Foto: Phalinn Ooi I Flickr I CC BY 2.0

Immer noch falsch: das Betreuungsgeld

Das Betreuungsgeld wird zum 1. August 2014 auf 150 Euro erhöht. Dass Milliarden für Kitas fehlen, ist nur eine der negativen Wirkungen.

 

Betreuungsgeld steigt

Zwei Entscheidungen der jüngeren Familienpolitik jähren sich am 1. August 2014 das erste Mal. 2013 sind der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und das Betreuungsgeld in Kraft getreten. Das Betreuungsgeld, das Erziehungsberechtige erhalten, die für ihr Kind keine öffentliche Kita in Anspruch nehmen, wird zudem in diesem Jahr von 100 auf 150 Euro erhöht.

Diese Geldleistung, die unter der schwarz-gelben Koalition auf Betreiben der CSU beschlossen wurde, war von Anfang an hart umstritten. Von der damaligen Opposition wurde sie als „Herdprämie“ oder „Fernhalteprämie“ kritisiert. Das Hauptargument: Sie würde Kindern, die anstatt in einer Kita Zuhause betreut werden würden, den Zugang zu frühkindlicher Bildung erschweren. Außerdem wurde kritisiert, dass sehr wohlhabende Familien, die von nur einem Einkommen gut leben können, ebenfalls von der Leistung profitieren würden. Neben der Umverteilung nach oben zementiere dies traditionelle Rollenbilder, in denen die Frau nach der Geburt aus dem Berufsleben ausstiege, befürchteten die Kritiker.

Wie wirkt die Leistung?

In dieser Woche berichten zahlreiche Medien über eine Studie des Deutschen Jugendinstituts und der Universität Dortmund, die angeblich zeige, dass das Betreuungsgeld insbesondere Kinder aus Migrantenfamilien und von Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen aus Kitas fernhalten würde. Jedoch wurden die rund 112.000 Personen, die sich an der Erhebung beteiligten, im Zeitraum von Februar bis Juni 2013 befragt – also bevor das Betreuungsgeld ab August wirksam wurde.

Die Studie, die sich schon in ihrem Titel auf eine „kommunale Bedarferhebung“ konzentriert, kann folgerichtig nichts über die Auswirkungen des Betreuungsgeldes seit seiner Einführung aussagen und lediglich ein Bild davon vermitteln, welche Faktoren auf die Bedarfseinschätzung von Eltern Einfluss genommen haben. Der Sozialwissenschaftler Professor Stefan Sell nennt daher die Reaktionen von Medien auf seinem Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ „eine indirekte Ableitung hinsichtlich des Betreuungsgeldes (…) also man unterstellt, dass alle Eltern, die keinen Betreuungsbedarf vortragen, in der relevanten Altersgruppe dann Betreuungsgeldempfänger sind“. Empirisch ließen sich die Fragen nach der Wirkung des Betreuungsgeldes noch nicht beantworten, so Sell.

Erfahrungen aus Skandinavien

Jedoch gab es wissenschaftliche Belege, die aus bildungs- und sozialpolitischer Sicht gegen die Einführung des Betreuungsgeldes hätten sprechen müssen, bereits vor seiner Einführung. Denn in den skandinavischen Ländern gibt es diese Geldleistung für Eltern von Kindern unter drei, die keine öffentlichen Kitas besuchen, schon länger. In Finnland seit 1985, in Norwegen seit 1998 und in Schweden seit 2008. Dr. Anne Lise Ellingsæter, Professorin für Soziologie am Institut für Soziologie und Humangeografie an der Universität Oslo, hatte die Auswirkungen des Betreuungsgeldes für die nordischen Länder untersucht; ihre Expertise erschien 2012 in deutscher Fassung als Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das zentrale Ergebnis ihrer Forschungsarbeit:

– Die große Mehrheit der Leistungsempfängerinnen sind Mütter, vor allem Mütter mit niedrigem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund

Auswirkungen zeigten sich in weiteren drei Bereichen:

– Geschlechtergerechtigkeit, denn vor allem Mütter übernahmen die Betreuung der Kinder Zuhause und kaum Väter

– Die Beschäftigungsrate von jungen Müttern ging zurück, sie wurden häufiger wieder Hausfrau

– Die Nachfrage nach Kita-Plätzen sank

Die befürchteten Auswirkungen nach einer Einführung des Betreuungsgeldes in Deutschland waren also schon mehrfach wissenschaftlich in europäischen Nachbarländern belegt und gegenläufig zu den Ideen moderner Familien- und Bildungspolitik. Denn Länder, denen es ein Anliegen ist, Integration zu stärken, versuchen dies, indem sie schon kleinen Kindern Zugang zu Sprachförderung und Bildung ermöglichen, um ihnen gleiche Chancen auf dem Bildungsweg zu gewähren. Weiterhin versucht geschlechtergerecht-orientierte Arbeitsmarktpolitik Anreize zu schaffen, Frauen früh nach der Geburt ihrer Kinder wieder ins Erwerbsleben zu locken, damit sie finanziell unabhängig sind – in ihrer aktuellen Lebensphase und später, wenn ihre Rente sich aus Beitragsjahren ergibt.

Antiquiert und teuer

Das Betreuungsgeld ist heute genauso falsch wie vor einem Jahr. Zudem ist es teuer. Die SPD hätte es in den Koalitionsverhandlungen kippen können. SPD-Familienministerin Schwesig wollte das Betreuungsgeld nicht. Doch es überlebte die Verhandlungen. Experten gehen davon aus, dass es nun ein bis zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten wird – ohne Berücksichtigung der enormen Verwaltungskosten, die es mit sich bringt. Da wirken die 100 Millionen Euro, die der Bund bis Ende 2015 in den qualitativen Kitaausbau investieren will, wie eine Verlegenheitssumme.

Laut einer neuen Bertelsmann-Studie fehlen allein 120.000 Erzieher, um eine bessere Betreuung zu erreichen, die eine Investition von fünf Milliarden jährlich vorausetzen würde. Was davon jedoch nicht steigt, sind die niedrigen Gehälter des Personals in der Kindertagesbetreuung, was die Attraktivität des Berufes nicht erhöht.

Zudem steht noch eine wichtige Debatte aus: Wie will Familienpolitik diejenigen unterstützen, die bereits vor dem ersten Geburtstag des Kindes wieder arbeiten müssen oder wollen? Sie haben keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und schlicht Pech gehabt, wenn sie zum geplanten Berufseinstieg keine Kita oder nur eine teurere Alternative finden. Vom Betreuungsgeld profitieren sie nicht.

Wer also schnell wieder arbeiten möchte, weil die Familie beide Einkommen braucht, eine Person alleinerziehend ist oder ein Unternehmen führt, fällt aus dem Raster aktueller Familienpolitik. Statt alle Familienformen von Anfang an zu unterstützen, fließt nun viel Geld in eine Idee, die gern die Familie der 50er Jahre wiederbelebt sehen würde.

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