Jeannette Gusko leitet die Kommunikation für die Kampagnenplattform Change.org in Deutschland. Wir haben mir ihr darüber gesprochen, warum die AfD Wähler mobilisiert hat und wie erfolgreiche Kampagnen funktionieren.
Mit „einfachen Wahrheiten“ mobilisieren
In Sachsen-Anhalt hat die AfD über 20 Prozent der Wählerstimmen geholt. Was machen sie besser als andere Parteien? Jeannette Gusko, Expertin für Online-Kampagnen, hat mit uns darüber gesprochen und erklärt, was man persönlich tun kann – und was alle Parteien jetzt lernen müssen.
Die hohen Wahlergebnisse für die AfD am Sonntag haben viele geschockt. Wie kann man sich denn jetzt am besten engagieren, damit Deutschland überall ein weltoffenes Land wird und Rassismus verschwindet?
„Das Wichtigste ist: Mund aufmachen. Ein guter Bekannter postete am Wahlabend auf Facebook, dass alle, die vom Ergebnis entsetzt seien, sich fragen sollten, was sie dafür oder dagegen getan haben. Öffentlich zu politischen Themen Stellung zu beziehen, zum Beispiel auch in sozialen Netzwerken, ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nicht sehr verbreitet. Es ist wichtig, in Alltagsgesprächen von Angesicht zu Angesicht und im Netz Haltung zu zeigen. Wenn jemand sich rassistisch äußert, sollte man dazwischen gehen. Jede und jeder kann sich für ein weltoffenes Deutschland engagieren. Vereinfacht ausgedrückt: Damit sich das Böse durchsetzt braucht es nur die eigentlich Guten, die nichts sagen. Dass man die Welt allein schwerer ändern kann, ist bekannt. Daher sollte man sich immer wieder in gleichgesinnten Communitys stärken und überlegen, welche Kämpfe man austrägt.“
Wie erklärst du dir den Erfolg der AfD? Machen sie in Sachen Kampagne etwas richtig? Oder anders gefragt: Lassen andere Parteien Möglichkeiten, um Menschen für sich zu mobilisieren, ungenutzt?
„Die AfD ist eine Internetpartei. Sie hat zu Beginn in Ermangelung von Parteistrukturen soziale Netzwerke als Infrastruktur für ihre Botschaften genutzt. Malte Henk führt einer ausführlichen Reportage in der Zeit an, wie sich AfD-Anhänger durch monokausale Erklärungen von Nachrichten zum Beispiel auf ihren Facebook-Profilen, immer wieder selbst als vermeintlichen Underdog bestätigen. Zudem haben nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen drei Viertel der AfD-Wähler/innen die Partei nicht aufgrund ihrer inhaltlichen Positionen, sondern als Ausdruck des Protests gegen etablierte Parteien gewählt. Einfache vermeintliche Wahrheiten, verbreitet auf Kundgebungen und im Internet, scheint hier als Mobilisierungsstrategie aufgegangen zu sein.
Es ist dringend erforderlich, dass Parteien online für ihre Standpunkte mobilisieren – vor allem zur Beteiligung von Bürger/innen, aber auch zur Legitimation gegenüber ihren Mitgliedern. Angela Merkel mahnte letztens auf dem CDU-Parteitag, dass die Partei nur von einem Drittel aller Mitglieder eine E-Mail-Adressen habe. Wie soll so 2016 Kommunikation und Mobilisierung von Mitgliedern funktionieren?
Derzeit wird zudem darüber diskutiert, dass sich die Parteien der Mitte wieder stärker voneinander differenzieren sollten. Wie Parteien ihr Profil online schärfen können, haben in Großbritannien Konservative als auch Liberale vor der Wahl letztes Jahr gezeigt. Sie haben mit Anzeigen auf Online-Plattformen zehntausende Interessierte für ihre Standpunkte zu Themen wie dem Staatsdefizit, einem Brexit-Referendum oder psychischer Erkrankungen mobilisiert.“
Du hast bei deiner Arbeit bei Change.org jeden Tag Kontakt mit Menschen, die etwas positiv verändern wollen. Wie prägt das deinen Blick auf unsere Gesellschaft? Macht dich das eher optimistisch?
„Change.org ist wie ein Gegengift gegen Zynismus: Wir lesen täglich von globalen Krisen, struktureller Ungleichheit oder fehlender Solidarität – also scheinbar unüberwindbaren Missständen. Bei uns kann jeder und jede sofort eine Kampagne starten und so konkrete Verbesserungen anstoßen. Jeder Erfolg – ob Einzelfall oder systemische Veränderung – inspiriert mehr Menschen, ebenfalls aktiv zu werden. Persönlich inspiriert mich vorallem die weltweite Frauenrechtsbewegung, welche online gut vernetzt ist und zunehmend Themen auf die Agenda setzen kann, z.B. der Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, für das Recht auf Bildung für Mädchen, gegen sexistische Steuergesetzgebung oder antiquierte Frauenbilder in den Medien. Wenn sich das zuvor aussichtslos Erscheinende dreht, zeigt sich die Macht des Campaignings.“
Was hat dich persönlich motiviert, bei Change.org zu arbeiten?
„Ich bin in meinem vorherigen Job in der Wissenschaft der Frage nachgegangen, unter welchen Bedingungen sich schnell wachsende Organisationen intern verändern. An Change.org reizt mich die Herausforderung, gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu skalieren. Wir geben leidenschaftlichen Menschen weltweit machtvolle Werkzeuge und Wissen in die Hand, damit diese ihre Anliegen vertreten können. So entstehen effektive Communities für zum Beispiel Teilhabe von Kindern mit Behinderungen am Nachmittagsprogramm, aber auch soziale Bewegungen für die großen Themen unserer Zeit wie zum Beispiel Rassismus oder Sexismus. Hier stehen wir erst am Anfang – künftig werden Crowdfunding und Campaigning stärker verschmelzen und für Bürgerklagen sowie Volksentscheide online mobilisiert werden. Persönlich habe ich in den Jahren nach dem Fall der Mauer große Sprachlosigkeit in der Elterngeneration Ostdeutschlands erlebt. Dass Menschen ihre Stimme erheben und ihre Vorstellungen mit in den Diskurs einbringen können, ist für mich essentiell.“
Was machst du außerhalb deines Jobs, um die Welt zu verändern?
„Ich habe 2014 das Campaign Boostcamp mit gegründet, ein einjähriges Training für Kampagnentalente. In Deutschland ist noch viel Raum für exzellentes Online-Campaigning; wir wollen, dass der Sektor vernetzter, diverser und inklusiv wird. Alumni der ersten beiden Jahrgänge helfen nun etablierten NGOs und Parteien, sich zu digitalisieren, haben ihre eigene Kampagnenorganisation gegründet oder campaignen zu Rechten für Gehörlose. Mich interessiert zudem die Arbeit von Sozialunternehmen. Seit letztem Jahr berate ich deshalb als Beirätin das Zahnräder-Netzwerk, ein Inkubator für muslimische Social Start-ups.“
Kannst du mittlerweile sehr genau sagen, welche Zutaten eine Petition bei Change.org braucht, um sehr viele Menschen zu erreichen?
„Erfolgreiche Petitionen verfolgen zumeist ein klares Ziel, kommen zur richtigen Zeit, zum Beispiel, wenn Medien darüber berichten und sie haben eine starke überzeugende Geschichte. Warum ist etwas ungerecht und wie können andere Menschen – Unterstützer/innen als auch Entscheidungsträger/innen – dabei helfen, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen? Dabei ist übrigens nicht allein die Zahl der Unterschriften wichtig, sondern wie aktiv meine Unterstützer/innen sind. Viele Kampagnen gewinnen mit wenigen Hundert Unterschriften.“
Was macht denn über Petitionen hinaus eine Kampagne erfolgreich? Welche zentrale Frage sollte sich eine Organisation stellen, wenn sie eine Kampagne plant?
„Eine Petition ist eines der effektivsten Kampagneninstrumente, um eine Online-Community um ein Anliegen aufzubauen. Das ist in den seltensten Fällen aber ausreichend, um das Kampagnenziel zu erreichen. In erfolgreichen Kampagnen schaffen Organisationen Anlässe, zu denen sich Community-Mitglieder weiterführend engagieren. Das können Mediastunts im öffentlichen Raum sein, Aufrufe zu User-Generated-Content wie Fotos oder Videos in sozialen Medien, Telefonketten, eine Petitionsübergabe und Verhandlung mit Entscheidungsträger/innen – immer begleitet vom kontinuierlichen Teilen der Petition, Webseite oder Hashtag. Diese Form des Crowd-Campaignings setzt Vertrauen in die Community voraus und die Fähigkeit, Vielstimmigkeit auszuhalten. Online und offline sind nahtlos erlebbar. Die zentrale Frage für Organisationen und Einzelpersonen gleichermaßen ist: Welche Kampagnenaktion ist zum jetzigen Zeitpunkt die effektivste, was machen wir lieber nicht?“
Was würdest du den Leuten raten, die jetzt politisch aktiv werden wollen? Sollen sie in eine Partei gehen? Online-Aktivistin werden? Eine Demo organisieren?
„Ich beobachte, dass mit Aufkommen der Flüchtlingssituation in meinem Freundeskreis eine Politisierung stattfindet. Freundinnen bestellen und lesen Wahlprogramme. Im Print! Parteien sind die Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie und sicherlich ein Ort, sich zu engagieren. Ich würde mir jedoch wünschen, dass Parteien sich stärker öffnen gegenüber Interessierten, dass sie digitale Partizipationswerkzeuge nutzen, neue Veranstaltungsformen wählen und insgesamt durchlässiger werden. Damit der Impuls, sich beteiligen zu wollen oder etwas lostreten zu wollen, nicht verpufft, sollte jede sich selbst hinterfragen: Was ist mir wirklich wichtig, was möchte ich erreichen, welche Bündnisse möchte ich eingehen? Ich würde online recherchieren, mich mit Gleichgesinnten vernetzen, eine Vision formulieren und mit einem konkreten Ziel anfangen. Aufmerksamkeit und Mobilisierungserfolge, zum Beispiel Tweets, Unterschriften, Spenden, prominente Unterstützer, sind ein erster Gradmesser im Demokratietest. Man kann nie wissen, ob eine Kampagne explodiert und zur Bewegung trägt.“
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