Amt mit wenig direkten Einflussmöglichkeiten, aber vielen Gesprächen und Terminen. Fast 50 Prozent ihrer Zeit, vor allem der Freizeit, widmet Gesche Joost dem Internet und der Politik, erzählt sie mir. Man sieht ihr an, dass sie die Rolle und die Möglichkeiten glücklich machen und gleichzeitig viel Arbeit bedeuten. „Zu Beginn habe ich mich nicht getraut, auch nur eine einzige Anfrage für einen Termin abzusagen. Doch Fokus ist wichtig und so hat sich das im Laufe des Jahres gewandelt, ich muss mich fokussieren, kann nicht alles machen”, sagt sie.
Ihr Herz schlägt für die Verbindung von Design und Technologie. 20 Doktorandinnen und Doktoranden hat sie bei sich sitzen. Hunderte könnten es sein. Die Bewerbungen sind gut und zahlreich, erzählt sie. „Meine Idee von Führung ist dabei, zu ermächtigen. Ich selbst habe nicht immer einen Wissensvorsprung vor den Studenten, kann aber Struktur geben”, sagt Gesche Joost. Die Forschungsgruppe „Design Research Lab“ führt interdisziplinäre Projekte der Designforschung durch. Im Zentrum der Forschung steht der Nutzer, das macht die Forschungsgruppe ziemlich einzigartig. Im Lab selbst stehen Nähmaschinen, das Garn liegt in den Schubkästen neben kleinen Computerchips. „Jeder ist Designer hier, programmiert auch die Apps selbst“, sagt sie und wirkt ein bisschen stolz. Darunter ein Handschuh mit Sensoren, der die Sprache Taubblinder in Mails übersetzt. Oder eine Strickjacke, mit deren Hilfe ältere Menschen mit einer Minibewegung Hilfe rufen können.
Wichtigste Forderung: Digitales Denken
Gesche Joost denkt schon lange digital. 1996 programmierte sie mit einer Studienkommilitonin ihre erste Webseite, damals für Douglas. Digitales Denken steht bis heute im Zentrum ihrer Forderungen. „In den Bereichen digitale Bildung und digitales Lernen ist Deutschland noch nicht gut aufgestellt”, sagt sie. Die Internetbotschafterin der Bundesregierung sieht viel Nachholbedarf in der Bildung mit Digitalmedien. Kinder sollten früh Grundkenntnisse in Programmiersprache erwerben. Gründer will sie dabei ermutigen, mutiger zu werden: „Hätte mir Google vor zehn Jahren erzählt, eine Suchmaschine ohne Business Model wäre eine geniale Idee, hätte ich ja auch mit dem Kopf geschüttelt.” Außerdem sei die Begeisterung für digitale Jobs wichtig, so Joost. „Wir haben hervorragende Köpfe in Deutschland – und die sollten wir stärker fördern. Besonders junge Frauen für digitale Berufe zu begeistern, ist eine große Herausforderung.“
Gesche Joost selbst kommt aus einer Unternehmerfamilie, ihre Eltern haben eine Druckerei. Die Digitalisierung hat auch im Betrieb ihrer Eltern eine enorme Rolle gespielt, erzählt sie. Die Philosophie der Eltern hat sie mitgenommen nach Berlin: „Du machst das schon, haben meine Eltern mir immer gesagt. Und selbst unglaublich viel gearbeitet.” Gesche Joost selbst hat ihr erstes Studium abgebrochen. Schnell stellte sie fest, dass Archtiketur ohne 3-D-Vorstellungsvermögen keinen Sinn macht. Sie studierte Design und erforschte für ihre Doktorarbeit sozialistische Propagandafilme der 1920er-Jahre. 2005 stieg sie als einzige Frau unter 39 Männern in ein Berliner Forschungsinstitut zur Zukunft der Kommunikationstechnologie ein.
Gesche Joost soll als Internetbotschafterin den digitalen Wandel auf europäischer Ebene vorantreiben. Seit gut einem Jahr ist Gesche Joost Internetbotschafter. Ihr Fazit bis jetzt klingt eigentlich ganz positiv. „Für den Anfang hätte ich mir gewünscht, dass nur ein Ministerium den Hut aufgehabt hätte. Das hätte manche Prozesse beschleunigen können”, sagt sie. Hier und da klingt auch ein Zweifel durch. „Wenn wir die Netze ausbauen wollen und ländliche Regionen mit schnellem Internet versorgen wollen, dann müsste man jetzt eigentlich überall Baustellen sehen, weil Glasfasern verlegt werden“, sagt sie. Vieles würde man wohl zunächst über LTE lösen, fügt sie an.
Sie ist Deutschlands Vertreterin im Club der sogenannten Digital Champions. Seit 2012 gibt es das Gremium, initiiert von ehemaligen EU-Kommissarin Neelie Kroes, jetzt unter der Schirmherrschaft von Vize-Präsident Ansip und Kommissar Oettinger. Gesche Joost ist dabei ein politischer Neuling. Im Bundestagswahlkampf 2013 holte der damalige SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück sie in sein Kompetenzteam. Sie bezeichnet sich bis heute als Steinbrück-Fan. Vieles, was die Medien damals schrieben, empfand sie anders. Steinbrück sei nicht kalt, sondern intelligent und interessiert, sie möge seine Klarheit, sagt sie.
Die SPD schmücke sich mit ihr, war rund um den Bundestagswahlkampf oft in den Medien zu lesen. Spricht man mit ihr, wird aber deutlich: Diese Frau ist kein Schmuck, sie weiß genau, was sie will und macht und sagt, was sie denkt.
Steinbrück und Joost lernten sich 2008 kennen, er holte sie in seinen Beraterstab. Erst nach dem Wahlkampf, im Mai 2014, trat sie in die SPD ein. „Ich dachte mir, es wäre langsam an der Zeit, diesen Schritt zu wagen. Auch wenn ich nicht immer zu 100 Prozent hinter der Politik der Partei stehe, finde ich mich doch stark in ihr wieder“, sagt Joost. Wenn man Gesche Joost so zuhört, möchte man der Politik fast wünschen, sie fände ihren Weg in diese.
Gesche Jost schüttelt den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es mich die nächsten Jahre komplett in die Politik zieht.” Aber man weiß nicht, denke ich.