Foto: TIERINDIR

„Schaut man im Kiosk dahin, wo die Mädchen-Magazine stehen, ist alles rosa“ – TIERINDIR will es anders machen

Pornos, Menstruation oder die Scheidenflora sind Tabuthemen? Nein, sagen Nora, Imina und Luka und widmen diesen Themen ihrem Magazin TIERINDIR. Im Interview erzählen sie von ihren größten Träumen und Ängsten, aber auch von den gesellschaftlichen Debatten, die sie anstoßen möchten.

 

Wäre in rosa nicht alles viel besser?

Jeder kennt sie, die rosafarbenen Mädchenzeitschriften, in denen es vor allem um Stars, Schönheit und Beziehungen geht. Die Inhalte sind meist oberflächlich und sexistisch – sie ersticken jeglichen Wunsch nach Individualität und Vielfalt im Keim. Nora, Imina und Luka wollen mit ihrem Magazin TIERINDIR dagegen halten. Dabei sollen ihre Leser*innen in den Entstehungsprozess miteinbezogen werden. Wer möchte, kann seine persönlichen Herzensthemen vorschlagen und somit entscheiden, welche Inhalte auf TIERINDIR gespielt werden. Dabei kommen Themen, Debatten und Persönlichkeiten zu Wort, die viele junge Menschen, sowohl Frauen als auch Männer, bewegen. Wir haben die drei Studentinnen nach den Herausforderungen, Ideen und Zielen gefragt, die hinter ihrem Projekt stecken. 

Ihr macht das Online-Magazin TIERINDIR zu dritt. Wie habt ihr euch kennengelernt und wann war klar: Wir wollen etwas gemeinsam auf die Beine stellen?

Nora: „Imina und Luka haben meine Youtube-Videos geschaut. In einem davon sagte ich sowas wie: ,Mein großer Traum ist es, irgendwann ein eigenes Print-Magazin herauszubringen.‛ In diesem Moment war ich davon noch weit entfernt. Die beiden kamen dann allerdings ziemlich zeitgleich mit eigenen Ideen und Layout-Skizzen auf mich zu – so wurde alles schnell konkret. Da waren wir drei mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Gemeinsam.”

Welche Magazine habt ihr früher gelesen? Und wie habt ihr die Inhalte wahrgenommen?

Luka: „Ich habe mir wirklich jeden Monat die ,Bravo’, ,Hey’, ,Mädchen’, etc. gekauft, je nachdem welche Titelstory mich angesprochen hat: ,Wer hat mit wem Schluss gemacht?’, ,Wie kann ich am besten meinen Schwarm aufreißen?‛ … Im Großen und Ganzen haben wir alle drei ähnliche Magazine mit typischen Mädchen-Themen gelesen. Ich glaube, dass ich für uns alle sprechen kann, wenn ich sage, dass wir inzwischen sehr negativ über diese Art von Inhalten denken, die uns damals vermittelt wurden, von Oberflächlichkeiten bis hin zum Sexismus.“

Imina: „Ich weiß noch, dass ich mir jeden Mittwoch die Bravo gekauft habe, um über Stars im Bilde zu bleiben. Und ich habe jedes Wort geglaubt, was dort geschrieben stand. Das war so eine Art Bibel, irgendwie.“

„Schaut man im Kiosk ins Regal, wo die Mädchen-Magazine stehen, ist alles rosa. Wieso ist das 2018 immer noch so?“ – Luka

Was wollt ihr mit TIERINDIR anders machen?

Luka: „Eben das, was so viele Magazine vor uns falsch gemacht haben. Schaut man im Kiosk ins Regal, wo die Mädchen-Magazine stehen, ist alles rosa. Wieso ist das 2018 immer noch so? Unser Magazin ist sowohl für Mädchen als auch für Jungs, und für alle dazwischen. Wir legen großen Wert auf Toleranz, Respekt und Offenheit gegenüber jeglichen Themen. Mit unserem Magazin sprechen wir auch über Tabuthemen und Dinge, die sonst oft verschwiegen werden, weil sie  unangenehm sind.“

Nora: „Wir wollen unsere Reichweite nutzen, um jungen Menschen Inhalte zu vermitteln, hinter denen wir stehen können. Inhalte, die sie weiterbringen, positiv beeinflussen und vor allem: zum Nachdenken anregen.“

Imina: „Wir wollen einfach eine bessere Alternative bieten. Eine, die wir in dem Alter gebraucht hätten.“

„Es passt letztendlich perfekt auf unser Konzept: dass die Leser selbst beitragen und bei uns rauslassen können, was in ihnen steckt.“ – Nora

Wofür steht eigentlich der Name TIERINDIR?

Imina: „,Tier in dir‛ ist eigentlich ein Jennifer-Rostock-Song. Als ich die ersten Layout-Entwürfe zusammenbaute, hatte ich diesen Song irgendwie im Kopf, weil er einprägsam war und als zusammengeschriebener Titel schön aussah. Die ,Message‛ dazu entwickelten wir erst später.”

Nora: „TIERINDIR kann vieles bedeuten. Wir möchten immer jeden ermuntern, einen eigenen Zugang zu diesem Titel zu finden. Für mich persönlich heißt es, dass jede Person ein anderes Tier in sich hat und dieses rauslassen sollte. Die eine Person ist vielleicht eine Schnecke, die nächste ein Tiger. Aber alles hat seine Daseinsberechtigung. Wie auch die Talente, die in uns schlummern oder die Gefühle, die wir fühlen. Es passt letztendlich perfekt auf unser Konzept: dass die Leser selbst beitragen und bei uns rauslassen können, was in ihnen steckt.“

Wie teilt ihr eure Aufgaben auf? Hat jeder seine eigenen Zuständigkeitsbereiche?

Nora: „Im Grunde machen wir alle alles: Beiträge kreieren, betreuen und promoten, Social Media und so weiter. Aber natürlich haben wir auch unsere individuellen Stärken. Fallen Foto-Arbeiten an, übernimmt diese meistens Luka, Imina macht das ganze Website-Layout, viele grafische und künstlerische Arbeiten, ich kümmere mich um die E-Mail-Kommunikation, den Businessplan und sowas.“

„Ich glaube, Träume können eine riesige Motivation sein, Dinge in die Hand zu nehmen und einfach zu machen.“ – Imina

Bei Imina heißt es in „Über uns“, sie würde „zu groß träumen“. Geht das überhaupt, zu groß zu träumen?

Imina: „Natürlich nicht – und genau das versuchen wir ja auch zu vermitteln – trotzdem erwische ich mich immer noch ziemlich oft dabei, meine Träume und Ziele als unerreichbar zu bezeichnen anstatt einfach anzufangen, sie, soweit es in meiner Macht steht, zu verwirklichen. Aber das ist ein Lernprozess und ich arbeite daran. Ich glaube, Träume können eine riesige Motivation sein, Dinge in die Hand zu nehmen und einfach zu machen. Auf der anderen Seite sollten sie die Realität natürlich nicht komplett überschatten und degradieren.“

Wo findet ihr Inspiration für neue Themen? Was liegt euch besonders am Herzen?

Luka: „Da wir leider nicht so nah beieinander wohnen, sind die wöchentlichen Skype-Telefonate wirklich wichtig für uns. Wir tauschen uns über all die Dinge und Themen aus, die uns gerade beschäftigen oder auf dem Herzen liegen und finden dadurch immer wieder neue Anregungen für unsere Beiträge. Deswegen würde ich sogar behaupten, dass wir uns gegenseitig stark inspirieren, da wir alle in unterschiedlichen Themenschwerpunkten unsere Stärken haben und uns mit vielen Themen beschäftigen. Natürlichen lesen wir alle auch sämtliche Blogs und Magazine, sind viel auf Social Media unterwegs, besuchen Ausstellungen, lesen, bilden uns weiter.“

Nora: „Eine große Inspirationsquelle sind vor allem auch unsere Leser*innen, von denen TIERINDIR ja letztendlich auch lebt. Die Themen, die sie begeistern und beschäftigen, die thematisieren wir auch auf dem Blog. Da ist Tag für Tag Neues dabei: neue Denkanstöße, Ideen, Vorlieben, Gedanken und Gefühle.“

Imina: „Natürlich orientieren wir uns ein Stück weit an den Fragen: Was hätte ich in dem Alter gebraucht? Hätte ich nicht gern jemanden gehabt, der mir gesagt hätte, dass es noch andere Sexualitäten gibt als in der Bravo Foto-Lovestory jede Woche aufs Neue thematisiert wurde? Oder dass ich nicht so und so aussehen muss, nur um jemandem zu gefallen?

„Mein Selbstbild, meine Selbstwahrnehmung und vor allem auch die Wahrnehmung anderer – oft auch das Vergleichen mit ihnen – treiben mich teilweise nicht nur um, sondern auch in den Wahnsinn.“ – Nora 

Welche Themen, Debatten und vielleicht auch Ängste, treiben euch, und euer Umfeld, besonders um?

Nora: „Mein Selbstbild, meine Selbstwahrnehmung und vor allem auch die Wahrnehmung anderer – oft auch das Vergleichen mit ihnen – treiben mich teilweise nicht nur um, sondern auch in den Wahnsinn. Ich glaube, so geht es vielen jungen Menschen – vor allem in Zeiten von Social Media.”

Imina: „Ich bin in enger Verbindung mit der LGBTQ*-Community ,erwachsen‛ geworden und beschäftige mich viel mit Sexualitäten und der Frage ,Was ist eigentlich normal?‛, aber auch mit Heteronormativität und Feminismus. Außerdem setze ich mich viel mit dem Fan-Sein und der Verehrung von Stars auseinander.“

Luka: „Was passiert mit der Welt? Wie wird sie sich verändern?“

„Wir wollen weg von einer heteronormativen Weltansicht. Wollen einen von Vielfalt geprägten, ehrlichen Blick porträtieren.“ – Nora

An welcher Stelle wünscht ihr euch noch mehr Diskussion und Interaktion?

Nora: „Eine unserer Rubriken ist uns da besonders wichtig: ,Tabuthema? …‛. In dieser Rubrik kommen Themen wie die Menstruation, Pornos oder die weibliche Scheidenflora zur Sprache. Dinge, über die sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Was unglaublich schade ist. Solche und andere als ,unangenehm‛ deklarierte Themen sind jene, die wir gerade deswegen behandeln. Denn nur, weil nicht darüber gesprochen wird, heißt es nicht, dass sie nicht passieren oder nicht von Wichtigkeit sind. Im Gegenteil. Allgemein wollen wir zeigen, dass wir bunt sind. Dass unsere Leser*innen bunt sind. Wir wollen weg von einer heteronormativen Weltansicht. Wollen einen von Vielfalt geprägten, ehrlichen Blick porträtieren.“

Wie habt ihr die Debatte um #metoo wahrgenommen? Habt ihr euch selbst betroffen gefühlt? Und hat sich für euch etwas verändert seitdem?

Nora: „Ich habe für mich reflektiert und musste feststellen: Du kannst diesen Hashtag auch benutzen. Dir ist so etwas auch schonmal passiert. Das, was ich für normal und gängig gehalten habe, sollte ich nicht als solches hinnehmen. Und für diese Einsicht war ich dankbar.“

Imina: „Ich habe das Gefühl, dass sich das Bewusstsein für dieses heikle Thema in der Gesellschaft verändert hat: Es entstehen nämlich Diskussionen bei allen und Meinungen prallen aufeinander. Und darüber sprechen, sich austauschen und Standpunkt zu beziehen, das ist ja meist der erste Schritt in die richtige Richtung.“

„Manchmal ist die Meinung anderer sehr wichtig für uns, manchmal müssen wir aber auch aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr von unseren eigenen Gedanken abbringen lassen.“ – Luka 

Den Gedanken freien Lauf zu lassen, das ist euer Motto. Gab es schon Themen und Situationen, bei denen euch das schwer gefallen ist?

Luka: „Extrem politische Haltungen zum Beispiel, oder auch triggernde Themen, bei denen wir nicht ganz sicher gehen können, dass sie von unseren Leser*innen nicht falsch verstanden werden. Außerdem lernen wir gerade noch ganz schön viel dazu. Zum Beispiel auch, wie wir am besten mit Kritik umgehen können. Manchmal ist die Meinung anderer sehr wichtig für uns, manchmal müssen wir aber auch aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr von unseren eigenen Gedanken abbringen lassen. Wichtig ist noch zu sagen, dass es uns ja eigentlich vor allem darum geht, auch unangenehme Themen anzusprechen und das gelingt am besten, wenn man sich selbst treu bleibt.“

Was sind eure weiteren Pläne mit TIERINDIR?

„Wir haben noch viel vor: Seit kurzem haben wir mit Workshops in Schulen und Messen angefangen. Das möchten wir auf jeden Fall noch ausbauen. Außerdem arbeiten wir momentan an einem Podcast-Konzept, dem Launch für einen Online-Shop und weiteren Ideen für unseren Youtube-Kanal. Gerne würden wir auch weiterhin Vorträge halten. Aber unser großes Ziel ist es, irgendwann als Printmagazin als bessere Alternative neben der Bravo im Zeitschriftenregal zu stehen.“


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