Unsere Autorin Anna Schöll schreibt über die (Un-)Vereinbarkeit von Job und Familie, Dinge, die wir uns einfach anders vorgestellt haben und den Mental Load von Müttern, der sich oft anfühlt wie Betonfüße im Meer.
Heute Morgen hat mich eine Kollegin angerufen. Eigentlich hatte sie nur eine fachliche Frage. Doch schon nach dem ersten „Hey, wie geht’s dir?“ ist das Gespräch abgedriftet zu den wichtigen Dingen.
„Wie geht’s dir wirklich?“
„Ach, es ist alles so verdammt anstrengend!“
Der zweite Sohn wurde kürzlich eingeschult. Sie hat jetzt einen in der ersten Klasse und einen in der dritten Klasse. Fuck. Ich dachte, die Kita-Zeit wäre hart, mit Personalmangel, Notbetreuung und verkürzte Bringzeiten. Aber redet mal mit Eltern von Grundschulkindern.
Plötzlich sind da Themen wie OGS, die Kinder nur verwahrt, statt sie zu unterstützten. Hausaufgaben, die so umfangreich sind, dass Kinder und Eltern am Abend vor Frust kapitulieren. Überdrehte und/oder übermüdete Kinder, die den ebenfalls müden, aber nicht überdrehten Eltern abends den letzten Rest Energie abverlangen. Und Eltern (vorrangig Mütter), die in einer Spirale aus Stress und Überlastung stecken und deren Mental Load sich durch den neuen Arbeitsbereich „Schule“ anfühlt, wie Betonfüße im Meer.
Was bringt es, wenn sich 100 Mütter auskotzen und feststellen, dass sie nicht allein sind?
„Was bringt es, wenn sich 100 Mütter auskotzen und feststellen, dass sie nicht allein sind? Man fühlt sich fünf Minuten besser und dann realisiert man, dass sich trotzdem nichts ändert.“
Fuck, denke ich wieder und nicke.
Ja, man fühlt sich kurz besser, wenn man merkt, dass diese bleierne Erschöpfung, dieses Nichtvorankommen, dieses Hinterherhetzen, nicht dem eigenen Unvermögen, die perfekte Mutter zu sein, geschuldet ist. Sondern, dass es ein systemisches Problem ist.
Aber mal ehrlich: Macht es das besser? Nein. Denn wenn man selbst das einzige Problem wäre, könnte man ja wenigstens sofort und aktiv daran arbeiten. Stattdessen fühlt man sich wie der Hamster, der immer weiter rennt, aber eh nie rauskommt aus seinem durchsichtigen Plastikrad.
„Was ist heute anders als früher?“, frage ich.
Wir denken nach. Das Netz ist löchriger. Früher waren da Omas und Opas, Tanten und Onkel, dicht gewebt und stabil. Das Bollwerk Familie. Natürlich ist jemand da zum Abholen. Natürlich bekocht jemand das Kind. Natürlich macht man das nicht allein. Gerade Großstadtfamilien fehlt das heute häufig. Familie hat sich gewandelt. Aber auch die Ansprüche. An uns als Mütter und Väter, an unsere Kinder. Es sind mehr geworden. Viel mehr. Heute ist der Alltag eine einzige große Organisation. Ein durchgetakteter Arbeitstag, in dem Durchatmen seltener vorkommt als Durchdrehen. Wie beim Hamsterrad.
Es gibt solche Tage wie heute, an denen man keine Energie mehr hat. Sich nicht bewegen kann und erst recht nicht etwas bewegen kann.
„Ist das jetzt das Leben?“, fragt mich meine Kollegin.
„Heute schon, wahrscheinlich“, sage ich. Und dann sagen wir lange nichts.
Es gibt solche Tage wie heute, an denen man keine Energie mehr hat. Sich nicht bewegen kann und erst recht nicht etwas bewegen kann. Die einem den Rest geben und die einen zweifeln lassen. An allem. An jedem. Zuallererst an sich selbst. Heute ist das okay.
Morgen ist ein neuer Tag, eine neue Chance, etwas zu bewegen. Vielleicht im Kleinen, indem man endlich mal „Nein“ sagt, statt immer nur „Ja, kein Problem“ oder im Großen, wie es zum Beispiel die Initiator*innen des Bildungsprotesttags 2023 „Bildungswende Jetzt!“ am 23.9. taten und gemeinsam mit Tausenden bundesweit für bessere Bildungschancen auf die Straße gingen.
Wir müssen uns nicht damit abfinden, dass DAS jetzt das Leben ist. Wir können etwas bewegen. Und ja, das ist anstrengend. Und ja, das kostet zusätzliche Energie, die wir an manchen Tag einfach nicht haben. Aber wenn wir sie haben, dann müssen wir sie einsetzen. Gemeinsam.
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