Foto: © IMEC

Gisèle: Die Frau mit der Kamera

Gisèle Freund gilt als eine der bedeutendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Eine Ausstellung zeigt ihren Blick auf Frida Kahlo, James Joyce & Co.

 

Ein Auge für den richtigen Moment

Ob Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, Virginia Woolf, Vladimir Nabokov, Walter Benjamin, James Joyce oder Frida Kahlo – Gisèle Freund hatte sie alle vor der Linse, die großen Dichter, Denker und Künstler ihrer Zeit. Die Porträts der Fotografin, momentan zu sehen in der Akademie der Künste, sind heute Ikonen. Sucht man im Netz nach Bildern von Simone de Beauvoir oder Virginia Woolf, sind Freunds Aufnahmen garantiert unter den schönsten Treffern. Was ihre Bilder noch immer so faszinierend macht? Nie wirken sie gestellt, sondern so natürlich, als seien sie mitten aus dem Leben gegriffen. Sie zeigen James Joyce, wie er mit seinem Hund spielt, Walter Benjamin lesend in der Bibliothèque Nationale, Evita Péron, wie sie sich gerade vor dem Spiegel zurechmacht, Frida Kahlo beim Enten füttern, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir einträchtig nebeneinander an ihren Schreibtischen arbeitend. „Gute Fotografen sehen mehr als andere Leute“, glaubte sie.

Gisèle Freund wurde 1908 in Berlin als Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Schon zum Abitur bekam sie von ihrem Vater ihre erste Leica geschenkt. Dennoch schlug sie zunächst einen anderen Weg ein und studierte Soziologie. Um sich das Studium zu finanzieren, arbeitete sie nebenher als Fotoreporterin. 1933 emigrierte sie nach Paris und promovierte dort. Schon bald lernte sie die Buchhändlerin Adrienne Monnier kennenlernt, die ihr Zugang zur schillernden Pariser Künstlerszene verschaffte. Freund war nicht nur eine begabte Autodidaktin und unter den ersten Fotografen, die Ende der 30er mit dem Farbfilm arbeiteten, sondern auch die geborene Netzwerkerin. Sie kam den Porträtierten näher als andere Fotografen und schaffte es sogar, den kamerascheuen James Joyce für ganze Porträtserien vor die Linse zu bekommen. Einige wurden zu engen Freunden, Walter Benjamin zum Beispiel oder später Frida Kahlo.

Erfolge als Fotoreporterin

Für ihre Porträts ist Gisèle Freund heute bekannt, aber ebenso eindrücklich sind ihre politisch engagierten Reportagen, die in Zeitschriften wie „Life“ gedruckt wurden. In Argentinien, wohin sie nach Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich floh, unternahm sie abenteuerliche Expeditionen nach Patagonien oder nach Feuerland. Seit deren Gründung 1947 arbeitete sie als assoziiertes Mitglied der legendären Agentur Magnum.

Ihr größter Coup, wahrscheinlich auch in finanzieller Hinsicht, war eine Fotoreportage über Evita und Juan Péron. Die Bilder entlarven das protzige Leben des Präsidentenpaars, zeigen den „Engel der Armen“ beim Juwelen zählen. Später schrieb sie, wie viel Mühe und Geduld es gekostet hätte, Evita Péron von der Sitzung zu überzeugen. Wie sie es geschafft hat? Gisèle Freund spekulierte auf die Eitelkeit der argentinischen First Lady und versprach ihr, sie durch ihre Fotografien unsterblich zu machen. Das hat sie getan, aber wohl nicht in deren Sinn. Der argentinische Propagandaminister hatte noch versucht, Gisèle Freund zur Herausgabe der Negative zu zwingen, doch diese hatte schon das Land verlassen. Die Fotografien verkaufte sie an zahlreiche internationale Zeitschriften und Illustrierte, unter anderem an „Life“, und löste damit einen politischen Eklat zwischen den USA und Argentinien aus.

Die Ausstellung in der Akademie der Künste zeigt nicht nur Bilder „Der Frau mit der Kamera“, wie sie ihr letztes Buch nannte, sondern auch Kontaktbögen, Schnappschüsse, Einladungskarten zu Ausstellungen, ihre Bücher, Briefwechsel und die Zeitschriften, mit denen die Bilder Gisèle Freunds um die Welt gingen.

Ausstellung in der Akademie der Künste

„Gisèle Freund. Fotografische Szenen und Porträts“: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Berlin. Bis 10. August. Dienstag bis Sonntag 11 bis 19 Uhr, am Pfingstmontag geöffnet.

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