Wie konnte es dazu kommen, dass jemand dachte, es sei eine gute Idee, sich vor dem Sex „Glitzer-Kapseln“ einzuführen – und wozu nur? Und auch die Frage: Ist es prüde, Sex zum Event zu machen – oder prüde, genau das dämlich zu finden? Eine Suche nach Antworten.
Don’t glitter bomb your vagina!
Erst kam Gwyneth Paltrow mit ihren Vaginal-Eiern aus Jade oder Quarz um die Ecke, von denen sie behauptete, sie würden die hormonelle Balance wiederherstellen, den Zyklus regulieren und Blasenschwäche beheben. Für dieses Versprechen mussten sie und ihr Unternehmen Goop einige Zeit später dann eine saftige Strafe zahlen – dank eines wachsamen Verbraucher*innenschutzes. Aber nicht genug: Dann erfindet auch noch jemand Glitter-Kapseln, die sich Menschen vor dem Sex einführen, damit endlich mal ein bißchen Stimmung aufkommt. Oder was sollte der Grund sein? Muss die Vagina echt zum Partykeller mutieren, damit Sex noch aufregend ist? Oder ist das nur falscher Alarm? Denn eigentlich sind die Kapseln laut Hersteller „Pretty Woman Inc“ dafür gedacht, den Ausfluss, der in unseren Unterhosen landet, was vollkommen normal ist, schöner zu machen. Wow.
Beworben wird das Ganze folgendermaßen: „The pretty little pill that makes you ‘magically delicious‘.“ An der Stelle sei allen gesagt, die daran zweifeln: Ihr seid auch ohne Glitzeraussfluss magisch! Und jeder, der was anderes behauptet, gehört sofort aus dem Leben aussortiert. Aber davon abgesehen, haben wir alle Ausfluss, mal mehr, mal weniger. Ob das hübsch aussieht, in der Unterbuxe? Wen zur Hölle sollte das interessieren? Macht denn die verdammte Selbstoptimierung vor nichts mehr halt?
Aber es gibt offensichtlich auch Menschen, wie bei BBC zu lesen war, die das magische Versprechen dann quasi auch noch zweckentfremden und sich vor dem Sex einführen. Weil’s es, irgendwie, ja… warum eigentlich?
Früher war mehr Lametta? Vergiss es!
Vielleicht sind wir als Gesellschaft mittlerweile so gelangweilt, dass Sex jetzt eventisiert werden muss, damit man noch Bock drauf hat. Vielleicht sind wir so übersättigt von der allgegenwärtigen Pornoästhetik, dass wir jetzt Glitzerpartikel in den Körperflüssigkeiten brauchen, damit Sex überhaupt noch jemanden hinter dem Ofen vorlockt. Oder wir sind so prüde, dass wir das Natürliche, Ungeschönte an unseren Körpern mittlerweile allumfassend eklig finden. Und die Idee ist dann, das Archaische mit niedlichem Glitzerspaß ins Jetzt zu holen. Oder vielleicht braucht der gefühlte Knalleffekt eines Orgasmus jetzt eben zusätzlich eine Snapchat-Ästhetik, weil alles, was heute überzeichnet ist, noch besser, noch realistischer wirkt? Mich beschleicht jedenfalls das ungute Gefühl, dass Sex alleine zu langweilig geworden ist, wenn es derlei Accessoires braucht, um selbst Körperflüssigkeiten den letzten Schliff zu verpassen.
Ob man eine Sache zelebriert, oder lieber vertuschen will, dass nicht viel dran ist, das weiß man bei Überinszenierungen ja nie so genau. Ob bei der Eigendarstellung, im Theater oder auf der Gartenparty. Im Fall dieser Glitzer-Kapseln kommt mit es eher so vor, als wisse man mit dem Sex ohne Performance-Charakter nicht mehr viel anzufangen. Denn der ist in der Regel nicht nur sexy, sondern auch lustig und wild – wenn man sich einfach gehen lässt, kommt es eben zu komischen Geräuschen, eigenartigen Verrenkungen, verzerrten Gesichtern, die auch kein Filter zu retten vermag, oder es wird ganz still und intim, ohne großes Tamtam. So ist Sex. Außer man holt die Glitzerkanone raus.
Ein ungesunder Spaß
Im Prinzip wäre mir das ja auch ziemlich egal, soll ja jeder den sexy Spaß haben, den er oder sie eben möchte. Wenn da nur die eine Sache nicht wäre: Es ist einfach nicht so gesund, sich den Glitterkram einzuführen. Und das ist jetzt auch nicht wirklich eine Überraschung. Hätte man sich ja erschließen können, dass der Glitzer möglicherweise in einem drin nicht so wahnsinnig gut aufgehoben ist. So warnt eine Gynäkologin auf ihrem Blog vor den Kapseln, weil sie Zucker beinhalten und sich das wiederum sehr ungünstig auf den Bakterienhaushalt in der Vagina auswirke – was zu Infektionen führen kann. In der Stellungnahme des Herstellers heißt es schlicht: Nichts, was für den vaginalen Bereich gedacht sei, käme ohne Risiko. Mmh.
Aber davon mal abgesehen, empfinde ich es vor allem als ungesund, Frauen zu suggerieren, sie müssten ihren Ausfluss aufhübschen. Wie viele Problemzonen wollen wir uns denn noch einreden lassen, bevor wir bei dem Schönheitswahn nicht mehr mitmachen? Frauenkörper haben in unserer Gesellschaft einen noch schwereren Stand als man bereits hätte annehmen können. Geht es bald bis zum Speichel, bis zum Popel, bis zum Stuhlgang? Oh ja, das geht es, denn: den Glitzer-Spaß gibt es von einem anderen Anbieter auch in der Anal-Version – mit „Shit the Glitter“ wird dann auch der nächste Toilettengang endlich etwas bunter. Nochmal: Wie übersättigt von allem, wie gelangweilt muss man eigentlich sein, um das zu wollen? Und ist das dann instagram-tauglich? Oder fühlen sich Menschen wirklich so besonders, dass selbst der Gang aufs Klo zu einem ganz besonderen Moment werden muss? Fragen, so viele Fragen.
Vielleicht bin ich ja auch einfach zu verkalkt und prüde, dass mich Sex in Snapchat-Optik nicht anlacht. Sexspielzeug finde ich ja generell auch ganz nett und wer sich den Stuhlgang fancy machen will, der soll sich ja auch nicht aufhalten lassen. In dem Sinne: Macht was ihr wollt, wenn ihr es denn wollt – aber schaut doch mal auf das Kleingedruckte. Dann bleibt der Abend oder die Minuten auf dem Klo mit Eventcharakter auch hinterher eine gute Erinnerung!
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